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Caspar David Friedrich und eine Orchester nach Dall-E.

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Offener ARD-Plan: Die Vereinheitlichung des Programms auf eine einzige „Kultur- und Klassikwelle“

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Ein Kommentar von Anja Wagner zur Gleichschaltung der Kulturwellen der ARD und der Selbstdestruktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als Kulturakteur.

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Nun sind beinahe vierzehn Tage ins Land gegangen, seit die Granden der ARD getagt und wegweisende Beschlüsse getroffen haben, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland in die Zukunft führen sollen. Auf den ersten Blick war alles wie schon so oft. Der Berg kreißte – und tat alles dafür, um nicht den Eindruck zu erwecken, etwas anderes als eine Maus geboren zu haben. Eine agile, orange Maus natürlich – die ganz wunderbar von dem allerdings nicht blauen, sondern rosa Elefanten ablenken soll, der im Raum steht: Der Gleichschaltung der Kulturwellen der ARD und die Selbstdestruktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als Kulturakteur.

Das Papier jedenfalls, das die Rundfunkbosse im Anschluss an ihre Sitzung der Öffentlichkeit präsentierten, sollte vor allem den Eindruck erwecken, dass viel angestoßen worden ist, ohne dass schon zu viele Fakten geschaffen worden seien. Die „Info-Wellen“ und „Kultur- und Klassikwellen“ sind von den Intendanten als „priorisierte Prüffelder“ identifiziert worden. In Bezug auf die sogenannten „Kultur- und Klassikwellen“ ist im Ergebnispapier davon die Rede, dass diese zu Kooperationen angehalten werden sollen. Die Ausarbeitung der Grundsatzbeschlüsse wurde an die Leiter der Kulturwellen übergeben, die nun auf dem Basar der Reformeifrigkeiten ihre Kronjuwelen selbst zu Markte tragen dürfen. Ganz allgemein ist in dem Papier, das der Redaktion vorliegt, von „Pool-Lösungen“ für den Hörfunk die Rede. Für das Tagesprogramm schwebt den Verantwortlichen ein „Kulturregal“ vor, aus dem sich die Wellen für ihre Programme bedienen können. Für das Abendprogramm wird formuliert, dass es ein „Angebot zentral produzierter Klassik- bzw. Pop-Musik-Programmstrecken (passend zur jeweiligen musikalischen Ausrichtung der Kultur-Welle)“ geben solle.

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    So weit, so scheinbar harmlos. Angebote kann man annehmen oder ausschlagen. Und wer wollte in diesen Zeiten nicht der Zusammenarbeit das Wort reden und sich – wie die Kommunikationsstrategen der ARD als Losung ausgaben – das „A“ im Namen der ARD stärken: den Faktor der „Arbeitsgemeinschaft“. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung war gut gewählt, die Republik größtenteils offenkundig schon in der geistigen Sommerpause. Und die Umbesetzungen bei den ARD Talkshows auf den Medienseiten allemal mehr der Rede wert, als die jüngste Reformbemühung der überbezahlten Mäuse- und Elefantenrunde.

    Was dieses Papier im Extremfall jedoch bedeuten kann, das plauderte die Chefin von NDR Kultur, Anja Würzberg, unverhohlen aus: Nämlich, dass es sich nicht um ein Angebot, sondern um ein einziges Angebot handele, auf das die Bestrebungen hinaus liefen. „Wir sind regional, wollen regional bleiben“, verkündete sie am 22. Juni im eigenen Programm, „wir legen einen großen Schwerpunkt auf die regionale Kulturberichterstattung, vor allem zwischen 8 und 20 Uhr – und danach kriegen Sie die Highlights aus der ganzen ARD von uns.“ Auf Nachfrage des NDR-Moderators, ob dies bedeute, dass das ARD Radiofestival, bei dem die Landesrundfunkanstalten bereits 10 Wochen im Jahr ein einheitliches Programm senden, auf das ganze Jahr ausgeweitet werden solle, bestätigte sie dies: „Genau. […] Wir haben uns vorgenommen, dass wir das über das ganze Jahr ziehen.“

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      Man muss dankbar sein für dieses offenkundige Kommunikationsleck in der auf Appeasement ausgerichteten Kommunikationsstrategie der ARD in dieser Angelegenheit. Denn anders als die windelweichen Formulierungen der veröffentlichten Papiere Glauben machen möchten, ist das, was Anja Würzberg propagiert, in der Konsequenz das Ergebnis der Bemühungen um eine „verbesserte Zusammenarbeit“ innerhalb der ARD: Die Vereinheitlichung des Programms auf eine einzige „Kultur- und Klassikwelle“. Man kann nur mutmaßen, was Frau Würzberg geritten haben mag, wenn sie in diesem – dem Vernehmen nach unabgestimmten – Vorstoß Fakten suggeriert, vor denen man sich als Radiohörerin nur fürchten kann. Liegt es daran, dass Frau Würzberg in Hamburg ansässig ist, wo der damalige ARD Vorsitzende Tom Buhrow im vergangenen Herbst, wir erinnern uns, in einem absurden Sprechakt „als Privatmann“ selbst die Axt an den Ast gelegt hat, auf dem er breitbeinig sitzt? Oder liegt es noch eher daran, dass sie mit erfüllungseifrigem Strebertum ihre Ambitionen auf die Nachfolge des vergreisenden Berufsjugendlichen anmelden will, dessen Amtsmüdigkeit und Kulturunlust wie Mehltau Europas zweitgrößte Rundfunkanstalt umfangen? Polemische Unterstellungen beiseite. Die jüngsten Beschlüsse, welche die ARD-Intendantinnen und -Intendanten gefasst haben, sind von weit größerer Reichweite, als von der Öffentlichkeit bislang wahrgenommen.

      Es ist nun an der Zeit, dass die Aufsichtsorgane des Rundfunks, deren Kontrollfunktion durch die jüngsten Änderungen der Staatsverträge gestärkt worden ist, sich mit den Implikationen dieser Entscheidungen befassen. Ein Zwischenruf der Kulturrundfunkräte aus dem Umfeld der Beschlüsse, die Kultur zu stärken, verhallte bislang ungehört. Die jüngst gestellten Weichen der ARD Intendanten gehen weit über die insinuierte „Stärkung“ des Programms hinaus. Tom Buhrow verglich in seiner Hamburger Rede das bisherige Verhalten der Player des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks bei allen Reformbemühungen mit einem Spiel: „Es ist ein bisschen wie Mikado: Wer sich zuerst bewegt, verliert.“ Nach dem heroischen Akt seiner „Privataktion“ scheint man beim Spielen umgestellt zu haben auf Domino. Und man ist gut beraten, sich vor Augen zu führen, welche Kettenreaktion jeder fallende Stein nach sich ziehen wird. Sind erst die Sendeplätze nicht mehr vorhanden, auf denen die Landesrundfunkanstalten bislang Eigenproduktionen oder Konzerte ihrer eigenen Ensembles gesendet haben, dann entfällt schließlich – und in den Augen mancher Hierarchen vielleicht auch: endlich! – die Legitimation für die Existenz der Rundfunkensembles, die in der gerade laufenden Reformrunde den Ergebnissen nach zu urteilen bislang nicht „geprüft“ worden sind. Doch wer den Blick jetzt zu lange auf das avisierte „Kulturregal“ heftet, übersieht, dass rund um dieses Regal das Haus abbrennt, in dem es steht.

      „Hört sich Beethoven in Heidelberg anders an als in Halle oder Hamburg? Nein?“, fragte Tom Buhrow rhetorisch in seiner Hamburger Rede. Noch ist es möglich, die feinen Unterschiede zu erleben, die das vielfältige Musikleben der Bundesrepublik Deutschland, der Bundesländer, der Regionen, der Städte und Gemeinden bietet. Für alle, weltweit. Und das dank jener Errungenschaft, die seit 100 Jahren die Menschen zusammen zu bringen vermag: dem Radio.

      Möge die Feierstunde zum 100jährigen dieses Mediums, das die ARD in diesem Herbst begehen will, nicht zur Gedenkstunde des Kulturradios als produzierendem Kulturakteur werden.

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