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Operette sich wer kann

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Über das Leichte, das so schwer zu machen ist
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Dem Musikjournalisten Gerhard Rohde zum Siebzigsten ein Lob zu singen, das verlangt nach einem hohen Ton, der dem Jubilar selbst nicht eigen ist und den das Taktgefühl mir deshalb verbietet. Freund Rohde preisen hieße gewissermaßen den Wiener Walzer nach Bad Ischl tragen wie die sprichwörtlichen Eulen nach Athen. Für mich ist Gerhard Rohde, schlicht und ergreifend von allen praktizierenden Musikkritikern der kenntnisreichste und urteilssicherste.

Dem Musikjournalisten Gerhard Rohde zum Siebzigsten ein Lob zu singen, das verlangt nach einem hohen Ton, der dem Jubilar selbst nicht eigen ist und den das Taktgefühl mir deshalb verbietet. Freund Rohde preisen hieße gewissermaßen den Wiener Walzer nach Bad Ischl tragen wie die sprichwörtlichen Eulen nach Athen. Für mich ist Gerhard Rohde, schlicht und ergreifend von allen praktizierenden Musikkritikern der kenntnisreichste und urteilssicherste.Vor allem ist, was er schreibt und wie er schreibt, meist wunderbar unprätentiös und auf den Punkt.Wenn er denn schreibt! Denn die meiste Zeit kommt er gar nicht dazu. Sein Neben- beruf hält ihn über weite Strecken davon ab. Der Mann ist nämlich Fernfahrer und gibt vor, sich bei langen Autofahrten zwischen weit auseinander liegenden Premierenorten zu erholen. Er kommt dabei so viel herum, dass er manchmal mit dem Artikel fab- rizieren gar nicht mehr nachkommt. Das mag seine Redakteure nerven. Aber was er dann zu Papier bringt, versöhnt dann wieder, weil es von den Erfahrungen profitiert, die er uns zwischendurch vorenthalten hat.
Leicht könnte ich mir diesen rasenden Reporter deshalb als Helden eines Roadmovies vorstellen, mit viel Straßenmusik natürlich, oder als Titelfigur einer zeitgemäßen Oper: der Kritiker als ein „Fliegender Holländer“ der Highways, dem der aktuelle Kulturkalender die Route vorschreibt und bei dem Routine nie aufkommen kann, weil die selbstverordnete Unrast ihn davor rettet. So kennt Rohde, indem er die europäischen Musikzentren abfährt, wie kein zweiter das Repertoire rauf und runter. Umso schätzenswerter ist, dass diese Umtriebigkeit seiner Neugier und seiner Begeisterung über das überraschend Gelungene nicht im Wege steht. „Mir ist manches schon passiert, aber so etwas noch nicht“ singt Oberst Ollendorf im „Bettelstudent“. Es ist gewiss kein Zufall, dass Millöckers Gustostück zu Rohdes Operettenfavoriten gehört.

Überhaupt scheint es mir ratsam, sich an die Spielregeln der klassischen Wiener Operette zu halten, will man Gerhard Rohdes geistiger Verfassung auf die Fährte kommen. Was nebenbei bemerkt gar nicht so einfach ist, denn wir haben es mit einem begnadeten Selbstdarsteller im dunkelgrauen Tarnanzug zu tun, der seine Verletzbarkeit hinter Zynismus glänzend zu verstecken weiß. Einer seiner Tricks ist, so zu tun als nähme er nichts wirklich ernst. In Wahrheit nimmt dieser scheinbare „Bruder Leichtfuß“ nicht mal auf die leichte Schulter, was die meisten seiner Kollegen nur als albern abtun. Dieser Gerhard Rohde ist der einzige mir bekannte seriöse Feuilletonist, der die tausendfach geschmähte und totgesagte Operette liebt und der aus seinem Herzen keine Mördergrube macht. So reist er einer Neuinszenierung der „Csardasfürstin“ genau so erwartungsvoll hinterher wie einer „Götterdämmerung“.

So selbstverständlich wie nach Aix, Bayreuth oder Salzburg lockt es diesen Zugvogel nahezu jeden Sommer zu den Operettenwochen nach Bad Ischl.

Privat ist Gerhard Rohde berühmt für sein Vergnügen an verbalen Seitenhieben und an der pointierten Formulierung frei nach dem Motto „Lieber einen Freund verlieren als einen Scherz verschenken“. Da heißt es dann manchmal: Operette sich wer kann! Ich habe diesen schneidenden Wortwitz, auch wenn er sich gegen mich richtete, um seiner Treffsicherheit willen, meistens goutiert. Zumal sein Urheber im Falle einer spitzen Replik auch immer über sich selbst lachen kann. Und ich vermute, dass Rohdes Antenne fürs Absurde bei ihm letztlich auch das Vergnügen an der Operette geweckt hat, weil der höhere Unsinn dieses unterschätzten Genres dem real existierenden Wahnsinn gefährlich nahe kommen kann. Womöglich ist es sogar diesem Spaß am Schrägen zu verdanken, dass dieser zweifellos „wichtige“ Kritiker niemals ernsthaft gefährdet war, den „Großkritiker“ mit den dazugehörenden wichtigtuerischen Gebärden zu spielen.

Unfreundliche Freunde sagen Rohde gelegentlich nach, er verschieße sein Pulver bei Wirtshausdialogen. Das ärgert ihn, weil es nicht stimmt. Es ist nur so und das ehrt ihn, dass ihm die Rolle des Musikpapstes nicht passt und er sich eher als Vermittler künstlerischer Absichten versteht. Aus gegebenem Anlass kann er sehr wohl massiv zur Sache gehen. Dann ist der Kritiker ein enttäuschter Liebhaber. Wenn beispielsweise eine arrogante Schauspieltruppe sich erdreistet, seine geliebte „Fledermaus“ zu vergeigen, dann kennt der Schreiber kein Pardon. Dass das angeblich „Leichte“ oft am schwersten zu erreichen ist, gehört zu den prägenden Erfahrungen. In diesem Sinne kann Gerhard Rohde es sich leisten, mit den Kenntnissen, über die er verfügt, nicht zu prahlen. Scheinbar leicht ist auch seine Art zu schreiben und das macht ihn so gut lesbar. Gratulation!

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