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„Jugend musiziert“ vor dem Quantensprung?

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Vom 7. bis 9. November war Zentralkonferenz in Potsdam
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Wer einen Hang zu dramatischen Formulierungen hat, könnte von einem Beben sprechen, dass am zweiten Novemberwochenende zu spüren gewesen ist. Kann man das Epizentrum lokalisieren? Man kann: Vom 7. bis 9. November fand in Potsdam die Zentralkonferenz „Jugend musiziert“ statt. Für die Öffnung für die Pop-Musik bei „Jugend musiziert“ wurde ebenso votiert wie um die Duo-Wertungen und die Literaturlisten gerungen wurde. Bricht „Jugend musiziert“ zu neuen Ufern auf?

Aber der Reihe nach: „Wettbewerb mit pädagogischem Auftrag“ lautet der Titel, unter dem die Macher von „Jugend musiziert“ Vorsitzende der Regional- und Landesausschüsse nach Potsdam eingeladen hatten. Imposantes und großzügiges Quartier für Tagung und Talk bot die Ostdeutsche Sparkassenakademie, der an dieser Stelle für ihre logistische Unterstützung nochmals gedankt sein soll.

Der Einladung leisteten insgesamt rund 140 Menschen rund um „Jugend musiziert“ Folge. Dazu gehörten Vertreter der Regional- und Landesausschüsse, Repräsentanten des Deutschen Musikrates, Gäste aus dem In- und Ausland verschiedenster Partner-Organisationen und schließlich diejenigen, die „Jugend musiziert“ in den 50er- und 60er-Jahren aus der Taufe gehoben hatten.

Marktplatz Meinungsbildung

Der Präsident des Deutschen Musikrates Martin Maria Krüger eröffnete am Freitag Abend die Zentralkonferenz, der Vorsitzende von „Jugend musiziert“ Reinhart von Gutzeit skizzierte anschließend in seinem Grundsatzreferat die „Welt“ des Wettbewerbs, benannte Positionen und Probleme und ermunterte die Zuhörer das künftige Erscheinungsbild von „Jugend musiziert“ während der Tage in Potsdam aktiv und mutig mitzugestalten.

Auf einem „Marktplatz“ wurden die Konferenzteilnehmer auf die 18 Workshops des kommenden Tages eingestimmt. Praktisch hieß das: aufstehen, herumlaufen, diskutieren, Positionen entwickeln, anstatt sitzend zuzuhören. All dies war weit mehr als ein warming up, sondern eine ganz konkrete Stoffsammlung und eine erste Momentaufnahme der Situation auf Bundesebene, den Ländern und Regionen.

Mit drei großen Themenkomplexen von jeweils einer Stunde begann der Samstag: Fragestellungen rund um „Messen, Bewerten, Motivieren, Orientieren“ erörterten auf dem Podium die Vorsitzenden der Landesausschüsse Schleswig-Holsteins, Sachsens und Mecklenburg-Vorpommerns, Christine Braun Friedrich Reichel und Volker Ahmels. Spezialisten zum Themenbereich „Rechtsfragen, Trägerschaften“ waren Rainer Mehlig, Bundesgeschäftsführer des Verbandes deutscher Musikschulen, Rechtsanwalt Wolf Steinweg und Rüdiger Schwarz, Vorsitzender des Landesauschusses Bayern. Im letzten Drittel des Vormittags hielt die Gesprächstherapeutin und Psychologin Dr. Irmtraut Tarr, die selbst als Schülerin, später als Lehrerin und Jurorin bei „Jugend musiziert“ Erfahrungen hatte sammeln können, ein eindringliches Impulsreferat mit dem Titel „Auch Ratschläge sind Schläge“.

Alle Anregungen der ersten 24 Stunden flossen am Samstag Nachmittag dann in die 18 Arbeitsgruppen ein. Je drei Workshops wurden unter einem der insgesamt sechs Dachthemen zusammengefasst: „Regionalarbeit“, „Juryarbeit“, „Öffentlichkeitsarbeit/Sponsoring“, „Wettbewerbsprogramm“, die Wettbewerbs-Software „JMDaten“, und „Punkte & Preise“. Die Stoffsammlung aus dem „Marktplatz“ war unterdessen auf diese Dachthemen bezogen sortiert worden und fand ebenso Eingang in die Sachdiskussionen der Workshops. Von hier kamen dann auch schließlich die Ideen, die „Jugend musiziert“ zu einem Quantensprung verhelfen könnten.

Zuvor aber noch ein Wort zur Gestaltung des Samstag Abends. Die Sparkassen-Finanzgruppe hatte mit einer Spende den kulinarischen Teil des Abends übernommen. Im musikalischen Rahmenprogramm präsentierte die 1. Bundespreisträgerin der Kategorie „Musical“ Monika Maier mit großer Ausstrahlung und unter begeistertem Beifall Teile ihres Wertungsprogramms und bekräftigte so einmal mehr das Vorhaben, „Musical“ zu einer festen Größe im Wettbewerbs-Kanon zu machen. Als top act des Abends war ein achtköpfiges Ensemble der Berliner Philharmoniker eingeladen worden, das sich unter dem Namen „Eine kleine Lachmusik“ in und außerhalb Berlins einen Namen gemacht hat. Es muss ernstlich vor ihnen gewarnt werden! Denn mit einer geradezu gesundheitsschädigenden Mischung aus Humor, technischer Perfektion, und wahrhaft grandiosen Arrangements waren sie geeignet, den Konferenz-Teilnehmern dauerhafte Zwerchfell-Schäden zuzufügen.

Die Neuigkeiten ab 2005

Am Sonntag Morgen dann wurden die Ergebnisse der 18 Workshops im Plenum zusammengetragen. Daraus resultierten wiederum mehr als ein Dutzend Beschlüsse, die der um die Landesauschuss-Vorsitzenden erweiterte Hauptausschuss am Ende der Zentralkonferenz „Jugend musiziert“ fasste. Wichtig zu sagen, dass alle in diesem Rahmen gefassten Beschlüsse zum ersten Mal in der Wettbewerbs-Ausschreibung 2005 relevant werden. Die Wettbewerbsregularien 2004 bleiben davon vollkommen unberührt. In der Ausschreibung 2005 werden dann, auch dies ist ein Ergebnis der Zentralkonferenz, alle Änderungen ausführlich und in voller Länge referiert werden.

Hier also ein erster Blick auf die Neuigkeiten ab dem Wettbewerbsjahr 2005:
Die Arbeitsgruppen des Themenkomplexes „Punkte & Preise“ hatten sich neuerlich mit einem Thema beschäftigt, das bereits als Beschluss der Zentralkonferenz 1996 in Neuss in den Wettbewerb getragen worden war: die Punktzahlen gerundet, ohne Kommastellen zu vergeben. Die Arbeitsgruppe des Jahres 2003 plädierte nach intensiver Überprüfung des Für und Wider dafür, diese Regelung beizubehalten.

Eine Weichenstellung für künftige Wettbewerbe könnte auch die auf der Zentralkonferenz kontrovers geführte Diskussion zum Thema Preisinflation bedeuten. Aus dem Plenum heraus wurde der klare Wunsch formuliert, auch künftig großzügig Preise vergeben zu können. Die Preis-Klassifizierungen sollten jedoch einer sanften Korrektur unterzogen werden. Sobald konkrete Beschlüsse zu diesem Thema gefasst werden, wird an dieser Stelle darüber zu lesen sein.

Die weitaus meisten Impulse kamen aus den Arbeitsgruppen des Dachthemas „Wettbewerbsprogramm“. Dort hatte man sich beispielweise mit den Duo-Wertungen beschäftigt und mit der Frage, ob man sie künftig auch in den Altersgruppen II und I anbieten solle. Die Diskussionsteilnehmer plädierten jedoch mehrheitlich dafür, das Angebot weiterhin auf die Altersgruppe III und höher zu beschränken. Anders das Thema „Originalliteratur“ für die Altersgruppen I und II. Hier beschloss man, die Regelung dahingehend zu modifizieren, grundsätzlich Originalliteratur zu fordern, für die Altersgruppen I und II jedoch geeignete Bearbeitungen zuzulassen. Womit das Thema Literaturlistenerstellung und –beratung angerissen wurde. Nach Ansicht des Plenums besteht dringender Aktualisierungsbedarf. So wurde die Bundesgeschäftsstelle gebeten, eine personell befriedigende und praktikable Lösung zu erarbeiten. Die gute Nachricht auch für alle Fans und Verfechter der 2003 auch auf Bundesebene eingeführten Solo-Kategorie „Musical“: eine große Mehrheit hatte sich dafür ausgesprochen, diese Kategorie im Bundeswettbewerb auch als Ensemblewertung anzubieten. Nordrhein-Westfalen wird die Ensemble-Wertung „Musical“ im Wettbewerb 2005 erstmals auf Landesebene durchführen. Auf Grund der dort gemachten Erfahrungen wird man über die Einführung auf Bundesebene beschließen.

Die populäre Musik

Das spektakulärste Ergebnis dieser Zentralkonferenz zum Schluss: „Ist die inhaltliche Erneuerung des Wettbewerbs abgeschlossen?“, lautete die Fragestellung in diesem Workshop, der bei weitem den größten Zulauf hatte. Lag es an dem engagierten Plädoyer von Udo Dahmen, Gründer und Direktor der Mannheimer Pop-Akademie, der als kompetenter Coach eingeladen worden war? Brannte das Thema der Mehrheit der JuMu-Verantwortlichen ohnehin schon lange unter den Nägeln?

Mit dem Begriff „Jugend musiziert“ dürfe man nicht länger nur den Teil der Jugend verbinden, der sich mit klassischer Musik beschäftige. Umso mehr, als der Bereich Pop- und Rockmusik längst zum Unterrichts-Kanon der Musikschulen in Deutschland gehöre. Mit großer Mehrheit befürworteten infolgedessen die Teilnehmer des Plenums am Sonntag Vormittag die Empfehlung der Arbeitsgruppe, „Jugend musiziert“ für Pop-Musik zu öffnen.

In welcher Weise und zu welchem Zeitpunkt diese neuen Kategorien bei „Jugend musiziert“ eine neue Heimat finden, ist nun Sache mehrerer Gremien im Deutschen Musikrat. Dahmens Vorschläge sehen vor, sechs Solo-Kategorien anzubieten: E-Gitarre, E-Bass, Keyboard, Vocals, Drums, und DJ. Dass vor dieser Einführung Bewertungskriterien, Zeitpläne und auch die Tragfähigkeit der „Marke“ „Jugend musiziert“ geprüft werden müssen, ist den Beteiligen klar.

Man wäre schlecht beraten, genau an diesem, womöglich historischen, Punkt vorschnell in billigen Aktionismus zu verfallen, anstatt eben diese Sorgfalt walten zu lassen, die „Jugend musiziert“ von Anbeginn auszeichnete: ein Wettbewerb mit pädagogischem Anspruch. Die schnelle Nummer mit den Superstars wird anderswo abgezogen.

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