Torsten Schäfer: Was bedeutet für Sie Interdisziplinarität im Fachbereich Musik?
Herbert Fiedler: Interdisziplinarität eröffnet neue Perspektiven und lädt dazu ein, die Wirkung von Musik im Dialog mit anderen Künsten zu erforschen. Besonders spannend ist, wie Musik und andere Ausdrucksformen miteinander interagieren und sich gegenseitig bereichern. Diese Erfahrung machen die Teilnehmenden beispielsweise beim Verbinden von Musik und Geschichten. Durch interdisziplinäre Ansätze entsteht ein tieferes Bewusstsein dafür, wie individuell Wahrnehmung ist – ein zentraler Gewinn für die pädagogische Arbeit.
Schäfer: Wie haben sich die Schnittstellen zwischen Musik und anderen Disziplinen in den letzten Jahren verändert und welche neuen Möglichkeiten entstehen dadurch?
Fiedler: Die Schnittstellen selbst haben sich nicht wesentlich verändert, der Zugang zu den technischen Möglichkeiten ist heute aber einfacher. Einen kleinen Film zu drehen und mit Musik zu unterlegen, ist mittlerweile schnell erledigt. Mit Apps wie Garageband kann man Musik komponieren oder erhält Unterstützung für harmonische Strukturen. Oder eine KI generiert selbstständig Musik, basierend auf einigen Stichworten. Pädagogisch gesehen ist das jedoch nicht immer unproblematisch, wenn Programme solche Aufgaben übernehmen und die eigene kreative Arbeit kleiner wird.
Schäfer: Im Labor zu Musik und KI treffen Expert:innen aus Musik und Medien aufeinander. Wo sehen Sie die größten Chancen der Technologie?
Fiedler: Die KI vereint die Gedanken vieler Menschen. Mich reizt das Neue daran und die Klangwelten, die damit entstehen können. KI ebnet auch schnellere Zugänge zur Musik, was die Experimentierfreude vergrößern kann. Wir müssen aber lernen, Künstliche Intelligenz sinnvoll einzusetzen, damit sie uns bereichern kann. Genau mit dieser Frage – den Chancen und Gefahren – beschäftigen wir uns auch im Labor an der Akademie der Kulturellen Bildung.
Schäfer: Welche ethischen oder ästhetischen Fragen müssen wir uns stellen, wenn KI kreativ tätig wird?
Fiedler: Eine zentrale Frage ist die Urheberschaft: Wem gehört ein Werk, das mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz entstanden ist? Wenn ich eine Komposition mit KI erstelle, haben viele andere Musiker:innen indirekt daran mitgewirkt, ohne dass ich sie benennen kann. Das wirft Fragen zum Datenschutz, Urheberrecht und zur Anerkennung künstlerischer Leistung auf. Auf ästhetischer Ebene bleibt die alte Frage: Was ist Kunst und wer ist Musiker:in?
Schäfer: Wie lässt sich KI im musikalischen Lernprozess sinnvoll einsetzen, ohne die Kreativität oder den „menschlichen Funken“ zu verdrängen?
Fiedler: Dadurch, dass KI so bunt gefüttert ist, kann sie als Lern-Verstärker und Ideenspender dienen. Sie ermöglicht eine andere Form von Kreativität, die in der Auseinandersetzung mit sich selbst und mit Klängen Neues entstehen lässt. Ich kann mir vorstellen, dass KI teilweise auch als Lehrende in der Musik eingesetzt wird, aber nicht ausschließlich. Der menschliche Transferprozess bleibt unverzichtbar.
Schäfer: KI analysiert Daten und erzeugt Klangmuster. Kann KI auch emotional komponieren?
Fiedler: Ich bin mir nicht sicher. Sie wurde mit vielen menschlichen Zugängen zur Musik gewisserweise emotional gefüttert. Und jegliche Form von Klang, auch wenn er mechanisch erzeugt ist, kann emotional wirken. Man denke an das „Mechanische Ballett“ der 1920er Jahre – Klänge, die uns befremdlich vorkommen, aber dennoch berühren. Emotion entsteht durch die Wirkung der Musik. Ob sie uns gefällt, ist eine andere Frage.
Schäfer: Der Songwriting-Kurs verbindet Musik und Literatur – zwei Kunstformen, die beide mit Emotion und Ausdruck arbeiten. Wie kann Songwriting als interdisziplinärer Prozess Menschen ohne musikalische Vorbildung Zugang zur Musik ermöglichen?
Fiedler: Auch Nicht-Musiker:innen tragen musikalische Ideen oder Klänge in sich, die sie sich zu einem Songtext vorstellen können. Diese sind meist geprägt durch ihre Hörerfahrungen. Oft fehlt nur die konkrete melodische oder rhythmische Form. Ziel im Kurs ist es, das innere Hören in Worte zu fassen, damit daraus eine musikalische Idee entstehen kann. Umgekehrt kann ein harmonisches Gerüst den Text verändern und neue Bilder anregen. So entsteht im Prozess ein ganz neuer Song. Man kann Nicht-Musiker:innen aber auch unterstützen, indem man gemeinsam Instrumentalmusik sichtet und schaut, was einen anspricht.
Schäfer: Was ist in Songwriting-Projekten besonders wichtig – der Song oder der Prozess?
Fiedler: Im pädagogischen Kontext steht der kreative Prozess im Vordergrund, da er die Teilnehmer:innen dazu anregt, sich mit Musik und Text auseinanderzusetzen und ihre eigene Ausdrucksweise zu finden. Wenn die Songs wie in unserem Kurs zusammen mit bekannten Musikern wie Joe Dorff und Michael Koschorreck auf der Bühne des Teo Otto Theaters präsentiert werden, entsteht natürlich ein gewisser Druck, die Stücke professionell vorzubereiten.
Schäfer: Wenn Sie sich die Musikausbildung der Zukunft vorstellen – wie interdisziplinär sollte sie sein?
Fiedler: Die Offenheit interdisziplinärer Ansätze ermöglicht neue Zugänge und verleiht der Arbeit zusätzliche Tiefe. Im Zentrum steht stets das Wechselspiel der Disziplinen. Ein musikpädagogischer Ansatz, der den Fokus auf Musik legt und zugleich Verbindungen zu Bereichen wie Erzählen oder Bildender Kunst herstellt, kann das eigene Fach nachhaltig bereichern. Entscheidend ist ein vernetztes Denken, das dennoch die Eigenständigkeit der einzelnen Disziplinen wahrt. Nur so lassen sich beide Seiten weiterentwickeln und ein breiterer Zugang schaffen.