Immer diese alten Gräben. Ganz allgemein zwischen Theorie und Praxis etwa. Zwischen Hochschulöffentlichkeit und Stadtgesellschaft. Und immer noch, wenn auch in abnehmendem Maße, zwischen der kanonisch an Hochschulen gelehrten und gelernten Musiktheorie und -praxis auf der einen und zeitgenössischer Musik auf der anderen Seite.
Zumindest der letzte Posten aber beginnt sich aufzulösen. Drei Jahrzehnte nach dem Gründungsboom von Spezialensembles für zeitgenössische Musik und alte Musik in der Bundesrepublik ist der Effekt, den diese Gründungen im Musikbetrieb hatten, an den Hochschulen angekommen, wie das Beispiel der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main zeigt. Eine schon etliche Jahre währende fruchtbare Zusammenarbeit zwischen dem Ensemble Modern mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst stand an den Anfängen einer Entwicklung, die vor fünf Jahren in der Gründung des Instituts für zeitgenössische Musik (I z M) kumulierte.
Das Institut für zeitgenössische Musik ist nicht einfach ein neues Hochschulinstitut mit neuen, speziellen Aufgaben, und die zeitgenössische Musik ist, so wie sie am Institut begriffen wird, nicht einfach ein weiteres Spezialgebiet in Forschung, Lehre und perspektivischer Praxis. Das Institut ist, so wie es sich innerhalb seiner Hochschule verhalten soll und verhält, eines, das die überkommenen Gräben nicht allzu genau beachtet.
Dazu passt, dass die verantwortliche Geschäftsführerin des I z M, Julia Cloot, die das Institut seit fünf Jahren zusammen mit einem Direktorium leitet, als Musikwissenschaftlerin weitreichende Erfahrungen in der so genannten Praxis gemacht hat. Eine zentrale Konsequenz daraus ist eine überaus wirksame Vernetzungsarbeit. Das I z M arbeitet heute in einem Kontext aus hochschulinternen Kooperationen, aus Allianzen mit dem Ensemble Modern, den Donaueschinger Musiktagen, dem traditionsreichen internationalen Musikinstitut in Darmstadt oder den Schwetzinger Festspielen sowie in einem Kontext eigener Initiativen, die zunehmend von privaten Förderern und Sponsoren unterstützt werden.
Die erste und vornehmste Aufgabe des neuen Instituts bestand am Anfang darin, die engagierten Einzelkämpfer im Hochschulraum zusammenzuführen und die zeitgenössische Musik zu einem Bestandteil des allgemeinen Musikstudiums zu machen. Die Perspektive: Alle Frankfurter Musikstudenten, egal, ob Schul- oder Alte Musik, sollten sich während ihres Studiums mindestens einmal gründlich und verbindlich mit zeitgenössischer Musik befasst haben. Und zwar theoretisch und/oder praktisch.
Zeitgenössische Musik wurde an der Frankfurter Musikhochschule als Wahl-Pflichtfach installiert. Es ging aber von Anfang an nicht nur um die konventionelle Erweiterung eines konventionellen Lehrangebots um ein neues Fach, sondern auch darum, die Verbindung zwischen dem Musikbetrieb und dem Hochschulbetrieb zu intensivieren. Die in Frankfurt seit einigen Jahren schon arbeitende Internationale Ensemble Modern Akademie hatte mit der Installierung eines Masterstudiengangs den ersten Schritt gemacht, an den es anzuknüpfen galt.
Hochschulintern hat die Leitung des I z M in den vergangenen Jahren für eine pointierte Erweiterung des Lehrangebots gesorgt. Es gibt eine mittlerweile stattliche Reihe von renommierten Gastprofessoren und Gastdozenten, die zu Lehrveranstaltungen, Vorträgen, Werkstattgesprächen und Konzerten eingeladen werden. Viele dieser Veranstaltungen bieten der Hochschule eine gute Gelegenheit, sich an eine erweiterte Öffentlichkeit zu wenden. Wenn beispielsweise Helmut Lachenmann an der Hochschule zu Gast ist, lässt sich damit leicht eine Brücke schlagen zu einem interessierten Segment innerhalb des regionalen Opern- und Musikpublikums; so füllen sich manchmal zu bestimmten Gelegenheiten Hörsäle mit Menschen, die man dort lange nicht mehr gesehen hat. Und wenn Beat Furrer an der Hochschule lehrt und dann im thematischen Mittelpunkt einer Veranstaltungsreihe und eines Symposiums innerhalb des „Auftakt“-Festivals an der Alten Oper Frankfurt steht, lässt sich das ebenfalls sehr gut nutzen. Zumal Julia Cloot selbst auf dem Furrer-Symposium mit einem der markantesten Referate der Veranstaltung zugegen war.
Eine Instituts-Aktivität im Frühsommer schlug eine Brücke zur Frankfurter Stadt-Öffentlichkeit. Alvin Currans spektakuläre und erwiesenermaßen variable urbane Klangtheater-Komposition „Maritime Rites“ wurde als Projekt der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Kooperation mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe von hundert Musikern auf dem Main und am Mainufer aufgeführt. Und im Oktober verzeichnete das I z M eine weitere horizonterweiternde Aktivität: Gemeinsam mit der Oper Frankfurt und nicht zuletzt aufgrund der Initiative des I z M-Gastes Beat Furrer (und unter seiner musikalischen Leitung) produzierte die Musikhochschule unter professionellen Bedingungen die Uraufführung des Musiktheater-Werks „Mond. Finsternis. Asphalt“ nach der Erzählung „Kesa und Morito“ von Ryunosuke Akutagawa. Vier junge Komponisten, Hanna Eimermacher, Martin Hiendl, Ji Young Kang und Christian Stark, lieferten je einen Einakter als Bearbeitungsweise des Stoffes; Laura Linnenbaum und Claudia Doderer machten mit ihren szenischen Konzepten aus den vier Arbeiten eine aspektreiche gemeinsame Produktion, die im Bockenheimer Depot, der Spielstätte der Oper Frankfurt für experimentelle und kleinere Produktionen, uraufgeführt wurde. (Lesen Sie dazu den ausführlichen Bericht auf der folgenden Seite). Zurzeit beteiligt sich das I z M an der Ausrichtung einer regionalen Konzertreihe zeitgenössischer Musik im Haus am Dom, einem für die aktuelle Kultur neu erschlossenen Gebäude im Zentrum der Stadt. So erweitert das Institut für zeitgenössische Musik in manchmal fast atemberaubenden Tempi Kompetenz und Einzugsbereiche der Hochschule.
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