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Auf den Fingersatz geschaut

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Brandneu: Zeitgenössische Klaviermusik in neuen Editionen
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Anke Kies mit einer Bestandsaufnahme neuer Ausgaben zeitgenössischer Musik für Klavier

Piano Album, Bärenreiter Contemporary Composers, BA 8762

Mit dieser Neuerscheinung führt der Bärenreiter-Verlag seine Reihe der Klavier-Alben weiter und agiert sozusagen in eigener Sache. Dieser Ausgabe zugearbeitet haben Komponisten, die ihr Gesamtwerk oder wesentliche Teile ihres Schaffens dem Bärenreiter-Verlag anvertraut haben. Mit ihren Kompositionen bekunden sie ihre Verbundenheit auf vielfältige Art. Die Mehrzahl der Klavierstücke entstand eigens für diese Ausgabe, andere wurden bereits veröffentlichten Zyklen entnommen. Auf knapp 100 (!) Seiten kommen 19 Komponisten zu Wort, die sich im Bereich der zeitgenössischen Musik bereits etabliert haben und dem Klavier innerhalb ihres Schaffens eine nicht unwesentliche Rolle zukommen lassen. Tatsächlich lässt sich anhand der Stückauswahl die enorme Gestaltungspalette dieses Instruments aufdröseln (siehe Umschlagillustration) und mit den Schreibweisen der Komponisten multiplizieren.

Der Herausgeber Michael Töpel spricht im Vorwort von Miniaturen, die spieltechnisch ein weites Spektrum abdecken; sie sind wohl eher im fortgeschrittenen Bereich der Unterrichtsliteratur anzusiedeln, auch wegen der explizit nicht verwunderlichen Notationstechniken, die sich teilweise auf vier Systeme erstrecken. Zeitgenössische Spieltechniken (abgedämpfte Saiten, Flageolett-Töne, Cluster und die Kenntnis der oft auch individuellen Zeichen und Symbole) sollten dem Pianisten nicht völlig fremd sein. Rhythmische Versiertheit, eine gut ausgebildete Technik (Tremoli, Repetitionen, Arpeggios, Pedalisierung) und nicht zuletzt auch eine entsprechend große Hand für heikle Akkordgriffe sind unabdingbar. Aber auch das Meditative, ein gut durchgehörtes Tongeflecht in korrekter Wiedergabe, kommt zum Tragen, und selbstverständlich fehlen auch improvisatorische Momente nicht. Sowohl am Notentext als auch im Anhang finden sich Anmerkungen zu den einzelnen Stücken, davon einige von den Komponisten selbst verfasst. Wegen der Vielzahl der Autoren wird auf eine namentliche Nennung verzichtet. Der Fokus richtete sich mehr auf spieltechnische Aspekte und lässt noch Spielraum für die Neugier.

Karel Reiner: Minda-minda, Ricordi, Sy. 5277

Karel Reiner (1910–1979) gehört zur Gruppe jüdisch-tschechischer Künstler, die in der Zeit des Nationalsozialismus besonders harten Repressalien ausgesetzt waren. Ein Aufführungsverbot, dem sich der Komponist durch Hauskonzerte zu entziehen versuchte, mündete fast erwartungsgemäß in die Deportation; mehrere Konzentrationslager musste er durchleiden. Nach dem Krieg hoffte er auf einen künstlerischen Neuanfang in seiner tschechischen Heimat. Diese Hoffnung erfüllte sich zwar anfangs, aber letztlich musste Reiner erneut Einschränkungen seines künstlerischen Betätigungsfeldes hinnehmen.

Die vorliegenden sieben Klavierstücke für Kinder mit dem Titel „Minda-minda“ (Kosename für eine Katze) entstanden 1937, in einer Zeit erster künstlerischer Erfolge. Die Uraufführung jedoch spielte Reiner selbst erst am 5.4.1946 in Prag. Die absolut kurzen Stückchen erfreuen sich eines ungestümen Einfallsreichtums. Begonnen wird der Zyklus mit einem cantablen Stück, ruhig und schlicht. Schon bei Nummer zwei wagt er metrische Wechsel, scharf artikuliert, die in einer A-B-A-Form auch einen elegischen Teil zulassen.

Das dritte Stück trägt einen markant-kraftvollen Charakter, welcher mittels metrischer Vielfalt noch untermauert wird. Im nächsten Stück ist die linke Hand dominant, der rechten Hand werden lustige staccato-Einwürfe zugeteilt. Die Motive im 2/2-Takt werden aber durch eine Legato-Figur im 5/8-Takt unterbrochen, was fast wie ein Zwiegespräch anmutet. Auch das fünfte Stück lebt von den metrischen Wechseln, hier allerdings in schematischer Form, was eine gleichmäßige rhythmische Gestaltung nach sich zieht, aber flexible Tonfolgen erlaubt. Die Taktwechsel bleiben auch im sechsten Stück; in einer fast erhabenen Grundhaltung kommt es daher, an einen Choral erinnernd. Mit einem lebhaften Thema im Fünfton Raum, welches sich der lydischen Leiter bedient und mithilfe von Akzentuierung und Artikulation die stets präsenten Taktwechsel weiter auffrischt, aber noch einen kurzen, einmaligen Schwenker zur phrygischen Tonleiter wagt, schließt der Zyklus ab. Die für diese Stücke als Zielgruppe genannten Kinder sollten keinesfalls zu klein sein und schon eine grundlegende Ausbildung am Klavier hinter sich haben.

Arvo Pärt: Ukuaru valss, Universal Edition, UE 34746

Der Walzer entstammt dem Film „Ukuaru“ (1973). Die Erstfassung für Akkordeon erzielte so eine große Popularität, dass sich Pärt offenbar gezwungen sah, diesen Tanz höchst eigenhändig für Klavier zu bearbeiten, um den vielen kursierenden Stilblüten entgegenzuwirken. Der zweiseitige Walzer steht in reinem A-Dur mit charakteristischer Melodie- und Begleitfigur.

Und doch ist es kein gängiger Walzer: Pärt bleibt nicht konsequent bei der Achttaktigkeit, sondern schiebt regelmäßig einen Siebentakter dazwischen, was diesen Tanz erst liebenswert macht. Und dass man beim Hören nicht unbedingt eine Verbindung zu Pärt herstellen würde, tut der Sache keinen Abbruch. Ein leicht zu spielendes Stück, das mit Sicherheit gern angenommen wird.

Mike Cornick: Clever Cat goes on Safari, Universal Edition, UE 21525

Zu jeder Zeit gab es für Klavierschüler, ob nun Kind oder Erwachsener, gefällige Literatur, die gut ins Ohr geht, Spaß macht und der trotzdem nichts Primitives anhaftet. Mike Cornick legt seit Jahren Veröffentlichungen vor, die von Schülern dankbar angenommen werden. Und es ist ja auch nicht so, dass man im Bereich der populären Musik nichts lernen kann. Oft stellt man fest, dass sich Probleme, welcher Art auch immer, in diesem Metier ganz einfach lösen lassen.

Wie der Titel schon verrät, gibt es eine Safari mit einer Klavier spielenden Katze. Tiere der afrikanischen Wildnis tanzen Samba, Walzer, Ragtime oder Tango, marschieren und stolzieren, swingen und singen Blues, den es in auch einer Fassung mit Singstimme gibt. Kompositorisch bewegt sich Cornick dabei auf sicherem Pfad, und es haftet ihm nichts Gekünsteltes an. In spieltechnischer Hinsicht gibt es keine Auffälligkeiten, aber das gewisse Feeling ist zwingend – ohne diese Fähigkeit sollte man lieber die Finger davon lassen, denn auch hier ist Präzision angesagt.

Klaus Hinrich Stahmer: Four poems for piano, Verlag Neue Musik, NM 827

Klaus Hinrich Stahmers kompositorische Aktivität wird durch vielerlei Einflüsse geprägt. Der 1941 geborene Komponist suchte zunächst die Zusammenarbeit mit bildenden Künstlern, die zahlreiche, auch multimediale Projekte nach sich zog.

In der Folge entstanden sowohl pazifistisch motivierte als auch von außereuropäischer Musik inspirierte Werke. Die vorliegenden vier Poeme sind heterogene Einzelstücke, die aber auch durchaus als Zyklus dramaturgisch gerundet erscheinen. Was Stahmer hier lyrisch-episch mitteilen will, gibt er erst am Ende der Stücke als potentiellen Titel preis.

Die beiden mittleren Stücke sind Hommagen, die motivisch aus den Tönen der Namen Peter Michael Hamels und Hans Ottes gespeist werden. Dieses Tonmaterial formt Stahmer zu Intervall- und Akkord/Cluster-Formationen, die mit Hilfe des Pedals an Klangvolumen gewinnen. Das erste Stück steht unter dem Eindruck eines plötzlichen Lichteinfalls (siehe Cover!) und lebt von der Repetition eines absolut sparsam konzipierten Akkordschemas. Das vierte Poem ist ein Gebet an die Nacht, ein Requiem, welches in Anlehnung an das Gedicht „Ageless Night“ des Südafrikaners Sandile Dikeni entstand: Die Seele des Verstorbenen soll mit den Sternen im Einklang sein. Ein leises Stück, zumeist im oberen Violinschlüssel-Bereich angesiedelt, pedalbestimmt.

Da vermag auch eine vorhandene rhythmisch-metrische Bewegtheit die Ruhe nicht zu stören. Die Schwierigkeit bei der Interpretation liegt mehr im tonlich-sinnlichen Bereich, ist aber durchaus auch von Schülern mit entsprechend großer Hand spielbar.

Catherine Vickers: Die Hörende Hand, Schott, ED 20184

„Klavierübungen zur Zeitgenössischen Musik“ bietet die Autorin bereits in einem zweiten Band an und widmet sich hier in besonderem Maße der Tongebung, also den Lautstärken, der Pedalisierung, Anschlagstechnik, Artikulation unter Einbeziehung des „Innenlebens“ des Klaviers. Innerhalb dieser Thematik gelingt es ihr auf sehr anschauliche Art, neben theoretischem Rüstzeug und praktischen Hinweisen die Übungen vorzustellen und grafisch zu strukturieren. Das Hin-Hören wird zum Schwerpunkt erhoben und das Ohr zu feinerer Wahrnehmungsfähigkeit geschult. Zahlreiche Neuerungen bezüglich der Notation, die ja teilweise von Komponist zu Komponist individuell schwanken, werden einer genauen Erläuterung unterzogen.

Die Übungen erfreuen sich eines äußerst kenntnisreichen methodischen Aufbaus, der ein Nachahmen nicht zur Tortur werden lässt. Auch der Umgang mit (präparierten) Saiten, sicher für viele Interpreten noch ungewohnt, wird thematisiert. Vickers zieht sozusagen einen Faden von der Mechanik des Instruments zum Ohr des Interpreten; die Hand ist das ausführende Organ. Die Ausgabe trägt Praxischarakter, ist aber auch als Nachschlagewerk verwendbar.

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