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»Die Dreigroschenoper«. Anna-Katharina Tonauer (Lucy). Foto: © Marie-Laure Briane
»Die Dreigroschenoper«. Anna-Katharina Tonauer (Lucy). Foto: © Marie-Laure Briane
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Minimal wirkt stark – Münchens Gärtnerplatztheater meldet sich mit der „Dreigroschenoper“ zurück

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Bitte nicht: diese Meter von hochdifferenzierter Literatur zu Brechts „epischem Theater“, dem „Verfremdungseffekt“ und Weills „Song-Stil“. Einfach statt dessen: eine fast leere Bühne mit wenigen Lichteffekten; die dreizehn Solisten auf Stühlen vor den sechzehn Musikern; minimale Aktion, viele Gesten und Reaktionen zu Text und Musik - von solch verstörend aktueller Brisanz, dass, nach viel Szenenbeifall zuvor, am Ende die 200 Besucher fast so laut wie ein volles Theater jubelten, unser Kritiker Wolf-Dieter Peter eingeschlossen.

„Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm“ und „… doch die Verhältnisse, die sind nicht so“ – damit war der ganze Abend durch ein Werk von 1928 ganz im Juli 2020 angekommen. Denn leider erweist sich derzeit angesichts aller Party-Exzesse und Randale auch „erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral‘“ als erschreckend gültig. Zwar gibt es jetzt wie eine trotzige Geste des Theaters - „Wir sind höchst lebendig und haben Euch etwas zu sagen“ – nur zwei Aufführungen, doch natürlich taucht das Ganze in der kommenden Saison wieder auf, mit wohl weiter unverändert aktueller Attacke.

Vom theatralischen Lockdown beeindruckt, wirkte der knapp 90-minütige Abend auch ein wenig wie ein Triumph des „armen Theaters“. Natürlich hat einst Jerzy Grotowski (1933-1999) viel umfassender gedacht und geprobt, doch Kernideen wie „ohne Schminke, ohne eigenständige Kostüme und Bühnenbild, ohne abgetrennten Aufführungsbereich (Bühne), ohne Beleuchtungs- und Toneffekte usw.“ schienen von Ferne Pate gestanden zu haben… und prompt entfalteten sich mehrfach Faszination, Glut und raumfüllende Ausstrahlung.

Denn wenn eine Dagmar Hellweg mit ihrer ganzen theatralischen Aura nach vorne tritt und diesen Gauner und kaltblütigen Killer Mackie Messer vorstellt, dann braucht es keine Star-Diseuse als Gast für Celia Peachum. Gleiches gilt für Erwin Windeggers Peachum, diesen zum Boss im feinen Tuch aufgestiegenden Edelgauner, der alles Elend managet: sein Morgenchoral trieft vor Ironie und entlarvt alle Gefühle um den „Mond über Soho“. Wie schon in der Uraufführung löst der hämisch brutale „Kanonen-Song“ dann den ersten Szenenapplaus aus, auch wenn Bariton Stefan Bischoff als Polizeichef Brown viel mehr „Peng“ verstrahlen sollte. Maximilian Mayers Mackie Messer dagegen hat die schneidende Tenor-Kälte und lässige Eleganz. Nadine Zeintls Polly singt nicht nur vom „Hinlegen“, sondern räkelt sich auch eindeutig lasziv, während Mackies andere Braut Lucy von Anna-Katharina Tonauer ihre Mordphantasien in eine gefeierte vokal-theatralische Opernparodie verwandelt… und Julia Klotz‘ Jenny bringt in ihrer erotisch süffigen Zuhälter-Ballade alle Männer ins „Kreiseln“ – um ihre Stühle zunächst…

Das alles gelingt, weil Chefdirigent Antony Bramall mit seinen sechzehn, auf pflichtgemäßem Abstand sitzenden Instrumentalisten an Brechts berühmtes Münchner „Glotzt…“ anknüpft und mit „Hört nicht so romantisch“ Weills Intention klanglich umsetzt: unsentimental straff, kantig, schnell, knallig unschwelgerisch – bis ins gar nicht larmoyante Harmonium oder ins ironisch klagende Fagott der „sexuellen Hörigkeit“. Der schräge Spott, die fast höhnischen Zitate und die dennoch mitreißende Melodik und Rhythmik von Kurt Weills Musik wurden lebendig. Wieder einmal war hörbar, welche hochklassige Schiene moderner, sofort zugänglicher Musik da von den brauen Kulturbarbaren abgetötet wurde. Mit den kurzen, verbindenen Texten von Stephen Hinton entfaltete dieser Abend des „armen Theaters“ dennoch den ganzen Reichtum künstlerischen Ausdrucks: dass die „Verhältnisse“ nicht billigend in Kauf zu nehmen sind.

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