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Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
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Karpfen im Hochwasser – Stauds „Die Weiden“ an der Wiener Staatsoper uraufgeführt

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Die letzte Uraufführung an der Wiener Staatsoper liegt mit Aribert Reimanns Oper „Medea“ acht Jahre zurück. Mit „Die Weiden“ von Johannes Maria Staud und einem Libretto von Durs Grünbein hat nun das traditionsreiche Haus ein komplexes Werk gestemmt, das nicht nur mit einer riesigen Orchesterbesetzung, Live-Elektronik (SWR-Experimentalstudio), Bühnenmusik, Chor und einem großen Solistenensemble enorm gefordert wurde. Auch das Thema besitzt gerade in Österreich mit der Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen FPÖ enorme Brisanz. Staud und Grünbein, die schon die früheren Opern „Berenice“ (2004) und „Die Antilope“ (2014) gemeinsam schrieben, haben sich auf die Suche nach dem Rechtsruck in Europa begeben, haben sich Hetzreden angehört und sich überlegt, wie man die Entmenschlichung optisch und klanglich ins Bild fassen kann.

Herausgekommen ist dabei eine Flussreise, die zum Horrortrip wird. Menschen verwandeln sich in Karpfen – und damit in kalte, großmäulige Lebewesen, die gerne im Trüben dümpeln. Patriotismus kippt um in Ausgrenzung, Agitation in Gewalt. Und die Männer in Lederhose und die Frauen im Dirndl geben in der Wiener Staatsoper hinter ihren Karpfenköpfen nur noch unartikulierte Laute von sich.

Trotz der allmählichen Zuspitzung der von Regisseurin Andrea Moses klar erzählten Geschichte, der sich Ingo Metzmacher am Pult des Wiener Staatsopernorchesters aufmerksam widmet, fehlt es dem Abend aber an Intensität und Verdichtung, vielleicht auch an Radikalität, so dass aus diesem hochaktuellen Thema zu wenig Funken schlagen. Aufwühlen, erschüttern, im Innersten berühren kann der Abend jedenfalls nicht. Das liegt auch an den tonalen Inseln und den damit verbundenen Stilbrüchen, die Johannes Maria Staud in einzelnen Szenen bewusst einsetzt, um eine bestimmte Atmosphäre zu schaffen. Der Weg zurück zur eigentlichen kühlen, blech- und schlagzeugdominierten Klangsprache Stauds wird zum Problem. Auch die vielen Sprechpassagen, allen voran die verzichtbare Fernsehreporterin (Sylvie Rohrer), verhindern die erhoffte Sogwirkung des Stoffes. Die Geschichte beginnt in einem New Yorker Apartment mit spektakulärem Blick auf die Skyline der Stadt. Die Tochter Lea, die Rachel Frenkel mit ihrem farbenreichen, aber immer beweglichen und leichten Mezzosopran zum emotionalen Zentrum der Oper macht, möchte mit ihrem neuen Lover eine Kanufahrt in dessen Heimat unternehmen. Deren jüdische Eltern (Monika Bohinec und Herbert Lippert) warnen in einer seltsam heiteren Jazznummer vor den dort lebenden Karpfenmenschen, die bereits ihre Vorfahren vertrieben haben. Aber Lea und ihr grobschlächtiger Freund Peter (präsent: Tomasz Konieczny) paddeln dennoch die Donau hinauf, die im Libretto Dorma heißt. Die aus der Vogelperspektive gefilmten Videos von Arian Andiel zeigen die sich verändernden Flusslandschaften, die schräge Drehbühne von Jan Pappelbaum weist auf den drohenden Absturz hin. Stauds Musik verbindet mal beruhigende, mal flirrende Klangflächen mit eruptiven Attacken. Seine Gesangslinien sind kunstvoll und fordernd. Das SWR-Experimentalstudio (Klangregie: Michael Acker und Sven Kestel) entfaltet ein vielgestaltiges Geräuschpanorama und bearbeitet die live gespielten Orchesterklänge.

Auf der Schickimicki-Hochzeit des Jugendfreundes Edgar (mit hellem Tenor: Thomas Ebenstein), der die attraktive, extrovertierte Kitty (stark: Andrea Carroll) heiratet, erklingt flacher Musicalpop – und ein weißgewandeter Komponist (glaubwürdig: Udo Samel), der noch häufiger auftauchen wird, schwadroniert von der Reinhaltung der deutschen Kultur (Kostüme: Kathrin Plath). Leas Unbeschwertheit weicht nach und nach einer Angst. Sie ist Gast beim beklemmenden Dinner von Peters Eltern, wo neben Mehlspeisen auch Gewehre und Karpfen serviert werden, die zuerst die schrillen Schwestern Fritzi und Frantzi (brillant in höchsten Höhen: Katrina Galka, Jeni Houser) auf den Kopf setzen. Beim Volksfest werden aus den zünftigen Dorfbewohnern endgültig dumm glotzende Karpfen, die dem Demagogen (Wolfgang Bankl) zunicken und oder mit den Bierkrügen auf den Tisch hauen. Am Ende bringt ein Hochwasser die Katastrophe. Peters Stimme ist elektronisch so verfremdet, dass er selbst zum Karpfen mutiert und blubbert. Lea trifft auf ihre Vorfahren (Chor der Wiener Staatsoper: Thomas Lang). „Hört die Gemeinheit nie auf? Die Hetze, das Hassen?“, fragen sie. Lea wird aber ganz ruhig und singt: „Ich kam wie das Wasser, Und so werde ich gehen.“ Ein fast schon verklärter Schluss, der Rätsel aufgibt.

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