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Foto: © Oliver Berg, Theater Münster
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Imponierender Opernchor: Giorgio Battistellis „Orchesterprobe“ in Münster

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Giorgio Battistelli ist in seinem Heimatland Italien fraglos der führende Komponist in Sachen zeitgenössisches Musiktheater. Zwanzig Bühnenwerke hat er inzwischen geschrieben – etliche sind längst außerhalb Italiens in ganz Europa inszeniert worden, zuletzt noch „Lot“ (im April im Staatstheater Hannover). In Münster wurde ein Jahr zuvor Battistellis „Experimentum Mundi“ in einer Neufassung uraufgeführt. Münsters Generalmusikdirektor Fabrizio Ventura, in demselben Ort nahe Rom geboren wie der Komponist, brachte nun die „Orchesterprobe“ auf die Bühne.

Am Ende ist die Harfenistin tot! Wie genau sie starb? Man weiß es nicht. Womöglich wurde sie erschlagen von den Trümmern, die am Ende von Giorgio Battistellis Oper „Orchesterprobe“ („Prova d‘orchestra“) übrig bleiben und die zuvor ein Probesaal gewesen waren. Zerstört wurde aber nicht nur ein Gebäude, sondern im Prinzip ein ganzes soziales System, ein gesellschaftlicher Kosmos wie jedes Sinfonieorchester einer ist.

Nach außen hin ist so ein Orchester ein homogener Klangkörper, hübsch anzusehen mit den Herren im Frack, den Damen im edlen Kleid. Alle ziehen an einem Strang, um ihrem Publikum erlesene Musik zu kredenzen. Aber hinter dieser Fassade sieht es anders aus, ganz anders. Denn da mutiert das Orchester zu einer regelrechten Chaostruppe, abzulesen bei jeder Probe! Und wenn dann noch „zeitgenössische Musik“ auf den Pulten steht, von denen zwar der Dirigent restlos überzeugt ist, die Musikerinnen und Musiker aber mitnichten – dann öffnen sich die Schleusen und eine Flut von Befindlichkeiten, Ressentiments, zwischenmenschlich bedenklichen Beziehungen überschwemmt den Probensaal.

Giorgio Battistellis 1995 uraufgeführte Oper geht zurück auf Federico Fellinis Film „Orchesterprobe“ aus dem Jahr 1978, mit dem der Filmemacher auf die damaligen politisch bewegten Zeiten reagierte. Und sich ein Sinfonieorchester als Objekt auswählte, dass ihm als Spiegelbild einer ganzen Gesellschaft diente. Diesem Ansatz folgt auch Regisseur Ansgar Weigner, wenn er in Münsters Großem Haus des Theaters nach und nach völlig unterschiedliche Typen zur Probe eintrudeln lässt – einen eitlen Geiger in feinem Zwirn, eine Trompete mit Rasta-Locken, eine schwangere Cellistin, einen Goliath und bekennenden Schalke-Fan, der die Tuba bläst, einen Typen, der seine Noten in einer Aldi-Tüte anschleppt… das pralle Orchester-Leben, vielleicht etwas übertrieben.

Nicht übertrieben: der kritische Blick des Orchesters auf den Dirigenten mit seiner Affinität zur „Neuen Musik“, die kein Mensch spielen will. Unmut wird laut, artikuliert sich, schaukelt sich hoch, tangiert später ganz andere Probleme, die unter den Nägeln brennen wie etwa die tariflich abgedeckten (und vor allem die nicht abgedeckten) Leistungen, die zu erbringen sind. Zumal gerade ein Fernsehteam mit im Probenraum herumhantiert und eine Dokumentation drehen will, Einzelinterviews mit Orchestermusikern inklusive! Transparente werden entrollt, gemeinsam reckt man die Faust in die Höhe. Konfrontation!

Und irgendwie schleichend mutiert Fellinis (nicht Battistellis!) „Orchesterprobe“ von der Kritik am Besonderen zu der am Allgemeinen. Das Besondere (die Situation im Orchester) weitet sich aus und mündet in den allgemeinen Widerspruch zum Italien der 1970-er Jahre. Ansgar Weigners Inszenierung will aber darüber hinaus politische Realität Anno 2017 abbilden. Genau hier liegt das Problematische seiner Interpretation: Bildprojektionen von AfD-Demos („Merkel muss weg“, „Kampf gegen Flüchtlinge“) oder Fähnchen gegen Donald Trump wirken aufgesetzt und gewollt. Bis dahin nämlich hatte die „Orchesterprobe“ etwas leicht Museales, weil an anarchischen Agit-Prop von einst erinnernd. Nun schnell noch der Bezug zum Jetzt – das geriet wenig überzeugend.

Was an diesen gut 80 pausenlos durchgespielten Minuten wirklich imponiert ist die Leistung der „Hauptperson“ – und das ist der Opernchor des Theaters Münster! Der leistet echte Schwerstarbeit, weil er ständig in (kontrollierter) Bewegung und sängerisch wie deklamatorisch permanent gefordert ist. Chordirektorin Inna Batyuk hat da ganz intensive Probenarbeit investiert, konnte sich dabei auf fabelhafte Chor-Solisten verlassen, die in ihren Rollen mit Instrumenten (Posaune, Trompete, Schlagzeug) konfrontiert wurden, mit denen sie üblicherweise gar nichts zu tun haben – und da eine durch und durch gute, überzeugende Figur abgaben. Auch die anderen Rabauken aus dem Opernensemble, die dem arroganten Dirigenten Paroli boten. Ihnen allen macht Battistelli es überaus schwer, sich musikalisch zu orientieren, ihren Ton zu finden. Aber just dies klappte am Premierenabend vorzüglich.

Viel, ganz viel Musik ist in der „Orchesterprobe“ zu hören. Geradezu überladen wirkt die Partitur und liefert nahezu ununterbrochen massive Klänge, nur hin und wieder mal unterbrochen von einem Labsal im dynamischen Piano-Bereich oder gar Stille. Eine anstrengende, alle Konzentration des Publikums fordernde Angelegenheit also. Es stellt sich am Ende aber doch die Frage, ob sich diese Mühe lohnt.

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