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Alternative Altersvorsorge für Musiker

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Warum auch Kulturschaffende sich nicht von Indexfonds abschrecken lassen sollten
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Das Alter ohne Geldsorgen verbringen, sich die Wohnung leisten können, einen Euro für eine Kugel Eis übrighaben. Dass ein Lebensabend in Würde aufgrund eines maroden Rentensystems nicht mehr möglich sein wird, befürchten viele Erwerbstätige. Doch auf dem Sparbuch gibt es keine Zinsen mehr, die Inflation zieht an und von klassischen Vorsorgemodellen fühlen sich die Anleger über den Tisch gezogen. Gleichzeitig lässt sich eine Entwicklung beobachten: Mit den steigenden Kursen von DAX und Co spielen sich Aktien als Altersvorsorge in den Vordergrund. Experten preisen sogenannte ETFs als sicher mit hoher Rendite. Könnte das auch für Kulturschaffende eine Lösung sein? Eine Recherche.

Am 7. Juni empfahl der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln. Grund: der demographische Wandel, auf einen Rentner kämen immer weniger Beitragszahler. Momentan hieße das, dass Arbeitnehmer 2042 mit 68 in Rente gingen. Würde man nichts tun, würde in den nächsten zwanzig Jahren die Querfinanzierung des Rentensystems aus dem Steuertopf, jetzt schon bei 26% des Bundeshaushalts liegend, auf 44% ansteigen, so das BMWi. Heißt: Beiträge müssen steigen oder Rentenniveau muss sinken. Für viele Wähler war diese Nachricht ein Wachrüttler. Laut einer YouGov-Umfrage war „Rente“ unter den über 30-Jährigen das relevanteste Thema bei der vergangenen Bundestagswahl. Aber zum aktuellen Vorschlag der FDP, sich am kapitalgedeckten Rentensystem Schwedens zu orientieren, wurden Zweifel laut, nicht nur von links: Axel Börsch-Supan, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats, sagte kürzlich im Interview mit dem Handelsblatt, für eine derartige Reform sei es bereits zu spät. Was also tun?

„Für Musiker, generell für Selbstständige, ist es wichtig, sich mit Finanzplanung auseinanderzusetzen“, sagt Daniel Korth. Korth ist Autor, Podcaster, Blogger und Youtuber zum Thema Finanzen, im Netz unter „Finanzrocker“ bekannt. Das Alias kommt nicht von Ungefähr, sein zweites Buch „Soundtrack für Vermögenswerte“ ist ein Bildungsroman über einen Musiker, der anfängt, die Welt der Finanzen zu erkunden. „Ein Selbstständiger sollte eine eiserne Reserve von 6 bis 12 Netto-Monatsgehältern aufbauen, für einen Festangestellten reicht weit weniger. Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig solche Reserven sind.“ Geld, das darüber hinaus verdient wird, ist aber auf dem Sparbuch schlecht aufgehoben: „Man muss sich klar machen, dass das Geld durch Inflation und Strafzinsen an Kaufkraft verliert.“ Korth verweist damit auf einen Effekt, der sich schleichende Entwertung nennt. Diesen Effekt sollte man nicht unterschätzen. Kann man sich für 100 Euro heute vielleicht noch 100 Kugeln Eis kaufen, kann man sich bei einer anhaltenden Preissteigerung von drei Prozent in zehn Jahren nur noch 74 Kugeln kaufen. Man muss also etwas tun, um das Geld, das man für die Altersvorsorge zurücklegt, zu vermehren. „Für Selbstständige sind zwar Produkte wie Rürup in der Theorie nicht schlecht, praktisch muss man bei vielen aber so alt werden wie Jopi Hees­ters, damit man sein angespartes Geld wiedersieht“, sagt Korth.

Kleine Summen reichen

Korth plädiert für eine Anlage in ETFs: „Dafür muss man nicht bereits auf einem Haufen Geld sitzen, es reicht ein Sparplan auf einen breit streuenden ETF, zum Beispiel den FTSE All World des genossenschaftlich organisierten Unternehmens Vanguard. Das ist flexibel, transparent und geht inzwischen ab 25 Euro pro Monat.“ Korth muss zugeben, dass man davon nicht reich wird. Seine Devise lautet: „Hauptsache, man fängt erstmal an und steigert es dann, um sich später das Leben zu erleichtern.“ Es hilft, sich den Zinseszinseffekt vor Augen zu führen. Denn wie pandemische Inzidenzwerte steigen die Börsenrenditen exponentiell. Eine Summe verdoppelt sich nach zehn Jahren bei einer zu erwartenden Rendite von sieben Prozent und versiebenfacht sich nach 30 Jahren. Sind ETFs also riskante Zockerpapiere?

Do-it-yourself-Rente?

„Börsengehandelte Indexfonds, auch ETFs genannt, sind Fonds, die sich die äußerst gut bezahlten Fondsmanager sparen, weshalb diese Produkte kaum laufende Kosten haben. Sie enthalten Aktien einer zuvor festgelegten Liste, die zum Beispiel die größten Unternehmen der Welt enthält“ sagt Daniel Kanzler, Finanzberater bei Gerd-Kommer-Invest. Gerd Kommer war einer derer, die ETFs bekannt gemacht haben, seine Bücher sind Bestseller, seine Youtube-Videos tausendfach geklickt. „Dass diese Fonds langfristig bessere Renditen bringen als gemanagte Fonds ist in der Wissenschaft unbestritten. Man muss diese Wertpapiere allerdings langfris­tig halten, das ist wichtig“, gibt Kanzler zu bedenken, „mindestens zehn Jahre sollte man nicht darauf angewiesen sein.“ Denn Aktien haben zwar unter den Vermögenswertarten die höchste Renditeerwartung, unterliegen jedoch kurz- und mittelfristig deutlichen Schwankungen. Doch was ist, wenn man in Rente geht, auf das Geld angewiesen ist und ausgerechnet dann eine Wirtschaftskrise kommt? „Krisen und Crashs gehören zur Börse dazu. Deshalb sollte man immer eine ausreichende Reserve vorhalten, gerade im Rentenalter. In so einem Fall sollte man abwarten, bis sich die Kurse wieder erholt haben und nicht im Crash Anteile verkaufen. Denn langfristig erholen sich die Kurse immer, das lehrt die Geschichte“, antwortet Daniel Kanzler, „im deutlich wahrscheinlicheren Nicht-Crash-Szenario könnte man einfach jährlich kleinere Anteile verkaufen.“ Eine Do-it-yourself-Rente sozusagen.

Eine Alternative zur klassischen Lebensversicherung können ETFs, glaubt man den Experten, also allemal bieten. Allerdings braucht man dafür eine Menge Geduld und Disziplin. Den Spar­zwang einer Lebensversicherung oder eines Eigenheimkredits muss man sich selbst auferlegen: Sich jeden Monat aufs Neue den Caffè Latte sparen. Oder das nie genutzte Amazon Prime Abo. Außerdem muss zuvor ein nicht unerheblicher Puffer an Liquidität aufgebaut werden, falls das Instrument kaputt geht oder es zu Einkommensausfällen kommt. Das kann und möchte nicht jeder. Es gibt sicherlich nicht wenige Kulturschaffende mit moralischen Bedenken. Für diese hat sich die Finanzindustrie das Nachhaltigkeitssiegel „ESG“ erdacht. Unter diesem Siegel laufen Fonds, die auf Rüstungsunternehmen verzichten oder CO2-intensive Branchen ausklammern. „Hierbei ist aber aufgrund von Greenwashing Vorsicht geboten“, warnt Finanzrocker Daniel Korth, „man sollte sich hier genau informieren.“ Um seine Finanzen in den Griff zu bekommen, gibt es so viele Informationsquellen wie nie – für jede Zielgruppe. Sie heißen Finanzrocker oder Gerd-Kommer-Invest. Oder tragen Namen wie Finanzwesir, Großmutters Sparstrumpf oder Madame Moneypenny. Man muss auch nicht gleich zum neoliberalen Kapitalismus-Apologeten werden, damit im Alter die ein oder andere Kugel Eis mehr drin ist.

 

 

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