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Foto: Tobias Heitz (Hochschule der Bildenden Künste Saar)
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Spagat auf der Rasierklinge – Uraufführung von „Nacht mit Gästen“ von Stefan Litwin an der Hochschule für Musik Saar

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Saarbrücken, im Oktober – Als Höhepunkt der Premierenfeier gab's noch das Lob von Gunilla Palmstierna-Weiss. Die freundliche alte Dame, angereist aus Stock­holm, fand die wärmsten Worte für Sänger-Darsteller, Regie, Komposition, ausdrücklich für die Kostüm- und Bühnenbilder. Was Letzteres angehe, spreche natürlich die Bühnen- und Kostümbildnerin, allgemein der „Bühnenaffe“ in und aus ihr. Das war nett gesagt, man mochte spontan unterschreiben. Ein dunkles Stück Musiktheater nach einem Theaterstück von Peter Weiss hatte soeben eine glänzende Uraufführung erlebt – an einer bundesdeutschen Musikhochschule.

Dabei balancierte dieses 70-Minuten-Stück buchstäblich auf des Messers Schneide. So sehr uns ja die Horror- und Gewaltorgien in einer Tour zu den besten Sendezeiten über alle Mattscheiben in die Stube flackern, an spritzendem Blut, abgetrennten Gliedmaßen nicht gespart wird – so sehr zucken wir unwillkürlich zurück, wenn der Schlächter auf der Theaterbühne erscheint. In „Nacht mit Gästen“, uraufgeführt im November 1963 im Berliner Schiller-Theater, heißt er Kaspar Rosenrot. Klar, weshalb Peter Weiss ihn so getauft hat. Nichts reimt sich besser auf den Sensenmann. „Ich bin der Kaspar Rosenrot / mit meinem Messer stech ich euch tot“. So die Selbstvorstellung desjenigen, der im Schutz der Dunkelheit in das Haus einer Familie eintritt, deren Namen wir ebensowenig erfahren wie den Grund des Überfalls. Das Unheil hat keinen Namen. Es ist da. Und wir sind in der Klemme. Was die Klarnamen betrifft, brauchte sie Peter Weiss nicht anzugeben. Sie waren in Eichmann- und Auschwitz-Prozessen endgültig publik, unleugbar geworden.

Nur, wie sich dem Unheil entgegenstellen? Wie sich wehren? Und womit? Ein Lebensthema für Peter Weiss. In „Nacht mit Gästen“ hatte er dafür das aufsässige Potential der alten Kasperlebühne mobilisiert, reaktiviert, gewissermaßen die derb-groteske Theatervorwegnahme der „Ästhetik des Widerstands“. In den flächigen, Tiefe meidenden Brecht-, Becketbühnen der Zeit bot sich ihm nicht nur eine Möglichkeit, die Sackgase des Illusionstheaters zu vermeiden, sondern auch auf ein einbrechendes Unheil autonom zu reagieren, ohne vor dem Schrecken in die Knie zu gehen. Offenbar war der Autor glücklich, als ihm der Uraufführungsregisseur vorschlug, „Nacht mit Gästen“ zusammen mit Samuel Beckets „Spiel“ zu kombinieren, dieser Dreiecks­geschichte Mann zwischen zwei Frauen, wobei „M“, „F1“, „F2“ kontinuierlich in Urnen stecken, nur die Köpfe sichtbar.

Sich daran zu erinnern war eine der glücklichsten Entscheidungen der Regie, um im Theatersaal der Saarbrücker Musikhochschule eben jene nicht-psychologisierende Frontalität für die Inszenierung der Musiktheaterversion zu nutzen. Die Bühne von Annette Wolf windschief, zweidimensional, grell ausgeleuchtet. Die Interaktion darauf angedeutet, man schaut, man spielt in Richtung Publikum, wodurch dasselbe Spiel etwas Maskenhaftes annimmt. Hart dagegen geschnitten das Derbe einer bäuerisch-französischen Lebenswelt, das grotesk Gezopfte der Haartrachten, die Bewegungen wie die von Marionetten, besonders auffällig Patrick Bullinger als Warner mit zuckenden Rüttelgesten wie im Electro dance. Man kann die Leistung der Darsteller gar nicht genug rühmen. Immerhin: Neben einer darstellerischen Herausforderung trat für alle auf der Bühne die Herausforderung eines rhythmischen Sprechens, das in jedem Moment in anspruchsvollsten Kunstgesang umschlagen konnte.

Spagat auf der Rasierklinge

Ein Spagat auf der Rasierklinge auch die Regie von Frank Wörner, Leiter einer Gesangsklasse an der Hochschule. Eine, die sich einerseits konsequent sperrt gegen den Wunsch nach „Motiv“, nach „Disposition“, nach „Täterprofilen“, um andererseits mit den jugendlichen Sängerinnen und Sängern individuelle Lösungen anzustreben, um den figurierten Naturalismus, also Nicht-Naturalismus, um das Flächig-Zweidimensionale zu stützen. Wie sehr dieses Stück gegen die Konvention inszeniert war, merkte man unschwer an der problematischsten Figur des Abends. Johannes Kruse als Kaspar Rosenrot, also die Konstruktion eines Bösen, einer Aggression pur, rollte immerzu mächtig mit den Augen, nahm kräftige Anleihen beim großen bösen Wolf. Vielleicht, dass ein konsequentes Spiel mit der nur sporadisch eingesetzten Maskierung (hinter der wieder eine andere Maske erschienen wäre, eine „banalere“, man denke an Hannah Arendt) dieses Glaubwürdigkeitsproblem besser gelöst hätte. Hier zumindest scheint noch Nachbesserungsbedarf.

Das letzte Wort gebührt der Musik und ihrem Komponisten. Zu würdigen wäre hier zunächst die künstlerische Entscheidung Stefan Litwins, etwas ‚nachzuliefern‘, worauf Autor Peter Weiss seinerzeit vergeblich gehofft hatte. Nämlich eine Musik zu „Nacht mit Gästen“, die nicht illustriert, die nicht leierkastet, die vielmehr erstens durchkomponiert und zweitens instrumental am lärmenden Jahrmarkt, an der klackernden Schaubude orientiert ist. Dies hat Stefan Litwin mit einem Ensemblesatz geliefert, der durchsetzt ist von instrumentaler Theatergestik, mit scharrend-schabenden Geräuschen, forcierten Akzenten, explodierenden Gesangslinien. Zuletzt beim Bonner Beethovenfest als glänzender Pianist und Komponist in eigener Sache hervorgetreten, hat er seinem immer anregenden, immer anspruchsvollen kompositorischen Schaffen mit diesem Musiktheater ein neues Juwel hinzugefügt. Man kann auch sagen: ein Stück Widerstands-Ästhetik. Widerstand jetzt nicht mehr strikt im Weiss‘schen, sondern in dem Sinn, dass es unseren Überlebenswillen in einer neuen, anderen Gewaltumgebung stärkt. Darauf kommt es, soviel wird man sagen dürfen, diesem Komponisten an.

Eine Haltung, die im Stück vertreten wird durch die beiden Kinder, die als einzige am Leben bleiben. Anders als die Eltern, als deren erstarrte Angst-Gesten, die zuweilen münden in eine freilich nur angedeutete sexuelle Hörigkeit, bewahren sich die Mädchen ein dem Kasperletheater entlehntes Spiel mit dem Tod. Lisa Bebelaar und Natalie Jurk – auch sie Noch-Studierende wie alle auf der Bühne, im Orchester – machen das ganz großartig, diesen Finsterling in ihrem Haus mit einer Strategie aus List, Schmeichelei, Witz, Naivität einzuspinnen, soweit zu neutralisieren, dass sie selber davonkommen. Nun ja, das „Gold in der Kiste“, das man diesem bösen Kaspar verspricht, gibt es natürlich nicht. Es sind Rüben drin. „Nimm dir ein paar wir können dran nagen / jetzt wo wir solch einen langen Weg vor uns haben.“ – Der Weg dieses Musiktheaters soll in die saarländischen Schulen gehen. Ein mutiger Schritt. Man kann nur die Daumen drücken.

 

 

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