Da ist es auf den letzten Metern noch einmal knapp geworden mit dem von den Ländern recht zügig entworfenen Reformstaatsvertrag, vermittels dessen die ARD schlanker, effizienter, kooperativer, zukunftsfähiger und vor allem beitragsstabiler geraten soll.
Das SWR Sinfonieorchester aus der Vogelperspektive. Foto: SWR
Nach der Reform ist vor der Reform
Damit das Werk in Kraft tritt, musste spätestens bis zum 30. November 2025 dessen 16-fache Ratifizierung an die zuständige Rundfunkkommission der Länder gemeldet werden, Ende Oktober standen jedoch noch vier aus. Als dann die Landtage in Düsseldorf (am 06.11.) und Hannover (am 18.11.) zwar spät, aber dennoch geschäftsmäßig entspannt durchwinkten, da war schon die Zustimmung in Dresden (am 30.10.), erst nach einer Sitzungsunterbrechung und nachdem Ministerpräsident Kretschmer auch noch die Linken-Fraktion überzeugt hatte, mit 61 zu 56 knapp ausgefallen. Was noch nichts war im Vergleich zum nervenaufreibenden Krimi von Potsdam, der zur Krise in der SPD-BSW-Regierungskoalition führte sowie zu vier Fraktionsaustritten auf Seiten des Bündnisses für Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft. Der Hauptausschuss des brandenburgischen Landtages befürwortete den Reformstaatsvertrag (am 13.11.) nur dank des gegen die eigene Fraktion stimmenden BSW-Ministers Robert Crumbach sowie eines Parlamentariers der oppositionellen CDU. Was sich dann allerdings auch abzeichnete für die abschließende Plenarsitzung (am 19.11.), als eine Mehrheit aus SPD, BSW-Abweichlern und der CDU-Opposition das Reformwerk zuletzt ratifizierte. Die AfD, natürlich, war dagegen. Immer und überall.
Nun kann man die Potsdamer Ereignisse um die Ratifizierung des Reformstaatsvertrags stalinistisch deuten als Aberration von der kollektiv weisen Parteidisziplin oder anders extremistisch als „systemparteiliches“ Flicken an der Brandmauer. Man kann, und sollte, aber vor allem in ihnen die verstreuten zarten Samen verfassungspatriotischer Pflänzchen erkennen, die in Individuen keimen, bis sie als autonome Stimmen aufblühen. So ähnlich und nur wenig anders mögen sich die einstmaligen „Verfassungsväter“ die Rundfunkhoheit der Länder vorgestellt haben, als nach zwölf Tausendstel Jahren Ansage, wie uniform Staatsfunk zu sein habe, sie die Verantwortung für den Öffentlich-rechtlichen Rundfunk den föderativen Staatsgliedern übertrugen. Was dessen Sache sei, sollte keine einzelne Staatspartei mehr anbefehlen können. Da die Länder nun, endlich, über vielerlei Partikularinteressen und regionale Widerstände hinweg sich zur gemeinsamen Ratifizierung zusammengerauft haben, dann sollten die Rundfunkanstalten sich auch ihrer dermaßen hoheitlich herausgehobenen Verantwortung besinnen, frei und autonom gestimmt ihrer Arbeit nachzugehen. Nicht im Sinne eines beliebig auslegbaren Freibriefs, sondern im Sinne einer Freiheit zum Besonderen, Herausgehobenen, Gewissenhaften, Verbindlichen. Im Sinne auch der Anmerkungen und Entschließungsanträge, die manch einen der Landtagsbeschlüsse begleiten, etwa den aus Magdeburg, der die Notwendigkeit herausstreicht, „den Auftrag des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks konkreter zu definieren im Sinne einer Konzentration auf Nachrichten, bildende und kulturelle Angebote sowie ein Basisangebot an Sport.
Besinnung vor allem ist angesagt angesichts der bundesweiten Perspektive, vor der die Ereignisse um den Reformstaatsvertrag (wozu auch der Medienstaatsvertrag zum Jugendschutz gehörte) zu sehen sind. Da sind die weltanschaulichen Friktionen innerhalb des BSW weniger relevant, als die real existiert habende Möglichkeit, dass allein an der ausgebliebenen Ratifizierung aus Brandenburg die gesamte Rundfunkreform scheitert und auf nicht absehbare Zeit vertagt wird. Bestenfalls illusorisch anzunehmen, dass sich innerhalb kürzester Zeit alle 16 Bundesländer abermals auf ein neues Reformwerk geeinigt haben würden und dann noch vor der im September 2026 anstehenden Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, wo die AfD derzeit bei 40 Prozent steht und die, wie bekannt, immer und überall dagegen ist. Ratifiziert ist somit auch die dem Reformstaatsvertrag beigefügte Protokollerklärung, ein Auftrag an die Anstalten mit eigenen Orchestern, Chören und Big Bands, was, einmal abgesehen von deren immensem Output, rund 1.400 Beschäftigte betrifft, also Musiker, Management, Verwaltung, Vermittlung und Technik. Für diese wurden jedenfalls 2022 knapp 203 Millionen Euro aufgewendet, was zu einem hohen Anteil die nicht unerheblichen Kosten eines Konzert- und Aufnahmebetriebs beinhaltet, also Gästehonorare, Instrumente, Transporte, Reisen, Mieten, Gebühren und dergleichen insgesamt also gerade 2,4 Prozent der in jenem Jahr der ARD zur Verfügung stehenden Mittel. Oder, wie anders gerne vorgerechnet, 43 Cent pro Beitragszahler.
Ortstermin Industriearchitektur: der WDR Rundfunkchor. Foto: WDR
Auf jeden Fall erforderlich wird es jedoch sein, dass die AG Klangkörper auch die Freiheit zum Individuellen und Besonderen nutzt. Zu einem echten Entwurf also, der eine hoheitlich herausgehobene beitragsfinanzierte Konzert- und Aufnahmefähigkeit grundsätzlich zu begründen in der Lage ist, und nicht bloß Konzepte und Konzerte der Staats- und Stadtkapellen doppelt: ein Konzept, das über deren von Ländern und Gemeinden finanzierte Grundversorgung qualitativ hinausgeht und komplettiert. Zu machen, was diese auch anbieten an niederschwelligen Angeboten, Regionalisierung, Vermittlung, Marketing, Öffnung zu Neuer, Alter, anderer Musik oder anderen Klientelen, das wird für die ARD-Klangkörper als Grund schlicht nicht ausreichen. Nicht nur würden sie damit die anderen Angebote bloß konterkarieren. Sie liefen zudem Gefahr, in wurstiger Manier eines bayerischen Ministerpräsidenten mit allen anderen in eine Pelle gepresst zu werden. Wurst ist Wurst, und Orchester ist Orchester. Und auf dem Fuße folgte dann die populistische Frage: Wovon gibt’s zu wenig und wovon zu viel? Daher gilt es erst recht also, mit Mut zum selbstbestimmten Profil und zur inhaltlich-programmatischen Differenz ein öffentlich-rechtliches Konzertleben neu zu begründen. Mit dem Blick aufs Ganze nicht nur des Musiklebens hierzulande, sondern vor allem auch das der Musik selber.
Weiterlesen mit nmz+
Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.
Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50
oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.
Ihr Account wird sofort freigeschaltet!