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Szenenbild aus „Shaharezade“. Foto: Bühnen Halle
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Es war einmal … – Die Oper Halle bemüht sich mit der Ausgrabung von Bernhard Sekles‘ „Schahrazade“ um ein vergessenes Werk

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Jede Opern-Ausgrabung ist per se ein Verdienst. So auch die in Halle, wo Intendant Axel Köhler „Schahrazade“ von Bernhard Sekles (1872–1934) auf die Bühne gebracht hat. Wenn es wie hier um eine Oper geht, die aus den ersten drei Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts stammt, liegt der Verdacht nahe, dass die Nazis beim Verschwinden der Werke ihre Finger im Spiel hatten. Möglichst nichts neutönend Modernes, vor allem aber nicht von Juden.

Der Rassenwahn hat auch im Musiktheater zu einer Verarmung geführt, von der es sich bis heute nicht erholt hat. Im Nachkriegsdeutschland standen die Zeichen durch die Dominanz einer einseitig aufgefassten Avantgarde oder ideologischer Vorgaben weder im Westen noch im Osten besonders günstig für eine Korrektur dieses Bruches in der Rezeption. So wurden etwa die Werke von Schreker, Korngold oder Krenek erst in den letzten Jahrzehnten zu Wiederentdeckungs-Schmuckstücken. Im Falle des ebenfalls verfemten Jaromir Weinberger (1896-1967) hatte Köhler mit seiner Inszenierung von „Schwanda dem Dudelsackpfeifer“ an der Semperoper im März vergangenen Jahres Furore gemacht.

Ausgrabungsehrgeiz

Als Intendant und Regisseur hat er jetzt eine der drei Opern des bislang nur Spezialisten noch bekannten Bernhard Sekles (1872–1934) dem Vergessen entrissen. Zu den Schülern des Frankfurter Komponisten und Musikpädagogen gehörten immerhin Paul Hindemith, Theodor W. Adorno oder Ottmar Gerster, zu seinen Verdiensten die Gründung der europaweit ersten Jazz-Klasse am Hoch’schen Konservatorium. Die Einrichtung leitete er, bis die Nazis ihn 1933 aus rassischen Gründen entließen und mit einem Aufführungsverbot belegten.

Und die Oper in Halle hat sich wirklich Mühe mit ihrem Projekt Ausgrabung gegeben. Es gab ein wissenschaftliches Symposium und Kammermusik. Ein großes Sinfoniekonzert wird noch folgen. Und mit einem Liederabend machte Romelia Lichtenstein mit dem Liederyklus „Aus dem Schi-King“ und einigen Liebesliedern nach slawischen und romantischen Dichtungen neugierig auf einen Komponisten dessen Lieder kaum hinter denen von Richard Strauss zurückstehen. (MDR-Figaro hat das mitgeschnitten und überträgt es am 15. Dezember!)

Auch bei dem 1917 unter Wilhelm Furtwängler in Mannheim uraufgeführten Oper-Dreiakter „Schahrazade“ muss man zuweilen an Richard Strauss denken. In dessen Psycho-Märchenthriller „Die Frau ohne Schatten“ (1919) ist die Suche nach dem psychoanalytischen Subtext hinter der Märchenoberfläche eine stetige Herausforderung für heutige Interpretationen. Was nie völlig befriedigend, aber doch zuweilen annähernd gelingt.

Vom Blatt inszeniert

Mit seiner Inszenierung bleibt Köhler freilich so dicht am Original von 1917, dass es der psychoanalytische Subtext nur bis ins Programmheft schafft. Die Entscheidung, ein heute gänzlich unbekanntes Werk vom Blatt zu inszenieren, um es kennenzulernen, ist durchaus nachvollziehbar. Teilen muss man sie aber dennoch nicht. Zu sehen gibt es ein Opernmärchen, dessen Personal Henrike Bromber orientalisch kostümiert hat und für das Arne Walther ein Laubsäge-Serail auf die Drehbühne gesetzt hat.

Wenn Nils Giesecke als Obereunuch über die Bühne zu wackeln hat, mit den Tönen ringt und sich bemüht, wie der kleine Muck auszusehen, steift das ebenso die unfreiwillige Parodie, wie das Bemühen der Damen in ihren hübsch und glitzernd bestickten Gewändern so eine Art orientalischen Tanz aufzuführen. Zumal Sekles immer dann, wenn er nicht in seinem eigenen Parlandostil den Text trägt oder umspielt, folkloristische Exotik zu evozieren versucht, wie sie Hollywood dann zur Blüte brachte. Wenn die Musik eng mit dem Text verwoben ist, also nicht in angedeutete, immer schaumgebremst wirkende Opulenz ausweicht, dann steht das Wort im Mittelpunkt. Leider, muss man sagen.

Denn Märchen aus Tausendundeiner Nacht hin oder her. Was als Libretto nach Gerdt von Bassewitz‘ zu vernehmen ist, das hat es in sich. Nicht nur, dass die Erwähnung Allahs mit über dreißig Mal in den gut zwei Stunden rekordverdächtig ist und heute deutlich aggressiver klingt als in fernen Märchenzeiten. Vor allem das kolportierte Frauenbild ist gelinde gesagt haarsträubend. „Baue auf Frauen nicht, Traue ihrem Herzen nicht, denn ihre Freuden und Leiden hangen an ihrer Lust“ kommt gleich mehrfach aus dem Off.

Haarsträubendes Frauenbild

Nun ist der Kalif Schahryar musikalisch mit der Attitüde des erhabenen Herrschers ausgestattet. Gerd Vogel stellt sich mit beachtlichen vokalen und gestalterischen Möglichkeiten voll in den Dienst dieser Rolle und liefert mit Abstand die überzeugendste Leistung des Abends. Doch entpuppt sich dieser Typ schon bei flüchtigem Hinschauen als Psychopath. Weil er einmal von einer Frau betrogen wurde, holt er sich seit drei Jahren jede Nacht eine Jungfrau ins Bett und lässt sie am Morgen danach köpfen. Und wundert sich, dass sich sein Volk das gefallen lässt. Dafür verachtet er es. Immerhin muckt der junge Omar (Ralph Ertel) auf, als die von ihm geliebte Saad (Theresa Dittmar) an der Reihe ist; bringt aber nur sie und sich selbst um.

Der jahrelange Helfershelfer des Kalifen Said-Fares (mit bewährter Standfestigkeit: Ki-Hyun Park) kriegt erst Widerstandsgelüste, als seine Tochter Schahrazade den vorgesehenen Bräutigam abblitzen lässt und ihre Liebe zum Kalifen gesteht. Es kommt aber nicht zum geplanten Tyrannenmord. Am Ende verliert dieser Vater, nach seinem Sohn Omar, auch noch seine beiden Töchter an den Kalifen. Die jüngere, Dunyazade (Ines Lex), hat offenbar noch nie etwas von der Gefährlichkeit ihres Königs gehört und hält ihn eh für einen netten Menschen. Wenigstens bleiben die beiden nach dessen wundersamer Wandlung vom Frauen-Mörder zum Frauen-Versteher am Leben. Und werden künftig Märchen erzählen. Die tausend geköpften Jungfrauen werden einfach als Kollateralschaden beim Happyend übergangen. Und Said-Fares, der schon den Dolch gezückt hatte, um dem Grauen durch überfälligen Tyrannenmord ein Ende zu bereiten verschwindet wieder…

Dass die Titelheldin Schahrazade sich in diesen Typen aus der Ferne verliebt und sich ihm freiwillig opfern will, weil sie in seiner sehr speziellen blutrünstigen Verbindung von Sex und Mord, die übergroße Liebe zu den Frauen und seine Einsamkeit erkannt haben will, macht sie ebenfalls zur Anwärterin für einen Platz in der Psychiatrie. Zumindest von heute aus gesehen. Bei Anke Berndt ist Schahrazade mit metallisch enger Stimme eine attraktive Erscheinung. Diese freiwillige Todeskandidatin (beziehungsweise Therapeutin) ist jedoch allzu eindimensional gläubig angelegt.

Reizvoller Orchesterklang

Als orientalisches Märchen gut und schön. Oder besser: exotisch und gruselig. Aber als Steilvorlage für eine Opernnovität am Anfang der Moderne?

Diese Ausgrabung ist natürlich auch im Graben Chefsache. So versteht sich der neue GMD Josep Caballé-Domenech am Pult der Staatskapelle mit Hingabe als Anwalt einer Ausgrabung, die gleichwohl ihre musikalischen Reize hat. Einen eigenen Parlandostil zelebriert, sich mitunter an cineastischer Atmosphäre versucht und auf das Überwältigungspotenzial der puren Opulenz verweist, aber dann doch darauf verzichtet. Im Ganzen jedoch, so wie in Halle gehört und gesehen, dürfte Sekles‘ Schahrazade wohl doch eine Oper im Schatten bleiben. Diese mit reichlichem Premieren Beifall bedachte Produktion ist gleichwohl ein interessanter Blick über die Grenzen des üblichen Repertoires.

Weitere Vorstellungen siehe: www.buehnen-halle.de

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