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Camilo Delgado Diaz (Tenor, sitzend), Natalie Peréz (Mezzosopran, stehend), József Gál (Tenor, sitzend). Foto: Heidelberger Frühling / studio visuell
Camilo Delgado Diaz (Tenor, sitzend), Natalie Peréz (Mezzosopran, stehend), József Gál (Tenor, sitzend). Foto: Heidelberger Frühling / studio visuell
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Verheddert – „Castor && Pollux“ multimedial beim Heidelberger Frühling

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„Wie wollen wir leben?“ ist das diesjährige Motto des Heidelberger Frühlings (16.3.-14.4.). Den Blick nach vorne gerichtet hat Intendant Thorsten Schmidt vor allem im sogenannten LAB, das Vertreter verschiedener Künste vereint und mit neuen Konzert- und Musiktheaterformen experimentiert. Mit der Uraufführung von „Castor && Pollux“ präsentierte man nun in der gediegenen, holzgetäfelten alten Aula der Universität Heidelberg ein „Multimediales Musiktheater für Ensemble, Videokunst und 4DSOUND“, wie sich der rund 70-minütige Abend nennt. Das klingt zumindest schon mal sehr nach Innovation und neuen Hörerlebnissen. Ob das eingelöst wurde, beantwortet Georg Rudiger.

Ein Gitterboden wurde in der alten Aula eingezogen. Einige Damen müssen deshalb am Eingang ihre Absatzschuhe gegen Puschen tauschen, um nicht im begehbaren Soundsystem stecken zu bleiben. In der Saalmitte steht eine achtsäulige Lautsprecherkonstruktion. Mehrere Monitore und eine große Leinwand am Kopf des Saals, wo auch das Barockensemble The Rossetti Players unter der Leitung von Barbara Konrad postiert ist, komplettieren das Setting. Die acht Mitglieder des Vokalensembles haben sich unters Publikum gemischt, das zum Teil auf Holzbalken sitzt.

Der Abend ist dem ewigen Wunsch nach Unsterblichkeit auf der Spur und sucht den Brückenschlag zwischen dem antiken Mythos von „Castor und Pollux“ und künstlicher Intelligenz, zwischen den barocken Klängen aus Jean-Philippe Rameaus gleichnamiger Oper und der Live-Elektronik von Lukas Rehm, der auch die Videos für den Abend gedreht hat. Leider hält die Musiktheater-Produktion (Lisa Charlotte Friederich/Libretto, Regie; Jim Igor Kallenberg/Dramaturgie) nicht das, was sie verspricht. Sie verheddert sich in den vielen Bezügen, die sie zu spinnen versucht. Vor allem schafft sie zu wenig musiktheatralische Präsenz.

Schon der Beginn ist verschenkt, wenn Natalie Pérez die gesamte Geschichte von „Castor und Pollux“, dem menschlich-göttlichen Zwillingspaar, nüchtern erzählt. Was hätte man aus einzelnen Szenen an musikalischer Dramatik entwickeln können, etwa wenn Castor tödlich verletzt wird und in die Unterwelt geht, wenn Pollux von Sehnsucht zerrissen ist und dem Bruder für einen Tag in den Hades folgt. Rameaus Ouvertüre erklingt erst danach – zunächst federnd-majestätisch gespielt vom neunköpfigen Barockensemble, dann, digital bearbeitet, über die Lautsprecher geschickt. Die Maschine ersetzt den Mensch. Dazu flimmern Videos über die Monitore vom Bergmassiv „Castor und Pollux“ in den Walliser Alpen, später auch Statements von Wissenschaftlern oder rein digitale Landschaften.

Die acht Sängerinnen und Sänger wandeln durch den Raum, stellen sich als Castor oder Pollux vor und erzählen vom Heidelberger „Human Brain Project“, für das in einem vierstöckigen Gebäude ein menschliches Gehirn als Riesencomputer nachgebaut wird. Die gesungenen Arien, Duette und Chöre von Rameau können einzelne berührende Momente schaffen, hängen aber zusammenhanglos im Raum. Dazwischen prägt auch immer wieder die elektronische Musik von Lukas Rehm das Geschehen mit wabernden Klangflächen, vielfarbigem Rauschen und durchaus faszinierenden Soundkreationen in exzellenter Klangqualität. Ein zwingender Kontakt zwischen den verschiedenen Elementen des Abends entsteht aber nicht. „Castor && Pollux“ gleicht einer Collage – montiert aus Versatzstücken, die zu wenig miteinander zu tun haben. So bleiben auch die Figuren bei diesem Laborversuch bis zum Schlusschor „Que les cieux, que la terre“ gesichtslos und austauschbar.

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