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Orphée aux enfers 2019: Max Hopp (John Styx), Martin Winkler (Jupiter), Marcel Beekman Aristée / Pluton). Foto: © SF/Monika Rittershaus
Orphée aux enfers 2019: Max Hopp (John Styx), Martin Winkler (Jupiter), Marcel Beekman Aristée / Pluton). Foto: © SF/Monika Rittershaus
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Höllisch gut – Barrie Kosky inszeniert Offenbachs „Orphée aux enfers“ in Salzburg

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Barrie Kosky kann Operette: Joachim Lange ließ sich bei den Salzburger Festspielen in Offenbachs Unterwelt mitreißen. Enorm starke Sängerinnen und Sänger, mitklamaukende Wiener Philharmoniker im Graben und ein alle Rahmen des Humors sprengender Max Hopp. Große Party.

Thematisch passt der Offenbach gut ins aktuelle Opernprogramm der Salzburger Festspiele. Vor allem zu Cherubinis „Médée“ und Enescus „Œdipe“. Auch „Idomeneo“, „Salome“ und „Alcina“ sind nicht so weit entfernt vom Kreisen ums Mythologische wie die beiden konzertanten Opern oder Verdis Politthriller „Simon Boccanegra“. 

Ästhetisch freilich bietet dieser „Orpheus in der Unterwelt“ im Haus für Mozart das Kontrastprogramm zu den Exerzitien von Sellars (Idomeneo), Castellucci (Salome) und Freyer (Œdipe) in der Felsenreitschule und zu Stones’ Überschreibung (Médée) oder Kriegenburgs Vergegenwärtigung (Simon Boccanegra) im Großen Festspielhaus. 

Barrie Kosky kann zwar erwiesenermaßen (gerade eben in München mit „Agrippina“) auch anders. Aber was er definitiv kann, ist eben Operette. Und die sogar besonders gut. Weil er sich mit einer gewissen Hemmungslosigkeit ins Vergnügen wirft, das die Autoren der Musterexemplare dieser Gattung neben allem parodierenden Hintersinn ja immer auch im Auge hatten. Etwaige Bezüge stellen sich da von selbst ein. Die geile Übergriffigkeit des Gottes, dem seine eigenen Leute (also seine eigene Göttersippschaft)  vorrechnet in wen er sich wo schon überall verwandelt hat, um die Objekte seiner Begierde rumzukriegen. Es ist grandios wie Martin Winkler als obendrein stimmgewaltiger Götterchef hier alle komödiantischen Register zieht, um den permanent Übergriffigen vorzuführen und ihm dabei einen Rest „Sympathie“ (nach dem „Motto Jupiter ist halt auch nur ein Mann“) zu bewahren. Das wird deshalb nicht peinlich, weil hier die Eurydice Kathryn Lewek das Heft (bzw. alles, was man sonst so braucht, um die Männer nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen) in der Hand hat. Sich in der Hölle, unterem radfahrenden Höllendrachen (Bühne: Rufus Didwiszus), beim Ringelpietz mit Anfassen sogar ein glitzerndes Gemächt verschafft hat und es dann effektvoll wie einen Brautstrauß hinter sich in die Menge zu werfen.

Perfekt sitzende Stimmen

Diese Frau ist überhaupt umwerfend. Man muss eben keine langbeinige Schmalhüfte sein, um als Granate auf die Männer zuzufliegen und bei ihnen zu landen. Da reichen ein stramm geschnürtes Dessous-Korsett  (Kostüme: Victoria Behr) und jede Menge Selbstbewusstsein. Und eine perfekt sitzende Stimme, die ohne Mühe aus dem Gesang ins Gurren oder Kreischen kippen kann. Sprechen muss die fantastische Amerikanerin nicht. Das übernimmt für sie und alle anderen Max Hopp in der Rolle des John Styx. Sozusagen unser Verbündeter in diesem Affenzirkus. Der tritt natürlich auch mit den Erinnerungen an sein irdisches Dasein, da er einst Prinz war in Arkadien, ohne Hemmung (im Geiste) gegen Theo Lingen an. Und gewinnt auch da. Er ist die Stimme für jede und jeden, wenn es ans Reden geht. Und zwar jede und jeder in seiner Art. Oft in einem Atemzug hintereinander. Mit wunderbar platzierten Versprechern wie gleich am Anfang, wenn er Anne Sofie von Otter als gouvernantige öffentliche Meinung die Stimme leiht. Ihr gönnt Kosky dann auch einen Diven-Auftritt vor dem Vorhang, bei dem sie den um Aufmerksamkeit buhlenden Orpheus locker von der Bühne fegt und so mit großer Geste Eindruck macht! 

Als Zugabe gibt es von Hopp auch noch die Geräusche dazu – vom Knarren der Tür bis zu den Schritten auf den Bühnendielen und was sonst noch so von „quietsch schlürf, klack klack bis boing" zu hören sein könnte….. Das ist ein genialer Kunstgriff – perfekt gemacht. Er bringt dem so wunderbar musikalischen Schauspieler den stärksten Beifall ein!

Barrie Kosky, derzeit bester Regisseur fürs vermeintlich Leichte

Aber auch sonst macht Barrie Kosky seinem Ruf als derzeit bester Regisseur fürs vermeintlich Leichte alle Ehre: So wie er den Ausflug eines voneinander genervten Ehepaares auf den Olymp und in die Hölle zu einer Gaudi vom Feinsten. Orpheus Joel Prieto ist als smarter langhaariger Geiger mehr mit seiner Fiedel als mit seiner Frau beschäftigt. Sie fasst seine Ankündigung, eine neue Komposition zum Besten zu geben, als handfeste Drohung auf. Eurydice wiederum sucht längst nach einem Ausweg aus der chronischen ehelichen Unterversorgung in Sache Liebe. Sie hat sich längst einen Lover zugelegt. Außen Schäfer, innen Pluto: Marcel Beekmann hat seinen ersten Auftritt im häuslichen Schlafzimmer als Imker, der erst einmal die flotten Bienen, die ihm vorausgetanzt waren, ausschaltet. 

Otto Pichler ist wieder Koskys bewährter, kongenialer Choreograph. Natürlich versucht es auch Jupiter als Fliege bei ihr – mit einem baumelnden Schmuckstück zwischen den Beinchen, das selbst für einen Lacher sorgt. Aber die ganze Göttersippschaft – von Venus (Lea Desandre) über Diana (Vasilisa Berzhanskaya) bis Cupidon (Nadine Weissmann) – probt eh schon den Aufstand gegen ihren Chef und will unbedingt mit auf dessen „dienstlichen“ Ausflug in die Unterwelt. Wo dann wirklich die Fetzen (sprich Röcke) fliegen ….. 

Betriebsausflug in die Unterwelt

Die Wiener Philharmoniker belegen mit Enrique Mazzola am Pult ihre Wandlungsfähigkeit und ihre Brillanz, machen den Klamauk auf der Bühne sozusagen im Graben mit.

Auch wenn Österreich im Moment mehr noch als sonst einer Operettenrepublik ähnelt, dann ist  Salzburg (und nicht nur Bad Ischl) mit diesem Betriebsausflug in die Unterwelt für Stunden zumindest ein Großherzogtum der Operette von Offenbachs Gnaden.

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