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Herbert von Karajan und Christa Ludwig, die im März ihren 90. Geburtstag feiert. Foto: Siegfried Lauterwasser/DG
Herbert von Karajan und Christa Ludwig, die im März ihren 90. Geburtstag feiert. Foto: Siegfried Lauterwasser/DG
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Tönend über sich hinaus… - Mezzosopranistin Christa Ludwig feiert ihren 90.Geburtstag

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Eben jagte Karl Böhm im Bayreuther Festspielhaus die Leidenschaften tönend-tosend hoch, 1966, in der DG-Aufnahme des 2.Aufzugs des „Tristan“: Isolde Birgit Nilsson wollte jauchzend dem Geliebten das Zeichen geben; Brangäne Christa Ludwig warnte eindringlich, hob plötzlich die Hand und bat in Bayreuths „mystischen Abgrund“ hinunter um Unterbrechung. Sie winkte aus der Kulisse den Assistenten heran, blätterte eine Seite zurück, trat an den Rand zum Graben und flüsterte in schönem Wienerisch „Ich hab‘ eb‘m ‚weil du erblödet, wähnst du den Blick der Welt erblindet‘ g‘sungen – es muss umgekehrt…“ Böhm raunzte etwas Unverständliches zurück, biesterte noch hörbar „Birgit, schrei‘ ned‘ a‘so!“ – dann tobten die Liebeswogen erneut und später erklangen die schönsten „Habet Acht!“-Rufe Brangänes, die die damalige Musikwelt kannte…

Diese kleine Szene charakterisiert perfekt die Grande Dame aller Mezzosopranistinnen: Christa Ludwig, die heute ihren 90.Geburtstag feiert. Wache Selbstkontrolle und grandioses Tönen über alle Noten hinaus – das machte einen Abend mit „der Ludwig als…“ zum unvergesslichen und Maßstäbe setzenden Erlebnis. Und das „als…“ umfasste Novitäten bei den Donaueschinger Musiktagen, über Dürrenmatt-von Einems „Alte Dame“, Bernstein, Strauss, Bartok, Berg, Orff, Puccini, Mahler, Berlioz, Bizet, Saint-Saens, Verdi, Bellini, Rossini, Mozart, Gluck, Händel bis zu Monteverdi nahezu „alles“ – neben vielen, vielen anrührenden oder auch expressiv überwältigenden Liederabenden auch eine der ersten weiblichen „Winterreisen“.

Begonnen hatte das 1928 in einem enorm, ja außerhalb der Norm prägenden Elternhaus: der Vater Sänger-Intendant, die Mutter Sängerin, lebenslang beratende – „Du bist zum Talent verdammt“ - und kontrollierende „Wächterin“ über ein hochbegabtes Mädchen, das alles zum Theater und Singen von Anfang an mitbekam, imitierte und studierte. Das half nach dem Ausgebombtsein, speziell 1946 am Anfang der Besatzungszeit: im Berliner GI-Club Songs für Zigaretten, die sie dann tauschen konnte.

Im Gegensatz zu den meisten heutigen „Star-Karrieren“ oder PR-Hypes: Stufe für Stufe an die Spitze – Gießen, Frankfurt, Darmstadt, Hannover bis 1955 Karl Böhm die hochgewachsene junge Frau mit der enormen Bühnenpräsenz an die Wiener Staatsoper holte. Und wieder gesund: nach den frühen Azucenas und Lady Macbeths in den kleineren Häusern – prompt mit den kleinen Gefährdungen fürs Feine und Piano – jetzt in Wien Cherubino, Dorabella und weiterer organischer Repertoireaufbau. Es war einer mit Grenzen: angesichts des herrlich strömenden, zu weicher Tiefe fähigen Mezzosoprans, dem auch ein strahlendes C zu Gebote stand, kam über Fidelio hinaus natürlich das mehrfache Angebot zu Brünnhilde und von Böhm, Karajan und Bernstein das Drängen zu Isolde. Doch so wie Christa Ludwig selbst in ihren konstitutionell kräftigsten Jahren klug genug war, die Fidelio-Leonore nur einmal in der Woche zu singen, so schmerzlich einsichtig war sie, zu erkennen, dass sie mit der Isolde ihrer Stimme Gewalt antun würde – so wie sie Verdis Eboli nach einem missglückten Spitzenton nie mehr sang.

Nach 46 Jahren Weltkarriere - neben allen anderen ersten Namen der Opernwelt - in Wien dann ein rundum bedauerter, strahlender Karriereabschied mit 66 Jahren und einem besonderen Ende draußen vor der Bühnentür: „Ich wollte mich mal in Ruhe erkälten. So lange musste ich aufpassen auf diese blöden Stimmbänder! Ich hab‘ den Mantel auf- und den Hals freigemacht und ging in den Schnee.“

Vieles ist in Lexika, Biographien und gehaltvollen Interviews in Wort, Ton und Bild nachseh- und nachlesbar, mehr als in anderen Sängerbüchern auch nachlesenswert. Für alle die, die „la Ludwig“ nicht mehr live erlebt haben, gibt die Fülle ihrer Aufnahmen und Mitschnitte betörenden Trost. Für den Stimmfreund sein müssen: als Einstieg die pure vokale Verführung der Dalila in der Patané-Einspielung; Maßstab-setzend unerreicht: die Judith neben Damals-Ehemann Walter Berry in Bartoks „Blaubart“ unter Istvan Kertész; antiquarisch die CD zum 70.Geburtstag mit Elektra und Brünnhilde-Ausschnitten von 1964; neben etlichen akustischen Mitschnitten die Fernseh-Aufzeichnung ihrer in Bann schlagenden „Fidelio“-Leonore aus der Deutschen Oper Berlin 1963; der Bootleg-Mitschnitt der 1966 als die „wahre künstlerische Eröffnung der neuen Metropolitan Opera“ gefeierten „Frau ohne Schatten“ mit dem „Dream-Team Böhm-Rysanek-King-Ludwig-Berry“; die offiziellen „Tristan“- und „Parsifal“-Einspielungen.

Und dann gibt es eine Aufnahme, die jeden Musikfreund anrühren und überwältigen wird: 1966 nahm der schon schwer kranke Otto Klemperer in London Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ auf; Fritz Wunderlich sang wie von Todesahnungen durchdrungen ein bislang unübertroffenes „Trinklied vom Jammer der Erde“ – und wenn dann Christa Ludwig im „Abschied“ nach dem kleinen Orchesterteil mit „Die liebe Erde…“ wieder einsetzt, muss man schon hartgesotten sein, um nicht feuchte Augen zu bekommen, weil da Töne über sich hinausweisen ins finale „Ewig… Ewig…“. Da ist über alle Glückwünsche hinaus „Danke“ zu sagen – für etwas „mehr als…“, das der singende Mensch vermitteln kann… was einen durchs Leben begleitet und bleibt…

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