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Katharina Kost-Tolmein und Ryusuke Numajiri. Foto: Jochen Quast.
Katharina Kost-Tolmein und Ryusuke Numajiri. Foto: Jochen Quast.
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Mit Opern über die Welt sprechen – Katharina Kost-Tolmein zum Abschluss ihrer Zeit in Lübeck

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Als Katharina Kost-Tolmein 2005 eine Stelle in der Dramaturgie am Theater Lübeck übernahm, waren zwei Jahre Verbleib angedacht, wie sie in einem Gespräch bekannte. Daraus wurden 15, in denen sie bis zur Operndirektorin aufstieg: eine Spitzenposition im Theater Lübeck, die sie als erste Frau errang. Ein Novum, denn im gefächerten Direktorium dort ist Gleichberechtigung bisher nicht eingezogen, wird es auch nach ihrem Weggang nicht. Aber eine Frau hat immerhin sieben Jahre Erfahrung an der Spitze einer Sparte sammeln können und wird sie ab 2022 in Münster als Generalintendantin eines Mehrspartenhauses umsetzen können.

Nicht nur durch ihren Weggang muss sich das Theater auf der Leitungsebene neu erfinden. Mit Ryusuke Numajiri begann es, als er 2017 die Position des Generalmusikdirektors frei machte, ein Jahr vor seinem offiziellen Vertragsende. Eine verwirrende Findungszeit folgte, bis mit der Saison 2019/20 Stefan Vladar kam und das Konzertwesen neu orientierte. Nahezu gleichzeitig schlug der Geschäftsführende Direktor Christian Schwandt auf die Pauke und verkündete, dass er Lübeck vorzeitig verlassen werde. Verärgert war er über zu geringe Unterstützung durch das Land für „sein“ Theater. Es sei ihm gewünscht, dass er in sehr ähnlicher Funktion in Schwerin Gedeihlicheres vorfindet. Sein Nachfolger wird Caspar Sawade sein. Ursprünglich Schauspieler, hatte er die gleiche Position bereits am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau inne 

Da auch die Operndirektorin vor dem Ablauf ihres Vertragsendes geht, sogar zwei Jahre, übernimmt Stefan Vladar ihr Feld kommissarisch. Bernd Reiner Krieger, Chefdisponent, wird sein Stellvertreter und dazu Künstlerischer Betriebsdirektor für das Musiktheater. Er ist ein Mann der Praxis, der auch die Opernregie beherrscht. Das zeigte er zuletzt mit einem plausiblen „Otello“.

Es ist genug

Der Eindruck entsteht, dass an diesem Haus sich das verfrühte Weggehen zum Muster entwickelt habe. Bei Numajiri sind die Gründe nicht öffentlich geworden, für die scheidende Operndirektorin ist es einfach an der Zeit. Die habe sie „lang genug“ empfunden. Sicher hätten die anderen Wechsel auch etwas mit ihrem Entschluss zu tun, denn sie möchte „in Ruhe und aufbauend auf dem, was erreicht war, den Kreis sich schließen lassen.“ Bliebe sie, hätte das noch eine „neue Sortierphase“ an der umbesetzten Spitze nötig gemacht. Dreimal hatte sie das erfahren, denn dreimal wechselten während ihrer Zeit die GMDs, ihre wichtigsten Partner im Opernbereich. Als sie kam, war es Roman Brogli-Sacher, Ryusuke Numajiri folgte und dann Stefan Vladar, wahrlich drei ganz unterschiedliche Charaktere! Deshalb freut sie sich auf das ganz Neue, auf das Mehrspartenhaus mit eigenen Ensembles für Oper, Operette, Musical, Schauspiel, Tanztheater und einem Jungen Theater. Zwei Jahre kann sie sich darauf vorbereiten.

Ein Werdegang

1973 wurde sie in Ludwigshafen geboren, erwarb nach Ausbildung in Karlsruhe und Brüssel ihr Klavier-Diplom, studierte in Heidelberg Musikwissenschaft und Philosophie und war 2004 bis 2006 Stipendiatin der Akademie Musiktheater. Zwischenzeitlich promovierte sie 2005 über „Das tragico fine auf venezianischen Opernbühnen des späten 18. Jahrhunderts“. Kurze Engagements in der Operndramaturgie folgten (Mannheim und Heidelberg) und brachten sie 2005 nach Lübeck. Als Musikdramaturgin stieg sie ein, übernahm zwei Jahre später die Leitung der Opernabteilung und wurde zur Stellvertreterin des Operndirektors, damals Brogli-Sacher. Nach dessen Weggang bekam sie in der Spielzeit 2013/14 die volle Verantwortung im Opernsektor. Ihr zur Seite stand Ryusuke Numajiri als GMD und man erfand für das Spielzeitheft die Formel „Gemeinsam auf einem neuen Weg“. Gibt es eine weibliche Sicht auf Oper, war deshalb eine Frage. Sie wurde verneint. Es sind immer die großen Charaktere, Männer oft, vielleicht mehr noch Frauen, die durch die Komponisten ihre Einmaligkeit bekommen. Noch zu Beginn ihrer Zeit als Operndirektorin nannte sie „Falstaff“ ihre Lieblingsgestalt, einen Mann. Und Numajiri? Für ihn war es eine Frau, die Marschallin im „Rosenkavalier“. So ist Theater! Doch verbindet die Figuren, dass „sie in ihrer Verletzlichkeit authentisch sind“.

Die Akzente erweiterten sich. Zuletzt bestimmten große Themen ihre Spielplankonzeption. Sie wollte „anhand von Theateraufführungen über die Welt sprechen“ und hatte darin einen vorausweisenden Instinkt. Bevor öffentlich irritierende Fragen wie Armut und Diskriminierung mit Kolonialismus und Rassismus verbunden wurden, standen bereits Piazollas „María de Buenos Aires“ (Regie: Rainer Vierlinger), Milhauds „Christophe Colomb“ (Regie: Milo Pablo Momm) oder Grauns „Montezuma“ (Regie: Ingo Kerkhof) auf der Agenda, Unbekanntes zum einen, zum anderen Werke, die stilistisch vom Barock bis in die Gegenwart den Bogen spannten. Sorgfältig wurde das aufbereitet, auch die Bezüge zueinander, oft mit Hilfe anderer kultureller Institute der Stadt, darunter die Museen, speziell die Völkerkundesammlung. Das half zu beleben und den Vorwurf, Musiktheater sei museal, zu entkräften. Dass dabei Probleme auftraten, die oft sehr diffizilen Anspielungen oder Bedeutungen der Objekte oder der Handlung zu verstehen, gab die Operndirektorin zu. Wenn da Wünsche blieben, habe das die spezielle, zeitlich oft enge Situation im Theaterbetrieb verschuldet.

Das Unvergessliche

Und dennoch: Was erreicht wurde, darf getrost „bewundernswert“ genannt werden, denn das Besondere war immer dabei, in der Wahl der Werke, in der Wahl der Ausführenden, und da vor allem bei der Regie. Eine, zugegeben sehr subjektive Hitliste mit den besonders attraktiven Inszenierungen, nachträglich und bei der Vorbereitung dieses Berichtes angelegt, zeigt eines: ihre Zahl nahm von Saison zu Saison zu! Noch als Dramaturgin forderte sie Per Nørgårds „Der göttliche Tivoli“ heraus. Es war der grandiose Schluss einer Reihe mit skandinavischen Opern in der Ära von Marc Adam, damals Generalintendant. Nørgårds Hauptfigur faszinierte, ein psychisch Kranker, der Anlass zu fragen gab, was Kunst im menschlichen Leben bewirkt. Es war eine Deutsche Erstaufführung (März 2007), aufbereitet auf beispielhafte Art. Von der musikalischen Qualität zeugt eine Schallplatteneinspielung, dabei Andrea Stadel und Steffen Kubach, auch heute noch Stützen im Ensemble. Für das spektakuläre Bühnengeschehen sorgte Sandra Leupold, der an der Beckergrube immer wieder Außergewöhnliches gelang. Eine Inszenierung von Verdis „Don Carlo“, dramaturgisch wieder betreut von Katharina Kost-Tolmein, erhielt 2013 den Deutschen Theaterpreis „Der Faust“, der damals erstmals an eine Opernregisseurin vergeben wurde. Zwei Jahre später nominierte die Opernwelt sie zur Regisseurin des Jahres. Grundlage war ihr Lübecker „Così fan tutte“. (NB: Einen Preis verdient hätte auch Salvatore Sciarrinos „Luci mie traditrici (Die tödliche Blume)“ mit einer großartigen Wioletta Hebrowska.) Lübecks Opernwelt gewann zunehmend Profil, nicht immer zum Gefallen aller (zum Beispiel: Jochen Biganzolis „Freischütz“). 

Vieles begleitete sie dramaturgisch, besonders oft bei Anthony Pilavachi, wo es die Hälfte seiner 18 Inszenierungen wurde. Sie nennt Pilavachi einen „in Lübeck sehr geschätzten Regisseur, auch beim Publikum“, dessen DVD vom „Ring“ 2011 mit dem Preis der Schallplattenkritik ausgezeichnet wurde und ein Jahr später den „Echo Klassik“ erhielt. Im Gespräch ließ sich auch heute nicht klären, weshalb er im Januar 2015 nach der begeistert aufgenommenen Premiere von Berlioz‘ „La Damnation de Faust“ verkündete, nie mehr in Lübeck arbeiten zu wollen. Aber das scheint vergessen. Der Spielplan für die nächste Saison listet ihn wieder als Regisseur auf.

Besonders angekommen sind Barock- und Vorklassikaufführungen, trotz der heiklen Frage, „wie ist das mit dem modernen Orchester?“ Nur ein Beispiel sei genannt, Tom Rysers pralle Realisation von Purcells Semioper „The Fairy Queen“, auch sie weithin beachtet. Was die Operndirektorin darüber hinaus in Erinnerung behält, „waren vor allem Produktionen, die uns in den Anforderungen an den Rand gebracht haben, die wir trotzdem bewältigen konnten.“ Sie nennt in Biganzolis Regie Schrekers „Der ferne Klang“ und Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“, auch Bernsteins „Mass“, inszeniert von Tom Ryser, choreografiert von Lillian Stillwell  und mit einem überragenden Gerald Quinn in der Rolle des Zelebranten. Viele Regisseure begeisterte sie für Lübeck, darunter Peter Konwitschny, der Verdis „Attila“ erarbeitete und Mussorgskys „Boris Godunow“. Zuletzt war es die Uraufführung von Richard van Schoors „L’Europénne“, eine spektakuläre Bühnenpräsentation, die ergreifend die mörderische Wirkung von europäischem Müll in Afrika erlebbar machte. Dankbar ist sie, „dass wir dies gerade vor Corona noch hinbekommen haben“.

Und das virale Ende

Der Rest fiel dem Virus zum Opfer, darunter eine reizvolle Antwort auf die „L’Europénne“, die van Schoor sich selbst mit einer Bearbeitung von Meyerbeers „L’Africaine“ geben wollte, auch das eigentliche Finale mit Verdis „Simon Boccanegra“. Ein Versuch, noch etwas zu gestalten, war am 13. Juni 2020 „Alive.Saisonschluss-20“. Viele konnten sich das Ergebnis im Home-Office via YouTube ansehen. 20 Erwählte durften sich zur Premiere und einzigen Präsentation auf der Bühne platzieren, selbstverständlich nach Vorschrift im Abstand und maskiert. Um sie herum ereigneten sich Videoeinspielungen aus Vogel- und vielerlei anderen Perspektiven, teils in Konferenzschaltung. Ein paar Solobeiträge, ein Duett und knappe Ensembles aus allerlei Produktionen klangen in dem Flickopernwerk trotzdem gut und hatten sogar Bezug zu ein paar Besonderheiten, die die Zeitumstände brachten.

Was wird die Zukunft bringen? Katharina Kost-Tolmein ist gelassen und optimistisch. Sie glaubt nicht, dass das Publikum nach Corona das Theater vergessen haben wird: „Wenn dann wieder gespielt werden darf, wird der Hunger nach Oper die Menschen wieder ins Haus bringen.“

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