Mehr oder weniger Liberalisierung des weltweiten Handels mit "Kulturdienstleistungen"?
Die EU und GATS
In Artikel 151 des Amsterdamer Vertrags wurde festgeschrieben, dass die Europäische Union (EU) einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedsstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt leisten muss. Dazu gehört auch, dass die EU in Verhandlungen mit Drittstaaten sowie bei Verhandlungen für internationale Abkommen dafür Sorge trägt, dass die kulturelle Vielfalt in Europa und in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union erhalten wird und sich fortentwickeln kann. Die EU muss deshalb jetzt handeln, da in der gerade anlaufenden zweiten Runde der Internationalen Verhandlungen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) die nationale und regionale Vielfalt der Kultur in Europa gefährdet sein könnte. Die EU vertritt bei den GATS-Verhandlungen ihre Mitgliedsstaaten, also auch Deutschland.
Die zwei Seiten der Kunst
Kunst und Kultur haben einen Doppelcharakter. Sie gehören dem Kultursektor an und sind zugleich Wirtschaftsgüter. Ein Abbau von Handelshemmnissen im Bereich der Kulturgüter die besonders von den Vereinigten Staaten von Amerika über das GATS-Abkommen erreicht werden sollen, muss dem Doppelcharakter dieser Güter Rechnung tragen. Eine Liberalisierung des Handels mit Kulturgütern sowie der kulturellen Dienstleistungen muss andere Wege gehen als zum Beispiel die Liberalisierung des internationalen Strommarktes oder des Stahlhandels, in denen weitgehend unter rein kommerziellen Gesichtspunkten Waren und Dienstleistungen ausgetauscht werden. Alle künstlerischen Sparten – also die Musik, die Literatur, die Bildende Kunst, die Darstellende Kunst, die Architektur, das Design, der Film und der Rundfunk - bilden kulturwirtschaftliche Märkte aus.
Der Deutsche Kulturrat hat in einer Stellungnahme (www.kulturrat.de/stellungnahmen/GATS.htm) vor wenigen Wochen betont, dass die bestehende Schutzstandards im gesamten Kulturbereich durch internationale Abkommen, also auch durch GATS nicht gefährdet werden dürfen.
Besonders die Sicherung des Freien Zugangs zu Informationen darf durch GATS nicht angetastet werden. Der freie Zugang zu Informationen ist ein wesentlicher Bestandteil der Demokratie. Der freie Zugang zur Information ermöglicht eine breite Partizipation an der Gesellschaft. Für Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft ist der freie Zugang zu Information unerlässlich. Ohne Auseinandersetzung mit vorhandenem Wissen ist keine Weiterentwicklung möglich. Dieses Recht muss unabhängig von sozialen Schranken jedermann zur Verfügung stehen. Deshalb finanziert der Staat öffentliche Einrichtungen, die den freien Zugang zu Informationen gewährleisten. Diese Finanzierung darf durch GATS nicht als Handelshemmnis eingestuft werden.
Ebenso trägt auch der aus Gebühren finanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk wesentlich dazu bei, dass Bildung, Information, Unterhaltung und Kultur einem breiten Publikum angeboten wird. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gehört darüber hinaus zu den großen Kulturanbietern in Deutschland. Der Bestand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit seinem breit gefächertem Angebot ist unerlässlich. Der Deutsche Kulturrat fordert die EU auf, bei den GATS-Verhandlungen den Gebühren finanzieren öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland zu schützen.
Urheberschutz
Grundsätzlich muss das hohe Schutzniveaus für Urheber- und Leistungsschutzrechte in Deutschland erhalten werden. Der Deutsche Kulturrat geht deshalb davon aus, dass das GATS-Abkommen die bestehenden internationalen urheber- und leistungsschutzrechtlichen Konventionen nicht verändern wird. Den vielfach geäußerten Befürchtungen, das besonders von den Vereinigten Staaten von Amerika die GATS-Verhandlungen genutzt werden könnten, um quasi durch die Hintertür das hohe Schutzniveaus für Urheber- und Leistungsschutzrechte in Deutschland zu beschädigen, werden vom Deutschen Kulturrat sehr ernst genommen. Das Urheber- und Leistungsschutzrecht nimmt geradezu die Funktion eines „Marktordnungsrechts“ ein. Ein hohes Schutzniveau ist Anreiz für die Kreativen, Leistungen zu schaffen und für die „Vermarkter“, in solche Leistungen zu investieren. Starker territorialer Schutz sichert kreative Vielfalt und kulturelle Identität sowie gleichzeitig ein breit gefächertes Angebot zum Nutzen von Verbrauchern und Märkten. Die Einhaltung bestehender Abkommen oder deren Fortentwicklung zum Schutz des geistigen Eigentums ist unabdingbar für eine lebendiges kulturelles Leben.
Öffentlich geförderte Kultureinrichtungen
In Europa und insbesondere in Deutschland gibt es die Tradition der öffentlichen geförderten Kultur. Diese öffentliche Kulturförderung sichert die Vielfalt des kulturellen Lebens. Dank der öffentlichen Kulturförderung findet das kulturelle Leben in Deutschland nicht nur in den Metropolen sondern auch in den Regionen statt. Das flächendeckende vorhandene vielfältige Kulturangebot ermöglicht einen breiten Zugang zu allen Spielarten der Kultur.
Aufgrund der spezifischen Leistungen der öffentlichen geförderten Kultureinrichtungen und ihrer fehlenden Gewinnorientierung sind der Marktöffnung und Liberalisierung in diesem Bereich enge Grenzen gesetzt. Diese engen Grenzen müssen bei den anstehenden GATS-2000 Verhandlungen Berücksichtigung finden.
Liberalisierung - ja aber...
Der Deutsche Kulturrat spricht sich nicht gegen eine Liberalisierung des weltweiten Handels mit Kultur-Dienstleistungen aus. Es muss aber sichergestellt sein, dass der besondere Charakter der Kultur als Dienstleistung in allen Ländern und Regionen der Welt erhalten bleibt. Also Liberalisierung ja auch in Deutschland, aber nicht auf Kosten der Vielfalt der Kultur und des freien Zugangs zur Information und auch nicht auf Kosten der hohen Schutzstandards besonders im Urheberrecht. Der Deutsche Kulturrat erwartet daher von der Europäischen Union, dass sie bei den Verhandlungen über die Liberalisierung von Dienstleistungen (GATS) den kulturellen Aspekten dieser Liberalisierung, d.h. ihrer Auswirkungen auf die Künstlerinnen und Künstler, die Kulturwirtschaft und die Kultureinrichtungen in besonderer Weise Rechnung trägt.
Die Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zu den GATS 2000-Verhandlungen der WTO über bestimmte audiovisuelle Dienstleistungen und über Kulturdienstleistungen findet man im Internet unter www.kulturrat.de/Stellungnahmen/gats.htm.
Olaf Zimmermann
Juni 2001