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Titelseite der Politik & Kultur 2019/04
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Kurz-Schluss: Bitte zurückblättern – diesmal gibt’s ausnahmsweise leider kaum was zu lachen von mir

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Zugegeben: Ich bin auch ein »Verwerter«. Gleichermaßen von Speisen und Getränken – wie von geistigem Eigentum kreativer Frauen und Männer vorwiegend aus dem Kulturbereich, die ich in die Fänge meines bescheidenen Verlagshäusleins gelockt habe. Allzu viele Köder musste ich gar nicht auswerfen. Es genügte eine gewisse Kompetenz im editorischen Bereich, Engagement und Glaubwürdigkeit in der Sache, ein gewisser Kapitaleinsatz für Produktion und Marketing – eben alles, was eigentlich dem Beruf des Verlegers Rechtfertigung verleihen sollte. Autorin/Autor, Komponistin/Komponist, Fotografin/Fotograf, Klangdesignerin/Klangdesigner übertrugen in komplizierten Vertragsverfahren, die zumindest hierzulande dafür sorgten, dass keine Enteignung stattfand wie in den USA oder Great Britannien üblich, ihre Urheberrechte gegen angemessene Beteiligung am Erlös der »Verwertung« an den Verlag.

Zugegeben: Erotisiert oder kalt berechnend, typisch menschlich halt, rafften geschickte Kaufleute qualitätsneutral möglichst viele Werke in ihr Portefeuille. Teils zu immer elenderen Bedingungen für die Kreativen. Sie sammelten Marktmacht, dominierten »Verwertungsgesellschaften« – und verschliefen das Aufblühen neuer digitaler Vertriebs- und Verbreitungswege. Im fetten Saft von Werbeerträgen katapultierten sich anfängliche Garagen-Start­ups wie Google, Facebook oder Amazon zu Umsatzmilliardären, deren aggressiv gesplittetes Marketing zunächst einen für viele »Schöpfer« und »Verwerter« desaströsen Erziehungserfolg vor allem bei jungen und jüngeren Menschen zeitigte. Tenor in etwa: Im Internet gibt’s alles umsonst. Internet ist Freiheit. Freiheit in der Kommunikation. Freiheit in der selbstdarstellerischen digitalen Multiplikation des Egos in Wort und Bild. Schnittmuster für möglichst doof-exotische und deshalb meist erfolgreiche Deformations-Exhibitionisten hatten jahrelang die privaten Fernsehanstalten zuhauf geliefert.

Weil aber gerade der Primitivfantasie keine Grenzen gesetzt sind und mit Plumpporno, nachgeäfften Popsongs grässlichster Klangfolter oder rechtsradikalem Superdummschwätz herrlich Zugriffe generiert werden konnten, verschoben sich Werbeetats vom Print ins Netz. Zeitungen fusionierten, starben. Qualifizierte Meinungsvielfalt wandelt sich in vermeintlich pluralistische Meinungseinfalt. Nach jahrelangen – wenn es um die Verteilung von Geld geht wie immer höchst aggressiven – Diskussionen versucht nun die Europäische Union, eine Urheberrechtsreform durchzusetzen, die vor allem Kreativen ein Häppchen aus dem üppigen Kapitalmenü von Google & Co. sichern soll. Die Abstimmung findet in diesen Tagen statt – das Ergebnis kann sich leider in diesem Text terminbedingt nicht vermitteln lassen. Aber das ist möglicherweise auch nicht so entscheidend. Denn ebenso beängstigend wie zukunftsweisend sind schon die Aktionen im Vorfeld dieser Abstimmung.

Was passiert: Ein junges Publikum, aber auch eine Menge braver Bürger, denen das Urheberrecht bislang ebenso unbekannt wie shitegal war, gingen und gehen zuhauf auf die Straße, beteiligten sich – angeblich in Millionenmassen an sachlich höchst fragwürdigen Petitionen. Das Internet wurde mit Shitstorms geflutet. Die Bundesjustizministerin erweist sich als Wackelpudding, wenn es um sogenannte »Upload-Filter« geht. Die sollen künftig softwaremäßig dafür sorgen, dass urheberrechtlich geschütztes Material nicht mehr kostenlos von Hinz und Kunz auf jedes beliebige Portal, gern auch auf die eigene Website geladen werden kann.

»Stoppt die Zensurmaschine, rettet das freie Internet« tobt das Volk, das ansonsten jeden Diebstahl von Deospray bei Penny oder einer Herrenunterhose bei KIK am liebsten mit dem  Tode bestraft sähe. Fakt ist, dass der verhasste Artikel 13 des EU-Richtlinien-Entwurfes null und nichts enthält, was auf irgendeine Form von Zensur hindeutet oder irgendjemandem eine Verpflichtung abverlangt, in sein Webangebot irgendwelche technische Vorkehrungen gegen das Einstellen von Inhalten zu implementieren.

Ganz im Gegenteil: Wildernde YouTube-Abfüller, die sich bislang als hirnlose Räuber geistigen Eigentums eigentlich strafbar machen, werden weitgehend von den Folgen ihrer justiziablen Content-Hehlerei befreit, weil zuvörderst die feisten Plattform-Big-Names angemessen zur Kasse gebeten werden sollen. Die Erhebung und gerechte Verteilung dieser Lizenzen kann ganz einfach und fast bürokratiefrei durch Pauschalverträge mit vorhandenen Verwertungsgesellschaften geschehen. Und für die gilt seit einiger Zeit das immer noch verbreitete Märchen, sie handelten in eigenwirtschaftlichem Interesse und nicht als Treuhänder, mittlerweile als Fake-Oldie, ehemals »Ente«.

Vielleicht mag es die Filter-Protestanten und Internet-Freiheitsfetischisten Folgendes ein wenig nachdenklich stimmen: Kommunikation und Rückgrat der Proteste wurden wahrscheinlich mit Millionenaufwand und den überlegenen technischen Facilitys der Big Player-Plattformen im Netz dank falschen Infos manipuliert und so gepusht. Vielleicht gelingt es unseren weitgehend in den USA ansässigen Super-Medias mithilfe Donald Trumps, uns Atombombenversuche erst an der amerikanisch-mexikanischen Grenze und dann im Mittelmeer schmackhaft zu machen. Da lässt sich dann mangels »erfolgreicher« Flüchtlinge einiges sparen.

Unter dem Titel »Liebesgrüße aus dem Silicon Valley« veröffentlichte unser Konkurrenzblatt »Die Zeit« kürzlich einen fiktiven Dankesbrief der Protestprofiteure an die naiven Aktivisten, Autor – der Erfinder des Datenhandschuhs Jaron Lanier: »Wir danken Euch Europäern, insbesondere Euch jungen Mitgliedern der Piratenpartei, dass Ihr die Linken unschädlich und uns damit reich machen wollt. Manchmal reißen wir Witze darüber. Die ganzen Kids, die  das Internet frei und offen halten wollen ... stärkt immer nur unsere geschlossenen monopolistischen Plattformen. We love it!«

Tja, und ich bewerbe mich jetzt um eine Green-Card...

  • Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur

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