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Hammeraktion des SWR. Montage: MH

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­Mutmaßlich häusliche Gewalt – Der SWR macht ein Angebot, das die Deutsche Radio Philharmonie nicht ablehnen können soll

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Womöglich ist es unangemessen, strafbare Praktiken, unter denen Tausende von Leuten in ihrem Lebensalltag zu leiden haben, mit Verhaltensmustern innerhalb des Kulturlebens zu parallelisieren. Andererseits ist Bullying als infame Abart von Menschenverkehr nicht nur in Wohnungen und auf Schulhöfen anzutreffen, sondern, um von der Politik ganz zu schweigen, auch in Betrieben und Institutionen sowie selbst im Verhalten von solcherlei Kollektiven untereinander. Da es also eine ebenso verwerfliche wie alltägliche gesellschaftliche Praxis zu sein scheint, ist es nicht völlig unangemessen, Parallelen zu sehen. Ein Beispiel: Die sogenannten „Prüfaufträge“ des mächtigen SWR, zu einem Drittel Träger des Orchesters, zur Zukunft der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern, welche der Saarländische Rundfunk (SR) wiederum zu zwei Dritteln trägt. Es handelt sich bei letzteren bekanntlich um die kleinste der ARD-Anstalten mit eigenem Klangkörper sowie um das dem entsprechend am labilsten aufgestellte Rundfunkensemble. Wer denkt da schon an Schulhöfe oder dergleichen?

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Die Prüfaufträge selbst täuschen Alternativen vor, sind aber bloß zwei Aspekte einer einzigen brutal gesetzten Alternativlosigkeit. Mit Verweis auf „Ressourcenknappheit und medienpolitischen Druck“ (welchen denn konkret?) solle sich das Orchester vorzugsweise nach alternativen Finanzierungsmöglichkeiten umsehen oder die weniger bevorzugte Variante einer Verkleinerung auf Kammerorchester-Größe in Betracht ziehen. Auf prekäre Wohn- und Familienkonstellationen beispielsweise angewendet könnte sich das anhören wie: Such’ dir einen neuen Sugardaddy oder zieh’ in den Keller. So oder so heißt das aber nichts anderes als: Verschwinde!

„Es ist eine Spur der Verwüstung, die der SWR in der deutschen Orchesterlandschaft zu verantworten hat.“ So kommentierte jüngst aus leidvoller regionaler Erfahrung heraus die Ludwigshafener „Rheinpfalz“ (am 3.12.2025) das Verhalten des Senders, der ansonsten gern mit dem chiquen Label SWR Classic kommuniziert. Der hatte nicht nur 2016 sein Baden-Baden-Freiburger Orchester im Stuttgarter vitriolisiert, sondern 2007 bereits sein Kaiserslauterner Unterhaltungsorchester in den Saarbrücker Rundfunksinfonikern des SR. Welcher SR nun im gemeinsamen Kuratorium machtlos danebensteht, da der SWR abermals die daraus entstandene Deutsche Radio Philharmonie breitbeinig in die Ecke drückt: eine exemplarische sender- wie länderübergreifende Fusion, regional weithin unterwegs im Saarland und in Rheinland-Pfalz, mit traditionell engen Beziehungen nach Frankreich und Luxemburg, künstlerisch prosperierend unter seinen Chefdirigenten, dem mitreißenden Pietari Inkinen und neuerdings unter dem nachdenklichen Josep Pons. Man hat alles richtig gemacht und mehr als das Gewünschte geliefert. Nur sollte das alles nichts nützen, weil es darauf schon längst nicht mehr ankam.

„Es ist eine Spur der Verwüstung, die der SWR in der deutschen Orchesterlandschaft zu verantworten hat.“ 

„Die Deutsche Radio Philharmonie ist ein großartiger Bestandteil der ARD-Kultur. Als SWR halten wir die Kultur hoch und mit ihr ihre hohe Bedeutung für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt. Kultur ist keine Subvention, sondern eine Investition in die Zukunft und ein wichtiger Bestandteil unseres Auftrags.“ So im hohlen durchökonomisierten Sprech des Kommunikationsunternehmens mit Unternehmenskommunikation SWR dessen Intendant und Orchester-Kuratoriumsmitglied Kai Gniffke im aktuellen Saisonheft des mitunter „seinen“ Klangkörpers. Als solch hohe Worte jedoch in diesem Frühjahr geschrieben wurden, da hat längst schon festgestanden, wie man sich die Deutsche Radio Philharmonie vorzuknöpfen gedenkt. Die einen sehen darin halt „Strategie“, andere dagegen Heuchelei.

Die Bundesländer, vorneweg das Saarland und Rheinland-Pfalz, aber auch manche Kommune, können darüber hinaus wohl von Erpressung sprechen, das dermaßen rücksichtslos Fallengelassene auffangen zu müssen, bevor es sich alles bricht beim Aufprall auf ressourcenknappe Realitäten, welche die Radio Philharmonie zuallerletzt selber geschaffen hat. Das nun händeringend beschworene privatwirtschaftliche Engagement und entsprechende „alternative Trägermodelle“ wird man, wenn überhaupt, nur schwer im eher strukturschwachen Südwesten finden. Anders freilich wäre es, wenn etwa der Bayerische Rundfunk sein Symphonieorchester in Ingolstadt bei Audi vor dem Werkstor abstellte. Gott bewahre! Jedoch alles andere als unvorstellbar, dass Kommunikationsunternehmen mit Unternehmenskommunikation auch so etwas denken und als einen Big Deal verkaufen. 

Alle anderen Bundesländer indessen dürfen sich herzlich missachtet sehen. Knapp, mit hoher Not und gegen vielerlei Widerstände haben sie den ARD-Reformstaatsvertrag alle zusammen ratifizieren können (siehe nmz 12/25-01/26). Struktur-, Programm- und sonstige -reformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wie sinnvoll sie auch sein mögen, können nun angegangen werden, eingefangen und abgefedert in einem föderalen Prozess, wo etwaige Beißreflexe der einen mit den Haltungen der anderen Kompromisse schließen müssen. 

Ob sich 14 der 16 Länder allerdings solch ein rücksichtsloses Vorgehen wie beim SWR vorgestellt haben, als sie im Hinblick auf die Klangkörper der ARD die Protokollerklärung zum Reformstaatsvertrag gemeinsam entworfen haben und darin „eine kritische Analyse zu [deren] Status Quo und den Zukunftsperspektiven“ sowie ein gemeinsames Konzept erbaten? Fraglich, da selbst der nicht gerade zimperliche „Zukunftsrat“ der Rundfunkkommission der Länder bezüglich ARD-Klangkörper schon Anfang 2024 zu Strategien mahnte, „um dieses einmalige Kulturgut nachhaltig zu sichern“.

… kollegial hintergangen …

Schließlich dürfen selbst einige der ARD-Intendant*innen sich vom SWR kollegial hintergangen fühlen. Diejenigen jedenfalls, denen es ernst war, als sie im September die AG Klangkörper einberiefen mit allen inhaltlich Verantwortlichen der 23 Orchester, Chöre und Bigbands zwecks gemeinsamer Evaluation und Zukunftsperspektive. Diese AG, die gerade zu arbeiten begann und bis Herbst 2026 ein gemeinsames Konzept vorlegen sollte, hat der SWR schnurstracks auf die Verliererstraße geschickt, indem er gezeigt hat, dass die allein wirkmächtigen Entscheidungen ebenso inhaltsfrei wie sachfremd besetzte Gremien treffen, so etwa das Kuratorium der Deutschen Radio Philharmonie, nach Maßgabe der dicksten Hose im Raum.

Was wir dazu unternehmenskommunikativ zu hören bekommen werden, das ist mitunter die bekannte pseudojuristische Litanei, dass den Sendern in ihren Kulturaufträgen nirgendwo ausdrücklich geboten sei, Orchester, Chöre und Big Bands zu unterhalten. Es ist dieselbe Logik von Winkeladvokaten in Fällen von Bullying, nach der es nirgendwo ausdrücklich verboten sei, sich vor den Kleinen groß aufzubauen.