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Rau warnt vor «Verschleudern kultureller Schätze»

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Bundespräsident Johannes Rau ermuntert die Deutschen angesichts des aktuellen Medienrummels um schräge «Kultfiguren» zur Lektüre von klassischer Literatur. Rau warnte am Montag in Marburg vor dem «Verschleudern kultureller Schätze». Er mahnte in seiner «Schiller-Rede» anlässlich des ersten Spatenstichs für das Literaturmuseum der Moderne, die Bürger sollten ihre Sprachfähigkeit «wenigstens von Zeit zu Zeit an den Gedichten und Stücken unserer Klassiker schulen».

Marbach (ddp). Der Bundespräsident stellte die Frage, «ob es wirklich richtig ist, dass wir das Wort vom \'Volk der Dichter und Denker\' nur mehr ironisch über die Lippen bringen». Er fügte laut Redetext hinzu: «Schämen wir uns dieser kulturellen Blüte? Ahnen wir vielleicht intuitiv, dass viele der kulturellen Hervorbringungen unserer Tage gegenüber den Klassikern nicht gut bestehen können?»

Rau kritisierte, manche Medien seien inzwischen «Maschinerien zur Erzeugung von Kultfiguren geworden». Die Haltbarkeit des Ruhmes hänge allerdings sehr von der Verkaufs- oder Einschaltquote ab. Der Bundespräsident monierte: «Bei unseren heutigen Kultfiguren kommt es mir so vor, als wenn das Alltägliche sich nur feiere - ein bisschen schräger und ein bisschen anders als der Normalbürger, auf keinen Fall aber wird ein Ideal gefeiert, das moralische oder ethische Orientierung gäbe.»

Rau verwies darauf, dass Friedrich Schiller früher eine «ungeheure Popularität» erreicht hatte. Damals seien «hochartifizielle sprachliche Kunstwerke» Gegenstand allgemeiner Verehrung gewesen. Der Bundespräsident fügte hinzu, er plädiere «gewiss nicht für ein Zurück zum Schiller-Kult». Er frage aber, «ob mit dem Kult nicht zugleich auch Maßstäbe, Vorbilder und Ideale aufgegeben wurden». Auf jeden Fall könne die Kenntnis der Werke der «großen Schriftsteller» immer noch außerordentlich fruchtbar «für die Beschäftigung mit den großen Fragen des menschlichen Lebens und der Gesellschaft» sein.

Das Literaturmuseum der Moderne soll im November 2005 eröffnet werden. Das Gebäude wird künftige Heimat der Bestände des Deutschen Literaturarchivs zum 20. und 21. Jahrhundert.