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Kleiderhaken Nr. 9 im Kongresszentrum Davos. Foto: mku

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Reihe 9 (#93) – Utopia

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Post und Central, Schweizerhof und Schatzalp. Nur an wenigen Orten markieren noch heute solch traditionell schlichte oder literarisch nobilitierte Hotelnamen die Geschichte einer Stadt so wie in Davos, das man nach eine Fahrt mit der Rhätischen Bahn mit einigen Kehrschleifen, Brücken und entlang kleinerer Abhänge auf die Minute genau erreicht. Stationen wie Wolfgang, Dorf und Platz tragen pittoreske Bezeichnungen – täuschen aber über die auch im Kleinen gewandte Urbanität hinweg, die sich nicht nur während des Weltwirtschaftsforums zeigt. Auch außerhalb der winterlichen Skipisten ist es ein Ort der Begegnung und des Nebeneinanders von Nationen, Kulturen und Religionen.

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Nun ist Davos kein Utopia. Wer die Nachrichten verfolgt hat, weiß, dass die aktuellen politischen, ethnischen und religiösen Konflikte der Welt auch auf den Straßen des Ortes angekommen sind. Vielleicht, weil der Ort so klein ist, vielleicht, weil sich gerade hier das Große spiegelt. Ist damit auch in den schützenden Alpen das Ende aller Utopien eingeläutet? Die Gläser der politischen Erzählungen scheinen derzeit jedenfalls eher halb leer als halb voll. Der zähflüssige Brei vermeintlich einfacher Lösungen hat auch das Glas selbst getrübt: Wer ein Problem von außen beschaut, erkennt dann kaum noch das Innere: Die aller belebenden Elemente beraubten zugespitzten Meinungen bilden einen undurchdringlichen, klebrigen Klumpen. Da gilt es, Position(en) zu beziehen – und dabei die gesellschaftliche und politische Relevanz von Musik (und Kunst) sicherzustellen. Sie wird zwar keinen Konflikt lösen können, breitet aber Kontexte aus, lässt aufhorchen und hinsehen. An ihnen kann man sich schließlich auch Reiben und den eigenen Blick schärfen.

In diesem Sinne traf das Davos Festival in mehrerer Hinsicht den Nerv der Zeit, ohne dabei selbst politisch zu werden – eine interessante Form der legendären Schweizer Neutralität. Und dies bereits im Vorwort des substanziellen Festival-Magazins unter Verweis auf die Uraufführung von Beethovens Neunter vor nunmehr 200 Jahren mit ihrer vertonten Forderung nach weltumspannender Brüderlichkeit wie auch Ernst Blochs Geist der Utopie (1918), der mit einem „Es ist genug“, den Aufbruch markiert. Oder sind wir im Zeitalter autonomer Systeme und rasant entwickelter künstlicher Intelligenz Mary Shalleys Frankenstein-Fantasie von 1818 nicht doch näher als gedacht? 

Von solchen Überlegungen war es beim Davos Festival nur ein kleiner Schritt zu ebenso singulären wie faszinierenden Abend-Programmen mit kammermusikalischen Raritäten, wie sie in dieser Fülle, Vielfalt und interpretatorischen Qualität junger Musiker:innen wohl nur hier möglich sind: Constantin Regamey, Arthur Lourié und Amanda Maier, sowie Philippe Hersant, Rita Strohl, Wolfgang Rihm und Dora Pejačević (um nur die Namen der Komponist:innen von zwei der letzten Abende zu nennen). Dass das Festival auch tagsüber Musik und Aktivitäten „für alle“ bietet (heuer etwa den Soundwalk durch den Kurpark), gehört zum Konzept eines Freiraums, der nicht am Ohr endet, sondern erst beginnt.

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Davos Festival. Musik aus unmittelbarer Nähe – auch im Nebel. Foto: mku

Davos Festival. Musik aus unmittelbarer Nähe – auch im Nebel. Foto: mku 

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Reihe 9

Immer am 9. des Monats setzt sich Michael Kube für uns in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, manchmal aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb. Die Folgen #1 bis #72 erschienen von 2017 bis 2022 in der Schweizer Musikzeitung (online). Für die nmz schreibt Michael Kube regelmäßig seit 2009.

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