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Willkommen im Baumarkt: FM Einheit beim A L'Arme Festival. Foto: Peter Gannushkin
Willkommen im Baumarkt: FM Einheit beim A L'Arme Festival. Foto: Peter Gannushkin
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Ein Geschenk für den Free Jazz: das „A L’Arme!“-Festival im Berliner Radialsystem

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Die Warnung war beim besten Willen nicht zu übersehen: „Wegen der unerhörten Lautstärke bei den Konzerten wird der Gebrauch von Hörschutz empfohlen.“ Das hatte einerseits etwas mit den beengten Räumlichkeiten im alten Fabrikgebäude direkt an der Spree zu tun, verwies andererseits aber auch sehr deutlich auf eine völlig neue Ausrichtung eines Free Jazz-Festivals mit dem martialischen Titel „A L’Arme!“ – an die Waffen also.

Das Publikum hatte bei der hinreißenden Erstauflage im vergangenen Jahr verstanden. Hier wird Spektakuläres in abenteuerlich anmutenden Gruppenkonstellation geboten, versehen mit dem dehnbaren Begriff zeitgemäß. Neben den in Ehren ergrauten Sun Ra- und Brötzmann-Fans fand sich diesmal ein erstaunlich jugendliches Publikum und bekam wieder Unerhörtes geboten. Zu verdanken ist dies alles dem jugendlichen Louis Rastig, künstlerischer Leiter und Pianist mit familiär verpflichtenden Wurzeln als Neffe der Posaunen-Helden Conrad und Johannes Bauer.
 
Um mit dem Unerhörten zu beginnen. FM Einheit, der eigentlich Frank-Martin Strauß heißt und einstmals Frontmann der Einstürzenden Neubauten war, lud mit dem italienischen Bassgitarristen Massimo Pupillo direkt in den Baumarkt ein. Schraubenzieher, Bohrmaschine, Hammer, ganze Berge von zerschlagenen Kiesel- und Ziegelsteinen bildeten die Grundlage für mutmaßlichen Krawall. Hörschutz also dringend empfohlen, besser noch ein zusätzlicher Atemschutz wegen der dichten Staubwolken rund um die Schlagwerkzeuge von FM Einheit. Wer da jetzt aus genre-ästhetischen Gründen die Nase rümpft, sei beruhigt. Es kam Musik dabei heraus, modern, mitreißend, spannend, alles auf dem schmalen Grad der Improvisation, möglich wohl nur in einem solch mutigen Projekt wie „A L’Arme!“.
 
Unerhörtes, vor Jahren Undenkbares auch in anderen Projekten. In der Begegnung von Peter Brötzmann mit dem Vibraphon-Romantiker Jason Adasiewicz zum Beispiel, oder beim Duo des schwedischen Saxofon-Kolosses Mats Gustafsson mit dem Gitarristen Thurston Moore. Oder in Rastigs eigenem Quartett mit dem neuen Trompetenhelden Peter Evans, Power-Drummer Paal Nilssen-Love und als einzigem Ruhepunkt dazwischen Johannes Bauer.
 
Das am Ende dennoch der inzwischen 68 Jahre alte Akira Sakata den Höhepunkt des dreitägigen Festivals setzte, mag zunächst ein Widerspruch sein. Aber nur so lange, bis man bemerkt, dass auch der einstige Saxofonist des legendären Yosuke Yamashita-Trios auf der Höhe der Zeit geblieben ist, weil er sich mit dem fast noch jugendlichen Drummer Tamaya Honda und Michiyo Yagi an der 17- und 21-saitigen Koto, einem traditionell japanischen Instrument, vergleichbar mit dem europäischen Zither, umgeben hat. Louis Rastig sprach davon, dass dieses Trio für ihn selbst eine große Inspiration sei. Und Recht hatte er: Selten hat man ein Konzert gehört, das so intelligent von der ersten bis zur letzten Minute aufgebaut war. Spannend, hinreißend sowohl in den lyrischen Momenten mit Sakatas Gesang als auch in den ganz lauten Teilen, bei denen schon fast wieder der Hörschutz gefragt war.
 
Das „A L’Arme“-Festival im Radialsystem V im Ostteil Berlins, so versprach es Rastig noch am Ende der aufregenden drei Tage am zweiten August-Wochenende, soll nun unbedingt auch in die dritte Auflage gehen. Es wäre ein Geschenk für den Free Jazz in all seinen denkbaren Möglichkeiten.
 

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