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Auf den Bahnen eines gegenwärtigen Musiktheaters

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Peter Ruzickas erste Festspiel-Saison: In Salzburg entscheidet die Oper über Erfolg und Misslingen
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Über die allgemeinen Voraussetzungen, unter denen der neue künstlerische Direktor der Salzburger Festspiele, Peter Ruzicka, die Nachfolge von Gerard Mortier angetreten hat, wurde schon in der letzten Ausgabe der neuen musikzeitung berichtet. Im folgenden sollen noch die wichtigsten neuen Operninszenierungen der ersten Ruzicka-Saison in gedrängter Form bewertet werden. Über das nicht weniger bedeutsame Thema der Neuen Musik bei den Festspielen werden wir im Zusammenhang mit Ruzickas Plänen für die kommenden Jahre in einer der nächsten Ausgaben referieren, auch über den diesjährigen im Umfang zwar kleinen, jedoch instruktiven Auftakt mit heutigen österreichischen Komponisten sowie mit der umfassenden, intellektuell brillant gestalteten Lachenmann-Hommage, die Vorbild für weitere Komponisten-Darstellungen sein sollte.

Über die allgemeinen Voraussetzungen, unter denen der neue künstlerische Direktor der Salzburger Festspiele, Peter Ruzicka, die Nachfolge von Gerard Mortier angetreten hat, wurde schon in der letzten Ausgabe der neuen musikzeitung berichtet. Im folgenden sollen noch die wichtigsten neuen Operninszenierungen der ersten Ruzicka-Saison in gedrängter Form bewertet werden. Über das nicht weniger bedeutsame Thema der Neuen Musik bei den Festspielen werden wir im Zusammenhang mit Ruzickas Plänen für die kommenden Jahre in einer der nächsten Ausgaben referieren, auch über den diesjährigen im Umfang zwar kleinen, jedoch instruktiven Auftakt mit heutigen österreichischen Komponisten sowie mit der umfassenden, intellektuell brillant gestalteten Lachenmann-Hommage, die Vorbild für weitere Komponisten-Darstellungen sein sollte. Die ersten vier Ruzicka-Visitenkarten liegen vor: Mozarts „Don Giovanni“, Zemlinskys „König Kandaules“, Puccinis „Turandot“ und von Richard Strauss „Die Liebe der Danae“. Die Beurteilungen der Aufführungen, in Kritik und im Publikumsurteil, schwankten mitunter gewaltig zwischen Jubel und strikter Ablehnung, vor allem bei den Inszenierungen.

Günter Krämers „Danae”-Inszenierung näherte sich dem Werk nicht im Antiken-Kostüm wie weiland die Salzburger Uraufführung 1952, sondern retierte intelligent die kuriose Aufführungsgeschichte der Oper: 1944 Generalprobe in Salzburg – die Verkündung des „Totalen Krieges” verhinderte die Premiere –, dann 1952 die nachgeholte Premiere, und jetzt, fünfzig Jahre später, die erneute Auseinandersetzung in Salzburg: Was könnte alles in dem Stück sich verbergen? Das Künstlerdrama, die Flucht vor der Wirklichkeit damals, als Strauss die „Liebe der Danae” komponierte, Altersresignation, aber womöglich auch die dunkle Ahnung vom Ende einer bestimmten Form spätbürgerlicher Kultur? Aktuell auch und immer noch: Die Geldgier, wenn die Gläubiger den Palast des verschuldeten Pollux plündern – Krämer inszeniert das als Börsencrash sehr witzig. Krämer entwirft für diese Perspektiven ruhige, einprägsame, subtil ausgeleuchtete Bilder (Gisbert Jäkel, Reinhard Traub). Fast etwas zu schön, um immer die denkbare Tiefenschärfe zu gewinnen, aber doch von einer Eindringlichkeit.

Fast totaler Ablehnung verfiel David Pountneys „Turandot”-Inszenierung. Gewiss, was Pountney und sein Bühnenbildner Johan Engels auf die Bühne des Großen Festspielhauses wuchteten, erinnerte an fürchterlichste Karajan-Inszenierungen. Doch enthielt Pountneys Konzept durchaus zutreffende Überlegungen.

Diese gingen von Puccinis Musik aus, in der sich viele Einflüsse der damals in den zwanziger Jahren aktuellen Musik wiederfinden, rhythmisch, harmonisch, in der Klanggestaltung. Pountney assoziiert auch Filmisches und Bildnerisches: Chaplins „Modern Times”, wo der Komiker im Zahnräderwerk sich verfängt, Fritz Langs „Metropolis”, die Bilder von Leger. Diese Optik mischt Pountney virtuos unter die Chinoiserien der Vorlage. Die zuckenden, maschinenartig agierenden Massen entfalten eine magisch-groteske Wirkung. Man könnte auch an die Mechanistik des Puppentheaters, die Apparate des Physikers Spalanzani denken. Die Herkunft des Stoffes legt solche Assoziationen nahe. Vielleicht hätte der Regisseur auch die Handlung ganz aus China nach Europa verpflanzen sollen: Turandot als verklemmte, hochmütige Industriellentochter, ein Fall für Doktor Freud. Das hätte sicher einen Skandal gegeben, andererseits aber auch besser zum neuen Berio-Finale sich gefügt. Luciano Berios Musik versucht sehr differenziert, die Wandlung der Prinzessin zu beschreiben – ein von Puccini vorgesehenes sinfonisches Intermezzo für diesen Prozess wird von Berio faszinierend einfühlsam in Klänge übersetzt.

Überwiegend Zustimmung fand dagegen Zemlinskys „König Kandaules”, vielleicht auch deshalb, weil kaum jemand das Werk je auf der Bühne gesehen hat, es sei denn in Hamburg oder Wien. Christine Mielitz inszenierte die vordergründig leicht konfus-komplexe Handlung sozusagen „textgetreu”. Eine seltsame Geschichte: Ein König verbirgt seine Frau, deren Schönheit sprichwörtlich sein soll. Schließlich folgt der Augenblick der „Entschleierung” auf einem Fest. Kandaules überlässt die Frau dem Fischer Gyges, den er zum Freund erhebt. Ein goldener Ring, den ein Gast in einem von Gyges gelieferten Fisch findet, orakelt Seltsames über das „Glück”. Schließlich überwältigt Gyges in der Gestalt des Kandaules die Königin, die, als sie die Wahrheit entdeckt, Gyges auffordert, Kandaules zu töten und mit ihr den Thron zu besteigen.

Hinter der Geschichte verbergen sich komplexe Themen, das Künstlerdrama, die Beziehung des Schöpfers zu seinem „Werk” in Gestalt der verschleierten Königin, das Cardillac-Motiv: der Künstler, der sich von seinem Werk nicht zu lösen vermag und die Käufer seiner Kunst deshalb ermordet. Schließlich auch die motivischen Verschlingungen von Macht und Liebe, Kunst und Verbrechen: eine naheliegende faschistische Perspektive. Das könnte, müsste eine aktuelle Inszenierung zu zeigen versuchen. Christine Mielitz‘ realistischer Zugriff blieb da etwas zaghaft außen vor.

Mozarts „Don Giovanni”: Dirigent Nikolaus Harnoncourt, Regisseur Martin Kusej, Bühne: Martin Zehetgruber. Das „Team” wird in den kommenden Jahren auch „La Clemenza di Tito” und den „Figaro” für Salzburg erarbeiten, deshalb lag auf dem „Don Giovanni” ein besonderer Erwartungsdruck. Kusejs „Verführer” (Thomas Hampson) zeigt wenig Neigung zum erotischen Supermann, er strebt dem Tod entgegen. Das ist das beherrschende Motiv, das Kusej und sein Bühnenbildner sowie die Kostümbildnerin Heide Kastler in ein modernes Outfit kleiden. Kaltes Weiß dominiert auf der sich unentwegt drehenden Rundbühne, die dabei unzählige Kabinette eröffnet, in denen kleine Szenen sichtbar werden. Staksende Models in weißen Bikinis suggerieren kalten Sex, auf dem Friedhof sieht man alte Weiber in zerrissenen Strümpfen, im Finale tragen die Damen die Unterwäsche in Schwarz: Proserpinas Schwestern. Wenig teuflisch, eher albern.

Kusejs Inszenierung agiert oft virtuos (die Verführung Zerlinas), ebenso oft ziemlich kindsköpfig, insgesamt in den Bilderfindungen und „Übersetzungen” ins zeitgenössische Kostüm auf seltsame Weise unverbindlich. Denselben Eindruck gewann man vor zwei Jahren auch bei Peter Brooks „Don Giovanni” für Aix-en-Provence: ein Spiel im leeren Raum im heutigen Anzug. Brillant inszeniert kann das durchaus Wirkung machen, aber: Werden die Geschichte und die Figur Don Giovanni dabei auch einsehbar? Lässt sich das geschichtliche und gesellschaftliche Umfeld, in dem Giovannis Treiben so verheerende Wirkungen zeitigt, ohne Verluste einfach ausblenden? Bleibt die Musik: Harnoncourt dirigiert mit den Wiener Philharmonikern einen in Temporelationen und plastischer Formulierung bestechenden Mozart, dem es im Gesamtzusammenhang etwas an dramatischer Kontinuität mangelt. Ein vorzügliches, homogenes Ensemble sorgt für vokales Glück: Hampson, Anna Netrebko (Anna), Michael Schade (Ottavio), Magdalena Kozena (Zerlina), Melanie Diener (Elvira) ragen hervor.

Ohne Einschränkungen grandios der musikalische Part im „Kandaules”: Kent Naganos Kompetenz sorgt mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin dafür, dass Antony Beaumonts ein wenig schematisch wirkende Instrumentation der Partitur fast Zemlinsky-süffig klingt. Robert Brubaker (Kandaules), Wolfgang Schöne (Gyges) und Nina Stemme (Königin Nyssia) singen und agieren überwältigend. In „Turandot” dominiert Gabriele Schnaut, während Johan Botha als Kalaf Strahlkraft vermissen lässt. In der „Liebe der Danae” beherrscht Franz Grundheber als Jupiter die Szene: Er singt die originale, etwas höher liegende Bariton-Partie mit umwerfender Präsenz und Intensität, während Deborah Voigts Danae ein wenig farblos blieb.

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