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Prof. Vassilis Christopoulos (HfM Frankfurt) und Minsang Cho (HMT Rostock) im Modul Sinfonik. Foto: Christian Nam Nguyen Vu
Prof. Vassilis Christopoulos (HfM Frankfurt) und Minsang Cho (HMT Rostock) im Modul Sinfonik. Foto: Christian Nam Nguyen Vu
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Akademische Sensation

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CAMPUS DIRIGIEREN an der HFM Carl Maria von Weber Dresden
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Erste Frage an die Intendantin der Dresdner Philharmonie, Frauke Roth, zum Auftakt des Podiumsgesprächs im Rahmen von CAMPUS DIRIGIEREN an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden: „Haben Sie schon einmal mit so vielen Dirigentinnen und Dirigenten gleichzeitig in einem Raum gesessen?“ – Antwort: „Nein!“.

Was da an der HfM Dresden stattfand, kann getrost als eine kleine akademische Sensation bezeichnet werden. Denn dass 28 junge Studierende auf acht Dozenten treffen und in vier Modulen vier Tage lang in einer masterclass unterrichtet werden, dürfte wirklich zu den seltenen Glücksfällen in der Hochschulausbildung zählen. Doch der Reihe nach.

Die Arbeitsgemeinschaft der Dirigierlehrer (ja, es sind bisher noch keine Frauen darunter, ein Umstand, der uns selbst nicht gefällt, aber nur zu ändern ist, wenn endlich auch Dirigentinnen zu Dirigierprofessorinnen berufen werden!) gründete sich bereits im Jahr 1991. Thomas Ungar, Gunter Kahlert und Joachim Harder waren die ersten Schriftführer der AG, die mittlerweile von Nicolas Pasquet und Guido Johannes Rumstadt geleitet wird. Zunächst ging es um fachlichen Austausch, um die Abstimmung von Ausbildungsinhalten im Fach Orchesterdirigieren und zum Thema Hochschulorchester. Die gegenseitige Beratung, Information und Weiterbildung standen stets im Vordergrund der meist jährlichen Treffen. Sie erlangten besondere Bedeutung bei der Einführung des BA-/MA-Systems, das es zu koordinieren galt. Hier spielen in allen Musikhochschulen die Dirigent*innen eine große Rolle, da über die jeweiligen Hochschulorchester und Ensembles die Professor*innen wichtige Querschnittsaufgaben wahrnehmen.

Zum seit Jahrzehnten erfolgreich laufenden Hochschulwettbewerb aller anderen künstlerischen Fächer gab es für die Dirigierstudierenden nie ein echtes Pendant – zu aufwändig und zu teuer schien ein entsprechendes Format zu sein. An der HfM Weimar wurde 1999 erstmals der Versuch gewagt, einen eigenen Wettbewerb zu veranstalten. 2002 folgte Lübeck, 2006 Dresden, danach 2008 Berlin, 2011 Leipzig und zuletzt 2015 Stuttgart. Die Dirigierprofessoren vor Ort engagierten sich für die Durchführung, beschafften Geld und über ihre Kontakte auch Orchester, die für die jeweils mehreren Runden und ein Finalkonzert zur Verfügung standen. Von Mal zu Mal wurde der Hochschulwettbewerb Dirigieren, der gewissermaßen neben –  besser noch: jenseits der Aktivitäten der Rektorenkonferenz der Deutschen Musikhochschulen (RKM) – stattfand, attraktiver.

Die Neuordnung des Felix-Mendelssohn-Hochschulwettbewerbs mit dem zentralen Standort Berlin (im Unterschied zur vormals föderalen Verteilung im ganzen Land) sah einen streng geordneten Kanon vor, wann welches Fach ausgelobt wird, darunter war ursprünglich auch das Fach Dirigieren. Inzwischen wurde – auch unter erheblichem finanziellem Druck – das Gesamtkonzept des Felix-Mendelssohn-Hochschulwettbewerbs von der RKM erneut überarbeitet. Ein Wettbewerbsteil für die Dirigierstudierenden ist leider nicht mehr vorgesehen.

In dieser Situation sah sich die AG der Dirigierlehrer motiviert und gezwungen, selbst zu handeln und für ihre Studierenden etwas auf den Weg zu bringen! Es entstand die Idee, keinen reinen Wettbewerb zu veranstalten, sondern eine masterclass voranzustellen, bei der es vor allem um die Vermittlung von Praxis in den verschiedenen und höchst unterschiedlichen Repertoire-Schwerpunkten geht. Wir einigten uns auf ein zweistufiges System:

• Durchführung einer viertägigen masterclass an einer Hochschule
• Durchführung eines Wettbewerbs in Kooperation mit professionellen Orchestern an einem zweiten Hochschulstandort.

Jede Hochschule mit einer Orchesterdirigierausbildung durfte zwei Kandidat*innen entsenden. Die masterclass sollte in vier Modulen stattfinden:
• Sinfonik
• Klassische Moderne
• Zeitgenössische Musik
• Oper/Operette.

Für die Leitung der Module stellten sich jeweils zwei Professoren der AG zur Verfügung, die Hochschulen aus Dresden und Nürnberg waren mutig genug, einen ersten „Probelauf“ zu wagen.
Der erste Teil des CAMPUS DIRIGIEREN genannten Formats fand nun zwischen dem 25. und 28. September 2018 an der HfM Dresden statt. Mit ihrem profilierten Hochschulsinfonieorchester, ihrer repräsentativen Opernklasse, dem Netzwerk zu den ansässigen Spitzenorchestern sowie einer mittlerweile langen Tradition auch auf dem Gebiet der Neuen Musik erschienen die Voraussetzungen günstig, die anspruchsvolle masterclass realisieren zu können.

Das Modul Sinfonik beinhaltete Sinfonien von Mozart, Beethoven und Brahms, wurde vom Dresdner Hochschulsinfonieorchester gespielt und von den Mentoren Vassilis Christopoulos (Frankfurt) und Ekkehard Klemm (Dresden) betreut.

Das Modul Klassische Moderne enthielt Arnold Schönbergs „Pierrot lunaire“ op. 21 und Igor Strawinskys „L’histoire du soldat“ und stand unter der Leitung von Harry Curtis (Berlin) sowie Alexander Rumpf (Köln). Die Studierenden der HfM Dresden schlossen sich bei diesem Modul mit den Akademist*innen der Kurt-Masur-Akademie der Dresdner Philharmonie zusammen, die somit in die Durchführung des CAMPUS DIRIGIEREN eingebunden war.

Das Modul Neue Musik vereinigte Studierende der HfM Dresden, die auch das Fach Neue Musik belegen, mit Mitgliedern des aus der HfM Dresden hervorgegangenen, inzwischen international höchst erfolgreichen Ensembles El perro andaluz, das über eine Kooperation eingebunden war. Die Dozenten Florian Ludwig (Detmold) und Martin Brauss (Hannover) probten mit den Studierenden das äußerst anspruchsvolle „La chute d‘icare“ für Klarinette und Kammerensemble von Brian Ferneyhough sowie von Peter Ruzicka das erst kürzlich uraufgeführte Werk „STILL – Memorial für Posaune und Kammerensemble“.

Im Modul Oper/Operette standen Gesangsstudierende der Dresdner Opernklasse und Studierende der Fächer Dirigieren und Korrepetition der HfM Dresden zur Verfügung. Unter Leitung der Mentoren Guido Johannes Rumstadt (Nürnberg) und Franz Brochhagen (Dresden) wurden Ausschnitte aus Opern von Gluck, Mozart, Strauss und Verdi sowie Operettenrepertoire probiert.

Das Besondere an dem Format ist, dass auch die Studierenden der beteiligten Ensembles profitieren. Sie lernen nicht nur wichtige Standardwerke kennen, sondern benötigen Flexibilität im Reagieren auf unterschiedliche dirigentische Handschriften sowie Sensibilität für völlig konträre Herangehensweisen im Interpretieren. Auch für die Mentoren selbst ist das Programm eine besondere Art der Weiterbildung: Im Austausch über die zu gebenden Hilfestellungen entstehen wichtige Erkenntnisse über das Warum und Wieso der Lehre der Kollegen. Sie konnten einander gewissermaßen beim Unterrichten zusehen – eine für Dirigent*innen leider sehr seltene Möglichkeit! Beim Podiumsgespräch in der Mitte des CAMPUS DIRIGIEREN hatten alle – Studierende wie Dozenten – die Möglichkeit, ihre Fragen zu aktuellen Herausforderungen des Musiklebens zu artikulieren. Berichtete Frauke Roth zunächst von ihren eigenen Erfahrungen als Musikerin und Managerin, so ging das von Ekkehard Klemm moderierte Gespräch alsbald bis hin zu den Themen Musikvermittlung bei Konzertorchestern, Programmdramaturgie, Stellenwert der neuen Musik, Profil und Akustik neuer Konzertsäle sowie MeTwo und MeToo in der Musikwelt.

Im Januar nun wird CAMPUS DIRGIEREN mit dem Wettbewerbsteil in Nürnberg fortgesetzt. Hier stehen in der ersten Runde des Wettbewerbs das Nürnberger Hochschulsinfonieorchester zur Verfügung, anschließend die Nürnberger Symphoniker und für das Finalkonzert die Staatsphilharmonie Nürnberg. Zu den Juroren aus dem Kreis der AG Dirigieren kommen Christoph Adt, Vorsitz, Lucius Hemmer, Wolfgang Manz sowie ein Mitglied der Nürnberger Profiorchester. Den Ehrenvorsitz hat Michael Schönwandt aus Kopenhagen übernommen.

Ekkehard Klemm, Professor für Orchesterdirigieren und Leiter des Hochschulsinfonieorchesters an der HfM Dresden

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