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Guter Geist des Wettbewerbes: Namensgeber Yehudi Menuhin. Foto: Charlotte Oswald
Guter Geist des Wettbewerbes: Namensgeber Yehudi Menuhin. Foto: Charlotte Oswald
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Allerhöchste Maßstäbe werden angelegt

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Ein Bericht zu den „Menuhin-Preisen 2004“ in London
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Mit einem Wettbewerb, etikettiert mit dem Namen Yehudi Menuhin, ja von diesem Genius vor über 20 Jahren selbst begründet, verbindet sich ebenso hohe Verpflichtung wie Verantwortung. Voran ging – vor mehr als 40 Jahren – die Gründung und Etablierung jener Yehudi Menuhin School nahe London, in die möglicherweise noch mit einem Stipendium aufgenommen zu werden, zum Traum-Start außergewöhnlicher geigerischer Begabungen gehörte, einer Boardy-School für Teenies, in der allerdings die üblichen allgemeinbildenden Fächer ebenso zum Pflichtkanon des Unterrichts gehört wie natürlich vor allem die musikalische Intensivbetreuung durch den Genius selbst und sein Pädagogen-Team. Wer hier möglicherweise durch seine persönliche Wahl im Rahmen der weltweiten Reisen für einige Schuljahre fern der Familie Aufnahme fand, der durfte sich zu den höchsttalentierten Streichern rechnen, auf die man große musikalische Erwartungen setzte.

Das führte konsequenterweise zur Einrichtung eines eigenen Wettbewerbes mit dem Ziel, weltweit junge und jüngste Geigentalente aufzuspüren. Weltweit in der Tat: Denn woher kamen und kommen diese höchsttalentierten jungen Geigerinnen und Geiger, jene in den bisherigen zehn Wettbewerben seit 1983 über 100 ausgezeichneten Preisträger? Ein Fünftel aus Nordamerika, je zwei Fünftel aus dem Fernen Osten und Europa, Ost und West, darunter einige in der Szene bemerkenswerte Namen wie Isabelle van Keulen aus den Niederlanden, Tasmin Little aus England, Sylvie Sentenac aus Frankreich, Birgit Kolar aus Österreich, Gabriela Demeterova aus Tschechien, Elisabeth Glass, Julia Fischer, Sophie Moser und Markus Tanneberger aus Deutschland, Birgit Kolar aus Österreich, Nikolaj Szeps-Znaider aus Dänemark.

Die aus 29 Ländern stammenden 186 Bewerber dieses Jahres führten nach der von einer Minijury getroffenen Vorauswahl letztendlich zur Teilnahme von 42 Kandidaten, wovon ein Drittel aus dem Fernen Osten anreisen durfte, ein Drittel aus Osteuropa, während vom dritten Drittel sieben Kandidaten aus den USA, drei aus Australien und nur fünf aus Westeuropa die Zulassung erhielten. So ist nach einer bereits zehnmaligen Durchführung in zweijährlichem Turnus der Anspruch unverkennbar, bei der Beurteilung weiterhin allerhöchste Maßstäbe anzulegen. Das Vorspielprogramm zwischen Bach, Klassiksonaten, Piecen der Romantik und dem notwendigen virtuosen Vorzeigeprogramm ist mit jeweils einigen Wahlmöglichkeiten strikt vorgegeben. Zeitgenössisches gefordert war nur in der Älteren Sektion in einem von BBC in Auftrag gegebenen, von den Kandidaten allerdings nicht besonders geliebten, im musikalischen Verständnis anspruchsvollen Duo mit Klavier von dem Britten-Fellow Robert Keeley – anspruchsvoll, weil im Zusammenspiel rhythmisch kompliziert, ungewohnte Techniken und Klangeffekte abverlangend. Ein weiteres kammermusikalisches Engagement – bemerkenswerte Vorgabe in diesem Solistenwettbewerb! – wurde mit dem ersten Satz aus Kodalys Duo op. 7 mit Violoncello erwartet, von den jüngeren Kandidaten eine Händel-Passacaglia-Variation im Duo mit Viola. Die zehn Junior-Finalisten hatten die Chance sich mit dem ersten Satz einschließlich Kadenz aus den Mozart-Konzerten KV 216 oder 218, begleitet vom Royal Academy Studenten-Orchester vorzustellen. Für die vier Senioren-Finalisten mit einem Konzert von Vieuxtemps, Lalo, Saint-Saëns oder Paganini hatte sich BBC Concert Orchestra zur Verfügung gestellt.

So blieben der Jury unter dem Vorsitz von Leopold de Rothschild 22 Kandidaten in der Junior-Sektion (bis zu 15 Jahren) und 20 Kandidaten in der Senior-Sektion (bis zu 21 Jahren), für die Preise im Gesamtwert von über 20.000 £ (zirka 30.000 T) zur Verfügung gestellt waren, vier Preise limitiert traditionsgemäß für die Senioren, fünf für die Junioren.

Den ersten Preis und den für Chamber Music verdiente sich Joel C. Link (15 Jahre) aus Chicago/USA, den zweiten Preis Danbi Um (14) vom Curtis Institute Philadelphia/USA). Zwei dritte Preise wurden Ray Chen (15), ausgebildet am Sydney Conservatory/Australien, und Yoo Jin Jan (13) von der Korean National University of Arts Seoul zugestanden, der fünfte Preis der vierzehnjährigen Esther Kim aus Upland/Californien/USA, die schon in der Preisträgerliste 2002 als bemerkenswertes junges Geigentalent auftauchte und zur Zeit in Wien ihre geigerische Betreuung erfährt. Sie erhielt zusätzlich den „Art for Music-Prize“ der Europäischen Union of Music Competitions for Youth (EMCY), der dieser Wettbewerb mittlerweile als Mitglied angehört.

Der erste Preis der Senioren ging an Hye-Jin Kim (18) aus Korea, der vor vier Jahren schon unter den Preisträgern rangierte, der zweite Preis an den ebenfalls früheren inzwischen 20-jährigen Menuhin-Preisträger Daniel Khalikov aus Usbekistan, beide zur Zeit am Curtis Institute Philadelphia studierend. Mit dem dritten Preis bedacht wurde mit Je-Hye Lee (18) ein weiterer Koreaner, der an der National University of Arts in Seoul in Ausbildung ist. Vierter Preisträger ist der Japaner Yusuke Hayashi (19), der zur Zeit in Wien eine Ergänzungsausbildung erhält. Für die beste Darstellung des Senior-Pflichtwerkes, die Auftragskomposition „On the Tiles“ von Robert Keeley, wurde mit dem Composer-Preis Daniel Khalikov, mit dem Kammermusikpreis Anthony Sabberton (21), Student der Royal Academy of Music London, gewürdigt.

Von neun Auszeichnungen gehen auch diesmal fünf an Geigentalente aus dem Fernen Osten. Beachtenswert aber, dass alleine fünf der Preisträger ihre Ausbildung in den USA erhalten, zwei in Korea, einer in Australien. Immerhin studieren derzeit zwei (zeitweise) in Wien. Dass sich in London keiner der fünf Kandidaten aus europäischen Ländern als preiswürdig erwies, mag für das Konzept der Instrumentalausbildung in Europa ein Alarmzeichen sein, umso mehr als auch weitere Wettbewerbe für den Geigennachwuchs, so zum Beispiel die in Schöntal, Lublin und Usti nad Orlici kein wesentlich anderes Ergebnisbild lieferten. Kein Zweifel: den Geigen- und vielleicht überhaupt den Musikernachwuchs von morgen und übermorgen werden Amerika und der Ferne Osten stellen. Nicht weil diese jungen Menschen vielleicht musikalischer sind als die Europäer. Sondern andere Ausbildungsstrukturen und -traditionen und ein anders geartetes Umfeld geben dazu offensichtlich bessere Voraussetzungen. Nährboden ist die spezielle Für- und Vorsorge, welche junge Musiktalente frühzeitig erfahren. Sei es durch enorme Opfer der Familie, wenn sie nicht gerade zu den Hochbetuchten zählt, oder dank Sponsoren als Paten und gewährter Scholarships. Das ermöglicht musikalisch Hochbegabten hochkarätige Mentoren in den dafür bekannten Superinstituten Amerikas. Notwendige Allgemeinbildung, so bestätigen viele Preisträger, erhalten sie in der home school, sodass auch weite Rösselsprünge zum begehrten Lehrer im anderen Kontinent kein Hindernis darstellen. Dass gerade den aus dem Fernen (und auch aus dem Nahen) Osten aufsteigenden Superstars mitunter mehr durch technische Brillanz und frappierende Virtuosität, ja manchmal Paganini-hafter Hexerei überzeugen als durch musikalische Herzenswärme und Tiefe der Empfindsamkeit, ist ein nicht nur bei diesem Geigen-Wettbewerb gewonnener Eindruck, er gilt ähnlich auch für den pianistischen Nachwuchs.

Der Wettbewerb, dessen nächste Ausschreibung 2006 erfolgt, war Teil des Internationalen Violin-Festivals „Genius of the Violin“, der sozusagen die Atmosphäre dieses Wettbewerbes abgab. Bemerkenswert die Zusammenarbeit mit BBC Radio 3 und der Zeitschrift „The Strad“, ebenso die zahlreichen beispielgebenden Konzerte, Education Conferences und der Fortbildung und Orientierung gebende Master Classes. Beispielhaft für andere Wettbewerbe der kostenlose Gastfamilien-Aufenthalt für alle Kandidaten, die ja nicht ohne betreuende Begleitung angereist kamen, und das für die Gesamtdauer des Wettbewerbes. Das sollte dem Wettbewerb zusätzlich den Begegnungs- und Fortbildungscharakter geben, das Dabeisein, Vergleichen, das Erfahren aller drei Vorspielrunden ermöglichen, ebenso die Wahrnehmung angebotener Orientierungs- und Beratungsgespräche mit den Juroren. Neben einer Instrumenten-Auktion war es vor allem ein neuer Internationaler Geigen- und Geigenbogen-Wettbewerb, der Musikern, Lehrern wie Schülern die Möglichkeit einräumte, nach Lust und Laune einige hundert ausgestellte Objekten aus 30 Ländern zu testen und mitzubewerten.

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