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In NRW ist die Offene Ganztagsgrundschule (OGTGS) seit dem 12. Februar 2003 beschlossene Sache. Bereits seit mehreren Monaten arbeiten zahlreiche Modellschulen im Ganztagsbetrieb. Zu Beginn des Schuljahres 2003/2004 sollen es 235 OGTGS sein. Zusätzliche Lehrkräfte für das Nachmittagsangebot sind aber knapp und kaum bezahlbar. Auch Mitarbeiter von Musikschulen, Sportvereinen u.a. Institutionen sollen daher das reguläre Grundschulangebot am Nachmittag ergänzen. Aber bietet die OGTGS im Umkehrschluss auch für die Musikschulen einen wirksamen Rettungsanker, der ihnen aus ihrer Existenzkrise hilft?
Die zukünftige Zusammenarbeit auf der Basis des OGTGS-Erlasses bleibt einer Befragung von Musikschulleitern zufolge zudem bis auf weiteres mit ähnlichen Problemen behaftet, die man bei den bereits heute bei Kooperationen zwischen Musikschulen und allgemeinbildenden Schulen vorfindet.PISA-Studie und Ganztagsschule
Das enttäuschende Abschneiden Deutschlands in der PISA-Studie forcierte die Einführung der Ganztagsschule in Deutschland. Schließlich gehören Betreuung und Unterricht am Nachmittag zum Standardangebot für die Schüler und Schülerinnen der lt. PISA-Studie führenden Länder.
Seit dem 12. Februar 2003 ist die Umwandlung zunächst zahlreicher Grundschulen in sog. Offene Ganztagsgrundschulen (OGTGS) amtlich. Die Ganztagsschulen in Deutschland sind damit kein bloßer Modellversuch, sondern klar auf Langfristigkeit ausgerichtet. In mehreren Wellen werden immer mehr Schulen umgerüstet. Der Unterricht an der OGTGS wird hauptsächlich nicht-curriculär sein und aus altersgemischten Gruppen bestehen. Er beruht auf zwei Säulen, der Betreuung, die durch einen ständig anwesenden Betreuer mit sozialpädagogischer Ausrichtung vorgenommen wird und einem Bündel ergänzender qualitativer Angebote. In Beispielrechnungen geht man i.d.R. von Gruppengrößen bis zu 25 Schülern und Schülerinnen aus. Welche Inhalte vermittelt werden, entscheidet die jeweilige Schule, die sich damit ein eigenes Profil erarbeiten kann. Der praktische Musikunterricht ist damit nur eine Möglichkeit von vielen. Durch die Rahmenvereinbarung zwischen dem Land NRW und dem Landesverband der Musikschulen in NRW (LVdM) vom 18. Februar 2003 wurden Musikschulen mit ihrem Lehrpersonal jedoch auch formell in das Konzept der OGTGS integriert.
Ziele der OGTGS
Die Landesregierung erklärte drei Kernpunkte zu Hauptzielen der Ganztagsschule:
- Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf;
- Verbesserung von Bildungsqualität und Chancengleichheit,
Förderung von besonders leistungsstarken gleichermaßen wie benachteiligten Kindern;
- "Ganztag in einer Hand", d.h. mit einer Finanzierung, mit nur einem Ort zur Anmeldung und zur einfachen Orientierung für Eltern.
Basierend auf französische Studien, die sich mit den Auswirkungen von Ganztagsangeboten u.a. auf die Lernfähigkeit und das soziale Verhalten auseinandersetzen, können im Hinblick auf die ersten beiden Zielbereiche bereits Prognosen zur Erfolgswahrscheinlichkeit der OGTGS in Deutschland abgegeben werden. Bei diesen französischen Erfahrungen ist jedoch zu beachten, dass als Untersuchungsobjekt hier die Vorschule (école maternelle) und nicht die Grundschule diente.
Neben dem in der PISA-Studie offenbarten höheren Wissensstand zeigen diese Studien bspw. den durchaus ebenfalls positiven Aspekt, dass der Besuch der Ganztagsvorschule das Wiederholen eines Schuljahres vermeiden hilft. Allein der erhoffte signifikante Ausgleich bestehender sozialer Differenzen konnte durch den Besuch der Vorschule nicht eindeutig nachgewiesen werden.
Durch die deutlich breitere Zeitspanne, in der Vorschulkinder in Frankreich betreut werden können, wird auch die dortige höhere Geburtenrate erklärt. Denn berufstätige Frauen können ihre Kinder ohne schlechtes (soziales) Gewissen in staatliche Obhut geben. Auch dies wird natürlich aus politischer Sicht in Deutschland als ein erstrebenswerter Zustand angesehen.
Wie in Frankreich sollen darüber hinaus auch in Deutschland Bildungsziele erreicht werden, die besonders auf vermittelten Inhalten künstlerischer Unterrichtsfächer basieren. Die Kinder sollen neben den primären Unterrichtsinhalten Kreativität, Disziplin, Frustrationstoleranz und Kommunikationsfähigkeit erlangen.
In der Praxis sind bisher unterschiedliche Herangehensweisen bei der (noch modellhaften) Umsetzung der OGTGS vorzufinden. In der Peter-Härtling-Patenschaftsschule in Langenfeld finden sich bspw. gleichzeitig zwei verschiedene Konzepte der OGTGS verwirklicht. Schüler und Schülerinnen aller Klassen können an Gruppenangeboten teilnehmen oder sie erklären sich bereit, an einer „Ganztagsklasse“, die von der ersten Klasse bis zum Ende der Grundschulausbildung beibehalten wird, zu partizipieren. Die Schule stellt den Schülern und Schülerinnen dabei pro Zeiteinheit gleich mehrere Kurse aus den Bereichen Musik, Sport, Förderkurse, Sprachunterricht u.a. zur Auswahl. Das musikalische Angebot der OGTGS umfasst bspw. Keyboard-, Flöten- und Gitarrenunterricht, sowie Rhythmik und Tanz.
Die anvisierte problemlose Orientierung und Anmeldung für die Eltern scheint damit unter den derzeitigen Bedingungen bereits realisierbar, setzt aber zunächst eine Orientierung der jeweils teilnehmenden Partner (bspw. die örtliche Musikschule, Sportvereine etc.) und der allgemeinbildenden Schule voraus. Diese ist jedoch noch längst nicht garantiert. Denn auch wenn zur besseren Koordinierung mittlerweile Trägerverbände eingesetzt werden, unterscheiden sich die finanziellen und sozialen Strukturen vor Ort grundlegend, so dass erfolgreiche Modelle nicht einfach 1:1 übernommen werden können. Entsprechend meldet die eine oder andere Musikschule bzw. ihr jeweilige Trägerr) zur zeit auch organisatorischen und betriebswirtschaftlichen Beratungsbedarf an.
Ganztagsschule und Musikschule
Bei Licht betrachtet ist die OGTGS aus der Sicht der Musikschule zunächst nur eine konsequente Weiterführung, eine Vereinheitlichung und Institutionalisierung bestimmter Zielrichtungen des LVdM-Programms Musikschule 2000, welches bereits Anfang der 90er Jahre entwickelt und seitdem zunehmend umgesetzt wurde. Schon lange forcierte der Landesverband entsprechende Vormittags- und Nachmittagsprojekte an den Schulen.
Für Musikschulen, denen derzeit bekannterweise vielerorts empfindliche Zuschussstreichungen ins Haus stehen, ist die aktive Teilnahme an örtlichen Ganztagsangeboten mittlerweile jedoch allein aus Existenzsicherungsgründen schlichtweg unverzichtbar. Nicht zu leugnen ist v.a. die legitime Hoffnung, dass Musikschulangebote, die nicht mehr durch die reduzierten kommunalen Zuschüsse bewältigt werden können, mit den (Förder-)Geldern des Landes für Ganztagsschulen (teil-)finanziert werden können, ohne sich damit von der Wahrnehmung des Aufgabenspektrums der Musikschule abzuwenden.
In der Rahmenvereinbarung zwischen Land und LVdM heißt es entsprechend: „(…) Angebote von öffentlichen Musikschulen […] haben bei der Durchführung außerunterrichtlicher musikpädagogischer Angebote Vorrang vor Angeboten anderer Anbieter“, wobei „Fragen der Vergütung [...] vor Ort zu regeln“ sind. Trotz dieses Beschlusses wird in den bisher betroffenen Grundschulen aber offenbar eher auf günstigeres Personal privater Anbieter zurückgegriffen. Pointiert wird dieses Problem in der Arbeitshilfe des Sportbundes vom November 2003 beschrieben: Der Sportbund, mit dem das Land eine ähnliche Rahmenvereinbarung getroffen hat, weiß, dass vielfach qualifizierte Übungsleiter mit Stundensätzen zwischen 10-35 € vergütet werden. Betreuen müssen sie dabei Gruppen mit einer Größe bis zu 25 Personen und dies nur mit der Unterstützung einer weiteren Bertreuungsperson. Zwar werden von den Schulen engagierte private Musiklehrer/Innen tendenziell nicht mit derart großen Gruppen zu rechnen haben, ihre Bezahlung wird aber ähnlich restriktiv bemessen sein. Öffentliche Musikschulen mit BAT-Personal laufen daher Gefahr, sich hier als nicht wettbewerbsfähig herauszustellen.
Einzig dem Umstand, dass bereits lange vor der offiziellen Einführung der OGTGS viele Musikschulen die Chance zur Zusammenarbeit mit den allgemeinbildenden Schulden erkannt und wahrgenommen haben, ist es offenbar zu verdanken, dass private Anbieter musikpädagogischer Unterrichte das interessante Potenzial nicht gänzlich abschöpfen konnten. Vielmehr konnten sich öffentliche Musikschulen in manchen Städten Gemeinden bereits einen festen Kundenstamm an Schulen bzw. Schülern und Schülerinnen aufbauen, die das Angebot hervorragend ausgebildeter Pädagogen zu schätzen wissen.
Übernimmt die Musikschule Unterrichts- und Betreuungsanteile an der OGTGS (die naturgemäß nicht die hohen Anforderungen des Kernangebots der Musikschule abdecken), so bindet sie ggf. neue Zielgruppen an sich. Überlässt sie hingegen das Feld der Ganztagsbetreuung privaten Anbietern, bleiben ihr schlimmstenfalls die nun in der Schule bedienten Kinder ganz weg.
Insofern kann man also den (Groß-)Gruppenunterricht in der OGTGS durchaus einerseits als „Appetitanreger“ für den regulären Musikschulunterricht verstehen. Andererseits darf jedoch dieser zusätzlichen Nachfrage an den Musikschulen (zumindest nicht in Zeiten knapper Kommunalkassen) per se mit (unwirtschaftlicherem) Einzel- oder Zweierunterricht begegnet werden. Entsprechend einer abgestuften Zielsetzung sollten interessierte Kinder auch in mittleren Gruppengrößen aufgefangen werden. Schließlich muss der Kernunterricht an der Musikschule selber vernünftig austariert werden zwischen ökonomischen Gruppengrößen einerseits und einer deutlichen qualitativen Abgrenzung ggü. dem Instrumentalunterricht an der OGTGS, um sich nicht selber zu „kannibalisieren“.
Die Befragung von kultur21 (Dr. Hirsch & Gayer Consulting)
In einer Befragung von 30 stichpunktartig ausgewählten Musikschulen in NRW unterschiedlicher Größe und Trägerform wollten wir Erwartungen und Erfahrungen mit der OGTGS kurz nach ihrer Einführung beleuchten. In der Regel wurde der jeweilige Musikschulleiter telefonisch befragt, bei sehr kleinen Schulen entsprechend der musikalische Leiter.
Stand der Kooperation mit Schulen
Zum Zeitpunkt der Untersuchung (Herbst 2003) gab es unter den befragten Instituten nur drei Musikschulen, die bereits im Rahmen der OGTGS unterrichteten. 15 weitere Musikschulen berichteten von Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Kindergärten, Sonderschulen und allgemeinbildenden Schulen außerhalb der Richtlinien der OGTGS. Acht Musikschulen besaßen angeblich keinerlei Erfahrungen mit dem Unterrichten in fremden Institutionen. Gründe hierfür waren u.a. angeblich sachliche Hindernisse wie eine lediglich geringe Größe oder die organisatorische Struktur der Musikschule. Es gab aber auch drei Musikschulen, die sich der Aktualität und Dringlichkeit des Themas in keiner Weise bewusst waren bzw. offen Desinteresse und Unkenntnis zeigten.
Zwei weitere Musikschulen machten keine Angaben zu dieser Frage. Diese und auch weitere Enthaltungen anderer Musikschulen im Verlauf der Befragung resultierten jedoch regelmäßig aus Gründen, die durch die jeweiligen Musikschulleiter selber thematisiert wurden und somit wiederum hilfreiche Informationen über die Stimmungslage in den Musikschulen liefern. I.d.R. fühlten sich diese Musikschulen in ihrer Existenz konkret bedroht und wollten ihre Situation nicht durch ggf. kritische Aussagen verschlechtern.
Bis auf fünf Enthaltungen zeigten alle Musikschulleiter auch großes Interesse an einer zukünftigen (fortgesetzten oder potenziellen) Zusammenarbeit zwischen der Musikschule und allgemeinbildenden Schulen im Rahmen des OGTGS-Erlasses. Bereits bestehende Kooperationen wurden in den überwiegenden Fällen durch die Musikschule selber initiiert. In nur zwei Fällen ging die Initiative zur Zusammenarbeit von „oben“, d.h. vom zuständigen Schul- oder Kulturamt aus.
Mag dieses wachsende Interesse auch zu einem guten Teil dem aktuell verspürten Zugzwang im Hinblick auf die defizitäre Finanzsituation der Kommunen erwachsen sein, so zeigt sich doch die pro-aktive Bereitschaft für eine konstruktiven Lösung dieses Problems, die zudem den Leitlinien aus Musikschule 2000 entgegenkommt.
Motivation und Qualifikation der Musikschullehrer
In den Fällen, in denen eine Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen Schulen und der Musikschule bereits etabliert ist, wurde diese entsprechend durch die befragten Musikschulleiter häufig als äußerst positiv wahrgenommen. Ernste Schwierigkeiten im täglichen Miteinander entstehen offenbar nur selten, bspw. hinsichtlich der Zusammenarbeit der verschiedenen Lehrerkollegien oder der gemeinsamen Nutzung der Räumlichkeiten. Erwähnt werden hin und wieder natürlich auch Defizite hinsichtlich der Verfügbarkeit von Instrumenten und Unterrichtsmaterial.
Die größte Barriere scheint jedoch auf der Seite der Musikschulen selber zu bestehen: Über die Hälfte der befragten Musikschulleiter halten ihr Kollegium eigentlich für nicht ausreichend kompetent, Klassen- oder auch Großgruppenunterrricht mit mehr als vier Personen durchzuführen. Hinsichtlich der Fortbildung sei Stagnation zu konstatieren. Obwohl sehr viele Musikschulleiter den Wunsch nach (mehr) Fortbildungen für Ihren Lehrkörper äußern und obwohl fast allen Musikschulleitern das verfügbar Fortbildungsangebot angeblich gut bekannt sei, haben sie bisher weder psychologische noch finanzielle Mittel gefunden, ihr Kollegium zur Teilnahme zu motivieren.
Mehrfach wurde auch erwähnt, dass das Kollegium einfach nicht auf den bestehenden Veränderungsdruck reagiere oder schlichtweg Angst vor Neuerungen habe.
Sehr schwer falle es den meisten Musikschulleitern zudem, die generelle Motivation ihres Personals hinsichtlich der Kooperation mit allgemeinbildenden Schulen einzuschätzen und zu steuern, da sich an diesem Thema vielerorts mitunter heftige Dispute im Kollegium entzünden.
Der Grad der mitgebrachten Motivation für Klassenangebote scheint den Aussage der Musikschulleiter zufolge durchaus mit der Art des Anstellungsverhältnisses, z.T. mit dem Alter und auch mit dem Ausbildungsweg der Lehrpersonen zu korrespondieren. Positiv hervorgehoben wurden bspw. eher jüngere, auch ausländische Musikschullehrer/Innen und Honorarkräfte.
Motivationsdefizite unter den Musikschulkräften sind natürlich zum Teil erklärbar. Bspw. werden im Regelfall (d.h. bei Anwendung des BAT) besser qualifizierte Lehrkräfte (die auch große Gruppen unterrichten können) nicht entsprechend höher entlohnt. Im Gegenteil empfinden viele Musikschullehrer und –lehrerinnen den Gruppenunterricht mitunter als „Bestrafung“. Die Schüler/Innen einer Schulklasse werden als weniger lernmotiviert angesehen, als die Kinder, die in der Musikschule selber unterrichtet werden. Auch sind die Gruppen in der allgemeinbildenden Schule (noch) heterogener und es muss mit weniger Elternunterstützung gerechnet werden, was wiederum zu mangelnder Übemotivation bei den Schülern und Schülerinnen führen kann.
Diese Probleme sind u.E. einmal mittels veränderter (d.h. differenzierter) Anspruchdefinition lösbar. Ferner könnten z.B. höhere Anrechnungszeiten für die Vorbereitung des nachweislich aufwendigeren Gruppenunterrichts helfen.
Organisation
Auch organisatorische Hemmnisse wurden angesprochen. Obwohl die Initiative zur Zusammenarbeit mit allgemeinbildenden Schulen (u.ä. Instituten) angeblich meistens von der Musikschule ausging, herrscht die Wahrnehmung bei den Musikschulleitern vor, die Schule zehre letztlich mehr von den Vorteilen dieser Kooperation. Die Ganztagsschulen befinden sich schließlich nicht in einer vergleichbaren finanziellen Zwangsituation wie die Musikschulen und tragen den größeren Nutzen, indem sie sich durch die hinzugewonnenen „günstigen Lehrkräfte“ mit einem interessanten Profil schmücken können. Meist müsse die Musikschule das Instrumentarium anschaffen und sich darüber hinaus streng nach den organisatorischen und finanziellen Vorgaben der allgemeinbildenden Schule richten.
Für das Personal der Musikschule bedeute die Zusammenarbeit zudem oftmals längere Fahrtzeiten in Verbindung mit teils unbezahlter und nicht produktiv nutzbarer Pausen.
Einige Musikschulleiter äußerten die Wunschvorstellung, dass der Instrumentalunterricht in den regulären Lehrplan der Schule eingebunden wird. Damit wäre zum einen eine attraktivere Bezahlung der Musikschulkräfte nach Lehrertarif möglich, zum anderen würde dem Musikunterricht damit auch mehr Wertschätzung zu Teil. Denn es bestehe durchaus die Befürchtung, dass der Unterricht innerhalb der Nachmittagsbetreuung zur bloßen „Beschäftigungstherapie“ degeneriere. Musikschulunterricht als reine „Betreuung“ verstanden könne sich schließlich auch negativ auf den regulären Instrumentalunterricht an den Musikschulen auswirken, der dadurch ebenfalls an Wertschätzung verlieren könnte.
Obwohl die allermeisten Musikschulen bereits über langjährige Erfahrungen mit allgemeinbildenden Schulen verfügen, fühlt sich über die Hälfte der Musikschulleiter mit der schrittweisen Einführung der OGTGS überfordert. Nur knapp 50% aller Befragten fühlen sich entsprechend ausreichend informiert über die Modalitäten, unter denen der Unterricht zukünftig an den Schulen stattfinden kann. Es herrsche weiterhin Unklarheit über die genaue Ausprägungen und Bedingungen des Nachmittagsunterrichts, bzw. der Nachmittagsbetreuung. Aber vor allem in Fragen der Finanzierung fühlen sich die Musikschulen trotz verschiedener (auch verbandseitiger) Ratgeber oder Kontaktstellen allein gelassen. (Tatsächlich thematisieren die große Anzahl an Broschüren, Infoblättern, Internettipps und Tagungen zumeist das „Was“ und „Warum“, selten jedoch das „Wie“. Erwähnenswert ist hier u.E. als Vorbild die sehr übersichtlich strukturierte Arbeitshilfe des Landessportbund NRW.)
Fazit
Die Ansichten und Erfahrungen der Musikschulleiter spiegeln insgesamt die Notwendigkeit und den Willen der Musikschulleitung wieder, an der Entwicklung und Ausgestaltung der OGTGS aktiv teilzunehmen, zeigen aber gleichzeitig in ihrem sehr polarisierenden Meinungsbild, wie unterschiedlich die Voraussetzungen im einzelnen sein können: In kaum einer der besprochenen Fragen bildete sich ein klarer, homogener Schwerpunkt heraus. Vielmehr zeigte sich, wie stark die Kooperationsbereitschaft der Musikschule auch an den örtlichen und personellen Gegebenheiten liegt.
Bestehende Hemmnisse für den (verstärkten) Unterricht in der OGTGS werden von den Musikschulleitern zumeist erkannt und auch ihre Lösungsvorschläge sind überwiegend nachvollziehbar. Jedoch scheinen diese gerade in (oder trotz) der gegenwärtigen Zwangslage mit Zuschusskürzungen, Unterrichtsabbau und gar Schließungen nicht ohne weiteres ad hoc realisierbar.
So komme bspw. ein noch in Entwicklung befindliches Fortbildungsangebot des LVdM, das speziell auf die Inhalte des Unterrichts in Ganztagsschulen abziele, dem derzeitigen Qualifikationdefizit vieler Musikschullehrer und –lehrerinnen zupass, sei aber finanziell nur schwer umsetzbar. Mangelnde Motivation, v.a. basierend auf unzureichenden Methodekenntnissen für den Klassenunterricht, wurde aber schon vor über zwei Jahren in einer vom LVdM in Auftrag gegebene Studie unseres Hauses diagnostiziert. Trotz der schon länger bekannten Tendenz zur Ganztagsschule und der gleichzeitig zunehmenden Existenzbedrohung vieler Musikschulen konnte dieser Mangel offenbar bisher nicht signifikant abgemildert werden.
Positiv war anhand der Befragung jedoch festzustellen, dass an Musikschulen mit überwiegend jüngerem Personal bereits ein spürbarer Bewusstseins- und auch Ausbildungswandel stattgefunden habe. Das „neue“ Kollegium sei tendenziell zunehmend bereit, auch große Gruppen zu unterrichten und erkenne ebenfalls die betreuende Funktion als wichtige Komponente des Berufsbildes an. Mehrere Musikschulleiter wussten von großem Engagement in der pro-aktiven Entwicklung von Angeboten für die OGTGS zu berichten, die eben nicht ausschließlich von Lehrkräften der Elementarstufe oder des Flöten- und Gitarrenunterrichts ausgingen.
Bestehen bleiben auch über ein halbes Jahr nach der Einführung der Offenen Ganztagsgrundschule die allen bewussten Finanzprobleme der Musikschulen bzw. ihrer Träger. Der frühe und flächendeckende, qualitativ abgesicherte Instrumentalunterricht in den allgemeinbildenden Schulen vermag jedoch gerade in widrigen Zeiten aus der Sicht der Musikschule auch ein kostenneutrales Betätigungsfeld für latent von Arbeitslosigkeit bedrohte Musikschulkräfte darstellen und gleichzeitig ein nachhaltiges Interesse der (Haupt-)Zielgruppe Kinder am Musizieren (und damit auch an Musikschule) erwecken.
Insgesamt überwiegen auch nach Ansicht der befragten Musikschuleiter die Chancen der OGTGS für die Musikschule die vereinzelt vermuteten Risiken.
Hilfestellungen der befragten Musikschulleiter
Im Folgenden werden möglicherweise hilfreiche Ratschläge der Musikschulleiter wiedergegeben, die bereits Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit verschiedenen Schulformen gesammelt haben.
- Pro-aktiv die Kommunikation mit den allgemeinbildenden Schulen suchen. Oft besteht auf beiden Seiten latentes Interesse, das lediglich noch nicht konkret formuliert werden kann. Auf Nachfrage ergibt sich meist eine fruchtbare Zusammenarbeit.
- In der bereits bestehenden Zusammenarbeit auf ausreichende Kommunikation und Transparenz achten. Beide Lehrerkollegien sollten im Unterricht involviert sein.
- Gute Stundenplanorganisation, durch feste Ansprechpartner auf beiden Seiten, die regelmäßig informiert werden. Deutliche Absprachen, die immer wieder nachkontrolliert werden sollten.
- Ein fester Ansprechpartner an den allgemeinbildenden Schulen, der selber fachliche Qualifikationen besitzt, ist sehr hilfreich.
- Es sind genügend Möglichkeiten zur Mitarbeit und zur Umsetzung eigener Ideen zu bieten.
- Sponsoren finden, die im Gegenzug Ausstattungskosten übernehmen, z.B. sind günstige Leasingverträge mit Musikalienhändlern denkbar.
- Im Musikschulkollegium müssen die Vorteile der Kooperation für die eigene Existenz kommuniziert werden.
- Jede Situation vor Ort ist anders; Zusammenarbeit ist besonders fruchtbar, wenn auf die individuellen Wünsche der Partner eingegangen wird.
Simone Neumann / Carsten Gayer, im Dezember 2003, Kontakt: kultur21, Tel: 0201-26690-0, mail: info [at] kultur21.com (info[at]kultur21[dot]com) / http://www.kultur21.com
(Literaturangaben auf Anfrage)