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Uwe Stickert als Namarand in E.T.A. Hoffmanns „Trank der Unsterblichkeit“ in Erfurt. Foto: Lutz Edelhoff
Uwe Stickert als Namarand in E.T.A. Hoffmanns „Trank der Unsterblichkeit“ in Erfurt. Foto: Lutz Edelhoff
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Auf verschlungenen Pfaden in die Cyber-Welt: zur späten Uraufführung von E.T.A. Hoffmanns „Der Trank der Unsterblichkeit“ in Erfurt

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Dreißig Jahre lang schlafen, dann wieder aufwachen – und sich gehörig wundern. Aus den schönen Mädchen von damals sind alte gebrechliche Schachteln geworden, der einst prächtige Palast liegt in Schutt und Asche. So hatte sich Namarand sein Dasein als Unsterblicher gewiss nicht vorgestellt – weshalb er die Götter bittet, rückgängig zu machen, was der „Trank der Unsterblichkeit“ mit ihm angestellt hat.

„Der Trank der Unsterblichkeit“ heißt die 1808 entstandene Oper von E. T. A. Hoffmann, ein Märchen aus dem Orient über Namarand, der des irdischen Lebens überdrüssig ist und sich nach dem Paradies sehnt. Dass diese Oper bislang nie aufgeführt worden ist, hat seinen Grund: sie war Hoffmanns (erfolgreiche) Bewerbung auf die Stelle des Musikdirektors des Bamberger Theaters. Dessen Intendant Julius von Soden zeichnete als Dichter verantwortlich für das Libretto dieser Bewerbungs-Oper. Doch bevor sie überhaupt hätte zur Aufführung gebracht werden können, war von Soden bereits ans Würzburger Theater gewechselt. Eine Realisierung rückte in weite Ferne, die Partitur schließlich verschwand in den Gemäuern der Staatsbibliothek Berlin.

Regisseur Peter P. Pachl, ein echter Theater-Archäologe, hat sie dort „ausgegraben“ und auf die Bühne des Erfurter Theaters gebracht. Eine Uraufführung nach 204 Jahren also! Und eine, die einen Epochen übergreifenden Bogen spannt von Kostümen wie aus den Märchen aus Tausendundeiner Nacht bis hin zu Anklängen an das Computerspiel „Prince of Persia“ von 1989.

Namarand als Sucher nach Unsterblichkeit – er verkörpert einen Typus Mensch, der im radikalen Islam des 21. Jahrhunderts katastrophale Folgen zeitigen kann. Wie in den eingeblendeten Videoprojektionen sichtbar wird: Wolkenkratzer stürzen in sich zusammen, Panzer fahren auf, Menschen im Fadenkreuz sind mögliche Opfer. Doch diesen politischen Aspekt stellt Peter P. Pachl nicht in den Mittelpunkt seiner Inszenierung. Stattdessen betont er das Märchenhafte und – mehr noch – das Komödiantische des Librettos. Denn Namarands Einnahme des (vermeintlichen) Trankes der Unsterblichkeit ist von vornherein ein Fake – und ein Spiel in doppeltem Sinn. Zur Ouvertüre nämlich kommt Namarand als „ganz normaler“ Mensch in Schlips und Kragen an die Tür des Clubs „Prince of Persia“ und sucht als Ausgleich zum Alltagstrott das Abenteuer in der Wüste. Und schon beginnt die große Illusion, der Wechsel in eine Art Cyber-Welt.

Von Sodens Libretto ist vielschichtig und betritt etliche verschlungene Pfade, die Pachl und sein Ausstatter Robert Pflanz allesamt aufgreifen und zeigen wollen. Das ist mitunter des Guten zu viel, weshalb die Handlung kleinteilig zerfasert. Viele schöne, vor allem fantasievoll gemachte Einzelszenen sind zu bewundern, zum Beispiel die niedlichen Kätzchen, die Namarands Welt der Unsterblichkeit bevölkern.
Hoffmanns Musik schöpft ganz aus dem Geist derjenigen Mozarts, seines großen Idols. Wie in dessen „Entführung aus dem Serail“ steckt auch hier orientalisches Kolorit, ausgezeichnet umgesetzt von Samuel Bächli am Pult des Philharmonischen Orchesters Erfurt.

Uwe Stickert als Namarand überzeugt restlos mit seinem konditionsstarken, wunderbar timbrierten Tenor – eine Meisterleistung! Jörg Rathmann als Namarands Diener ist verwandlungsfähig wie ein Chamäleon, darstellerisch eine Wucht. Mirza und Mandane sind die betörenden Frauen Namarands, optisch und stimmlich gleichermaßen.

Pachls großes Verdienst: Hoffmanns verschüttetes Opus zugänglich und sinnlich erfahrbar gemacht zu haben. Das ist enorm viel wert. Ob der „Trank“ letztlich unsterblich werden wird, muss sich dann aber erst noch zeigen.

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