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Alle Wünsche kann man nicht erfüllen

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Michels Music Consulting wertet vorbildlich Telefunken- und RCA-Katalog aus
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Man kennt das: durch irgendeinen dummen Zufall stolpert man über ein Lied, das man einst sehr geliebt hat, und man will es wieder hören. Nehmen wir an, es handelt sich um „Frag’ den Abendwind“, gesungen von Fran-çoise Hardy. Fragt man im Plattenladen danach, erntet man nur ratloses Schulterzucken: „Gibt’s nicht!“ Selbst im Internet wird man nicht fündig. Hat einem die Fantasie etwa einen Streich gespielt und das Lied existiert nur in unserer Einbildung? Nein! Seit Anfang September ist das Chanson zum ersten Mal seit Beginn des CD-Zeitalters vor fast 20 Jahren auf Compact Disc erhältlich. Wolfgang Michels war als einzigem gelungen, was vorher viele vergeblich versucht hatten, die Sixties-Legende Hardy zur Freigabe ihrer deutschen Aufnahmen zu bewegen. Als Chef von „Michels Music Consulting“ ist das sein bisher größter Coup.

vDabei gehört Wolfgang Michels selbst seit den späten 60er-Jahren zu den Legenden, besser gesagt, den „unsung heroes“ der deutschen Popmusik. Schon seine erste Band „Percewood’s Onagram“ errang bald Kultstatus. Zwischen 1969–1974 (so auch der Titel einer vorzüglichen Collection bei Edel Contraire) entstanden vier Alben, die seit Mitte der 80er-Jahre zu Klassikern gezählt werden. „Percewood’s Onagram“ waren das missing link zwischen den legendären „Monks“ und „Can“: Psycho-Folk-Blues zwischen Bob Dylan, Tim Buckley und Fairport Convention. Und sie waren die Lieblingskinder des britischen Blues-Königs Alexis Korner: „Das war ein seltsamer Klang – sehr stark sehnsüchtig – es hatte das Feeling der späten 20er...“ Eine kryptische Bemerkung aus einer fernen Zeit. Aber wenn man bedenkt, dass das London der Swinging Sixties sich auch im Berlin der Roaring Twenties spiegelte, war es ein großes Kompliment: die Band gehörte zum Klub. Nach dem Split veröffentlichte Michels einige wunderbare Soloalben im West-Coast-Sound („Full Moon California Sunset“), die von den Neo-Folkies in höchsten Tönen gelobt werden – und zog sich langsam aus dem Rampenlicht zurück.

In den späten 90er-Jahren gründete der Musiker und Produzent seine eigene Firma: „Michels Music Consulting“. Dabei entdeckte er eine Marktlücke: die kompetente Auswertung des Back-Katalogs der großen deutschen Plattenkonzerne. Abgesehen von Spezialfirmen wie „Bear Family Records“ kümmert sich kaum jemand um diese Aufgabe. Wer zum Beispiel heute einen „definitiven“ Sampler mit den „Polydor“-Aufnahmen Caterina Valentes sucht, wird von dem Multi Universal Music nicht bedient. Lieblos werden dafür immer wieder irgendwelche billigen Valente-Kompilationen auf den Markt geschmissen. Nach dem Motto: friss oder stirb! Und dann wird wieder über die bösen Raubkopierer gejammert, die sich vielleicht ihre ganze eigene Valente-Sammlung zusammengestellt haben. Der potenzielle Kunde ist wieder einmal der Böse.

Wie es anders geht, zeigt „Michels Music Consulting“. Für die deutsche RCA hat die Firma jetzt ein Paket mit neun „hochwertigen“ Kompilationen produziert. Neun „Legenden“ der 50er und 60er werden vorgestellt: Harry Belafonte, Nina Simone, Eartha Kitt, Paul Anka, José Feliciano, Della Reese, Rita Pavone, Duane Eddy und Françoise Hardy. Speziell für den deutschen Markt konzipiert, sind diese CDs mit Hits, Classics und Raritäten die „definitive“ Einstiegsdroge. Pünktlich zum 100. Geburtstag von RCA liegen damit endlich mustergültige Künstlerporträts vor. Was „in-house“ zwei Jahrzehnte bei RCA niemand gelang, schaffte Wolfgang Michels im Alleingang. Sein Vorgehen erinnert dabei an seinen amerikanischen „Bruder“ Paul Williams, der für die amerikanische RCA ähnliche CDs produzierte. Michels hörte sich durch das ganze Repertoire der Künstler, verglich es mit den Chartnotierungen in Deutschland, USA und England, machte sich auf die Suche nach Originalbändern und Fotomaterial und destillierte schließlich die „Essenz“ heraus. Dabei hat er die Titel nicht streng chronologisch angeordnet, sondern nach musikalischen Gesichtspunkten. Der „flow“ ist dem Musiker das Wichtigste.

Vorher hatte Michels bereits das legendäre „Telefunken“-Label wachgeküsst. Mitte der 90er-Jahre konnte er EastWest Records, die jetzige Eigentümerin des „Telefunken“-Katalogs, überreden, den magischen Glanz des Namens digital aufzupolieren. Es kam zum Relaunch. Inzwischen liegen 50 CDs vor, darunter viele der klassischen Hildegard-Knef-Alben und die Frühwerke Udo Lindenbergs im Original-Artwork. Generationen von Deutschen waren seit den frühen 30ern mit dem magischen Namen aufgewachsen: Marlene Dietrich, Hans Albers und Lale Andersen gehörten zu den Stars der ersten Stunden. Nach dem Krieg versammelte sich die ganze Familie vor der „Telefunken“-Musiktruhe.

Man saß vor dem magischen grünen Auge, der dezent beleuchteten Sendersuchlaufskala und dem Zehn-Platten-Wechsler. Und es erklang Vico Torriani: „Kalkutta liegt am Ganges...“. Manuela gab dem Bossa Nova Schuld, Billy Mo kaufte sich lieber einen Tirolerhut und für die Knef sollte es rote Rosen regnen. Danach forderten „Ton Steine Scherben“: „Keine Macht für niemand“. Kurz nach der Einführung der Compact Disc war es vorbei mit der „Telefunken“. Die damalige Teldec fand das Logo und die Marke nicht mehr zeitgemäß. Und so versank „Telefunken“ in einen Dornröschenschlaf. Bis ein Prinz kam...

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