Die Opern in Stuttgart und Hamburg konnten seine Inszenierungen nur in Abwesenheit auf die Bühne bringen. Nun ist der gefeierte Regisseur Kirill Serebrennikow in Moskau nach gut anderthalb Jahren Hausarrest zwar wieder in Freiheit. Aber sein Kampf ist nicht beendet.
Moskau - Erleichtert schaut Kirill Serebrennikow beim Verlassen des Moskauer Gerichtsgebäudes durch seine markante Brille mit schweren schwärzen Rändern. Mehr als anderthalb Jahre des zermürbenden Hausarrests mit massiven Einschränkungen seiner Freiheiten sind an diesem regnerischen Montag für den 49-Jährigen vorbei. Erst einmal. Weltstars und prominente Politiker haben immer wieder laut gefordert, dass der an der Oper Stuttgart und auf Filmfestivals wie etwa in Cannes gefeierte Serebrennikow freikommt. Auch Kanzlerin Angela Merkel setzte sich bei Kremlchef Wladimir Putin für den für seine doppelbödige Kunst bekannten Star ein.
In der Kulturszene verbreitete sich die Nachricht vom überraschenden Gerichtsurteil zum Wochenstart wie ein Lauffeuer. Die Entscheidung sei überfällig, sagt Wladimir Tolstoi, Ur-Ur-Enkel des russischen Klassikers Leo Tolstoi und Putins Berater in kulturellen Angelegenheiten. «Es wird wieder mehr Möglichkeiten für das künstlerische Schaffen geben», sagt er. Der Fall Serebrennikow liegt seit 2017 schwer wie Blei über der Kunstszene in Russland. Er gilt als Symbol des Umgangs mit Menschen, die Teilen des Machtapparats und vor allem der russisch-orthodoxen Kirche unbequem sind.
Zwar gibt es Auflagen. Und so einfach dürfen Serebrennikow und seine drei Mitangeklagten die russische Hauptstadt nicht verlassen. Der Prozess wegen angeblicher Unterschlagung staatlicher Fördergelder in Millionenhöhe geht weiter. Aber wohl auch, weil es bis heute keinen richtigen Beweis für die Anschuldigungen gibt, lässt nun die für ihre Härte berüchtigte Justiz unerwartet Milde walten. Dabei ist es gerade einmal eine Woche her, dass ein anderes Moskauer Gericht den Hausarrest um drei Monate bis Anfang Juli verlängert hatte.
Doch auch der internationale Druck war groß. Immer wieder gab es Auszeichnungen im In- und Ausland. Ende März erhielt Serebrennikow in Abwesenheit den renommierten russischen Filmpreis «Nika» - für die beste Regie. Sein voriges Jahr auch in Deutschland gezeigter Film «Leto» erzählt die Geschichte des sowjetischen Rockstars Viktor Zoi. Zehntausende unterschrieben eine Petition, darunter die Schauspieler Cate Blanchett und Lars Eidinger.
In seiner Heimat ist Serebrennikow wegen seiner mutigen Erzählweisen besonders bei prowestlich und liberal gesinnten Russen populär. Ob Filme, Ballett, Oper oder Theater - er gilt als so vielseitig wie kein anderer russischer Künstler. Die Staatsoper Stuttgart, die 2017 «Hänsel und Gretel» trotz seiner Abwesenheit auf die Bühne brachte, sieht ihn als Regisseur von Weltrang.
Sein Verhältnis zu den Machthabern in Moskau bezeichnet Serebrennikow als distanziert. «Ich vertraue niemandem von ihnen», sagte er einmal in einem Gespräch der Deutschen Presse-Agentur. Er gehört aber auch zu denjenigen kritischen Künstlern, die trotzdem den Dialog suchen mit den Mächtigen. Dass er auch staatliche Mittel für die Kulturarbeit in Anspruch nimmt, haben ihm einige kremlkritische Kunstschaffende zum Vorwurf gemacht.
Der Künstler hat den Ruf, geschickt zwischen dem gesellschaftlichen Druck auf Andersdenkende und dem Anspruch auf Freiheit der Kunst zu balancieren. Ein Beispiel: In deutschen Kinos war sein auch in Cannes ausgezeichneter Film «Der die Zeichen liest» (Utschenik) zu sehen - über einen Schüler, der durch die Bibellektüre radikalisiert wird. Eine subtile Kritik an der russisch-orthodoxen Kirche. 2017 erzählte Serebrennikow in Stuttgart, dass neuerdings seine Homosexualität Thema in Russland sei. Das bereite ihm Sorgen - auch weil Schwule und Lesben massiv ausgegrenzt werden in Russland.
Der Kampf geht weiter. Zufrieden könne er erst sein, wenn diese ganzen «Scherereien» vorbei seien, sagt er beim Verlassen des Gerichts. «Wir werden zeigen, dass wir keine Schuld haben», sagt er. «Das ist noch kein Sieg, aber schon fast.» So richtig psychisch gut gehe es ihm zwar nicht. Aber es warte Arbeit auf ihn - vorerst nur in Moskau.
Erst im Fall eines Freispruchs kann Serebrennikow hoffen, seinen Reisepass wieder zu bekommen, um auch im Ausland seine bei Theatern begehrten Inszenierungen auf die Bühne zu bringen. Der Regisseur will nun in sein Gogol-Zentrum zurück, das als Oase der Freiheit in Moskau gilt. «Wir haben Aufführungen und Proben», sagt er. Es sind seine ersten Worte nach einer langen Zeit des Kontaktverbots mit der Außenwelt. «Die Unterstützung ist wichtig», sagt er. «Aber ich muss wiederholen: Noch ist es nicht vorbei.»