Der Weg zum „Siebten Staatsvertrag zur Änderung medienrechtlicher Staatsverträge“, 7. MÄStV oder: Reformstaatsvertrag, der nun in allen 16 Länderparlamenten zur Ratifizierung ansteht, wurde schnell zurückgelegt: in gerade anderthalb Jahren. Und so will man weitergehen, denn bis zum Dezember dieses Jahres soll, die Zustimmung aller Länder vorausgesetzt, das Gesetzeswerk auch in Kraft treten, mit ARD, ZDF und Deutschlandradio „digitaler, schlanker und moderner aufgestellt“, Sparten- wie Hörfunkkanäle zusammen- und/oder abgelegt und überhaupt Synergien zwecks Kostenersparnis und Beitragsstabilität entwickelt werden.

nmz 7/8-2025. Erste Seite
Die Orchester der Republik
Das unterschreitet zwar eine Dobrindt’sche Schlagzahl, hoffentlich aber mit Bedacht, denn nicht nur der Gesetzgebungsprozess ist komplex, sondern auch die Sache des öffentlich-rechtlichen Rundfunks selbst. Liest man in den Parlamentsprotokollen die eine oder andere Debatte nach, so fallen vor allem deren Verachtung und Häme gegenüber den Medien und anderen Medienpolitikern auf, welchen man zurufen möchte: Lasst euch nicht jagen. Werdet Jäger. Ob und wie das gelingt, wird sich bald zeigen und mitunter daran, ob der medienpolitisch geläufige hohe Ton tatsächlich durch konkrete Haltungen und Inhalte unterfüttert wird und nicht allein mit Zählwerten.
Zeigen wird sich das auch anhand der Klangkörper, also der 22 Orchester, Chöre und Big Bands von ARD und Deutschlandradio, welche die Länder vermittels einer dem Reformstaatsvertrag zugefügten Protokollerklärung nun genauer unter die Lupe nehmen. Bereits im Januar letzten Jahres riet der Zukunftsrat in seinem Bericht an die Rundfunkkommission der Länder zur Evaluation und zu Strategien, „um dieses Kulturgut nachhaltig zu sichern“. Im Oktober dann zog die beitragssetzende KEF nach mit Überlegungen, ob sich der Betrieb aller öffentlich-rechtlicher Klangkörper, 2022 bei 1.354 Beschäftigten mit 203 Mio. Euro zu Buche schlagend, als eigenständige GmbH gar beitragssenkend auswirken könnte, mit dem Ergebnis: wenn, dann erst längerfristig.
Jetzt also geht’s zur Sache selbst, und 14 der 16 Länder sehen eine Standortbestimmung der öffentlich-rechtlichen Ensembles als „geboten“ an und fordern bis zum Ende kommenden Jahres „eine kritische Analyse zum Status Quo und zu den Zukunftsperspektiven“ sowie ein gemeinsames Konzept. Was sich gefährlicher anhört, als es sich im Detail liest, weil da auch etwaige Beißreflexe aus dem einen oder anderen Freistaat in einem grundsätzlich vernünftigen Vorhaben föderal gezügelt sind. Die Protokollerklärung jedenfalls nicht mitunterzeichnet haben mit Niedersachsen und Hamburg das größte Flächenland mit gerade einem Rundfunkorchester sowie der Stadtstaat, dessen bedeutendste Kulturimmobilie dem dortigen, das NDR-Kürzel vorangestellt, überhaupt erst seinen Namen gibt. Verständlich daher, dass man, so die Senatskanzlei, gewachsene gesellschaftliche Erlebnisräume und deren Planungssicherheit nicht „wechselnden medienpolitischen Debatten“ opfern möchte.
Wenn nun die Länder Strukturanalysen sehen möchten, den Abbau von Dopplungen, regionale Wirkung oder andere Finanzierungsmodelle, dann sollen sie aber auch genauer hinsehen, was sie da vor sich haben. Nannte man den eigenwilligen, dem Alten wie Neuen zugetanen Otto Klemperer „Dirigent der ersten deutschen Republik“, so sähen sie da (die Chöre und Big Bands stets mitgemeint) die ureigensten Orchester der Republik, der Weimarer, der BRD und, wenn man an die stets widerborstige Konzertprogrammatik im Leipziger Rundfunk denkt, auch der DDR; solche also, die nicht aus der Erbmasse von Hofhaltungen oder der Konkursmasse von Konzertunternehmen nach 1918 in öffentliche Trägerschaften kamen; vielmehr solche, die mit einem weiten Auftrag versehen sowie einem neuen und nach dem Zweiten Weltkrieg erst recht neu aufzustellendem Medium hochwertige Musik unter die Leute bringen – mit Reichweite, Quantität und natürlich auch Qualität. Überraschend, ebenso modern wie das Alte pflegend, aber doch in einem oft erheblichen Unterschied zu ‚landläufigen‘ Ensembles. Die Chance, diese Differenz zu erkennen und daraus sich ergebende Potentiale zu fördern, hätten die Länder nun.
Um sie tatsächlich nutzen zu können, müssten die Klangkörper diese Chancen nun aber auch ergreifen. Das wird ohne Zählwerte in Auslastung, Reichweite, Regionalisierung, Vermittlung und dergleichen nicht abgehen. Ob Chancen in neuen Trägermodellen liegen, gemeinsam vor allem wohl mit den kulturhoheitlichen Ländern, hängt sehr vom föderalen Einzelfall ab. Siehe Hamburg und Niedersachsen. Hessen wiederum hat am hr Sinfonieorchester das einzige Konzertorchester des Landes, und Gespräche zwischen dem Land und dem Landessender laufen schon länger, ohne dass sich davon etwas berichten ließe. Gespräche indes, wie man sie sich zwischen NRW und dem WDR in dieser Richtung nicht vorstellen kann, unterhält doch das bevölkerungsreichste Land sowohl regionale Landesorchester als auch sonst eine ansehnliche Orchesterförderung, der WDR seinerseits neben zwei Orchestern auch Chor und Big Band. Aber, ergeben föderale Unterschiede nicht auch föderale Vielfalt, um nicht zu sagen: Reichtum? Diesen und naheliegende Wertsteigerungen sollten die Rundfunkensembles der Republik jedoch vor allem in der Differenz zum landläufigen Konzertbetrieb suchen. Der ist, obwohl er sich Klassik nennt und in beispielloser Selbstverkennung sich so empfindet, vollkommen unausgewogen und mittlerweile ebenso klassikfrei wie unmodern; im konzertdichten Berlin etwa findet sich auf über einhundert Programmen von vier Orchestern Haydn nur einmal und Xenakis keinmal. Bei dermaßen sperrangelweit offenem Repertoire, und bei den Chören ist es noch mehr, benötigt man nicht einmal Mut zur Lücke, nur einen klaren Blick, um programmatische Konsequenzen für alternative attraktive Konzertprofile zu entwickeln.
Die Rundfunkensembles sollten also die Gelegenheit dazu nutzen, dieses Mehr zu erzielen, das im Anderssein liegt, das wiewohl in ihrer DNA enthalten ist, und das, wer weiß, bei einem irgendwann anstehenden 8. MÄStV es selbstverständlich erscheinen lässt, die Orchester, Chöre und Big Bands als Teil des öffentlich-rechtlichen Kultur- und Bildungsauftrags im Gesetzestext zu verankern. Sie sollten also inhaltlich aufs Ganze aller ihnen gemäßer Kunstmusik gehen und, um im Bild zu bleiben, mit Hörnerschall zur Jagd blasen, von Stamitz (La Chasse), Weber (Freischütz) und Lachenmann (My Melodies).
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