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neue musikzeitung Dezember 2025 - Januar 2026. Seite 1

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Leitartikel von Theo Geißler
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Unser Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier singt gerade ein Loblied auf das „Ehrenamt“. Ist dieser Song angesichts eines vermutlichen Wertewandels weg vom Freiwillig-Engagieren hin zum Gutverdienen, zu einer Work-Life-Bilanz mit klarem Akzent auf „Life“ stimmig? Sind die Loblieder und Dankes-Kotaus für – am ganzen Haushalt gemessen – verteilte Notgroschen aus bangen Kehlen festangestellter Kulturfunktionäre angemessen? Übertönen sie die existenziellen Hilferufe der als freiwillige Leistungen herabgewürdigten kommunalen Musikförder-Institutionen aller Art?

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Das Loblied auf das Ehrenamt klingt in einer Gesellschaft, die „Life“ offenbar höher schätzt als „Work“, schnell wie ein KI-generierter Werbespot-Sound. Aber das sagt eher etwas über unsere Gesellschaftspolitik und Arbeitswelt als über die Idee des Ehrenamts selbst. Die eigentliche Peinlichkeit liegt darin, dass dieselbe Politik, die bei Gelegenheit Kunst und Kultur als „Rückgrat der Gesellschaft“ oder gar „Kitt“ hochjodelt, ein System verwaltet, das einen Großteil unserer „alten“ und der „neuen“ Bevölkerung in straff getaktete Lohnarbeit drückt. Es überrascht kaum, wenn dank multipler zusätzlicher Verblödungsablenkung Zeit, Kraft und Motivation für unbezahlte oder kaum entlohnte Dienste am Gemeinwesen fehlt. In dieser Schieflage wirkt das Ehrenamts-Pathos wie der Aufruf, das sinkende Schiff doch bitte freiwillig leer zu schöpfen, während auf der Kommandobrücke noch am Business-Lunch gefeilt wird. Politiker verteilen Orden und warme Worte, während gleichzeitig eine Ökonomie gepflegt wird, in der viele froh sind, wenn sie überhaupt ihre Miete zahlen können.

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Und dann schwadroniert da Kulturminister Weimer in tiefer Unschuld, der mit seiner eigenen Medienfirma Schlagzeilen produziert, weil sie angeblich teure „Einfluss-Pakete“ mit exklusivem Zugang zu Spitzenpolitik anbietet. Ein Geschäftsmodell, das eher nach politischer VIP-Lounge als nach Chancengleichheit für alle müffelt. Wer in so einem Umfeld für „Bildungsgerechtigkeit“ zuständig ist, wirkt ungefähr so glaubwürdig wie ein Lungenarzt, der nebenbei für eine Zigarrenmarke wirbt und beteuert, beides habe selbstverständlich nichts miteinander zu tun. Dass sein Schwerpunkt im Mediengeschäft liegt, wäre ja noch kein Makel – aber Medienkompetenz, die Demokratie stärkt, sieht anders aus als Premium-Tickets zum Ohr eines Ministers zu verscherbeln. Hier droht ausgerechnet der kanzlergepflegte Hüter unserer Bildungsrepublik zum Türsteher eines politischen Stangentanz-Clubs zu werden. Mit tauben Ohren für die Musen.

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