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Auf den mythologischen Spuren des Weiblichen

Untertitel
Festivals, die sich mit Komponistinnen und ihrem Werk befassen, dokumentiert
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Unerhörtes entdecken. Komponistinnen und ihr Werk II, hrsg. von Christel Nies, Bärenreiter Kassel, 1996. 203 S., 29,80 Mark. Gegewelten. 10 Jahre Kulturinsitut Komponistinnen · 10 Jahre Internationales Festival für Neue Musik · 10 Jahre Heidelberger Festivalensemble, hrsg. von Roswitha Sperber, Wolke-Verlag Hofheim, 1997, 319 S. In der Regel positiv, jedoch mit Einschränkung – so antworten sie alle auf die Frage nach dem ganz persönlichen Nutzen davon, an Festivals oder Konzerten teilgenommen zu haben, die allein Frauen vorbehalten sind. Die Einwände war-nen vor einer „Ghettoisierungsgefahr“, die Mehrzahl der Betroffenen wünscht sich die Mischung und die damit verbundene künstlerische Akzeptanz von beiderlei Geschlecht. Der diverse Lebens- und Schaffensbereiche berührende Fragekatalog und die Antwort von Betroffenen finden sich in einer Publikation namens „Komponistinnen und ihr Werk“, die die gleichnamige Kasseler Konzert-Reihe dokumentiert. Veranstalterin Christel Nies, die Ende der 80er gemeinsam mit Roswitha Aulenkamp drei internationale Festivals „Vom Schweigen befreit“ initiierte, erfreut sich seit 1992 der Unterstützung des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst und absolvierte im nunmehr achten Veranstaltungsjahr jüngst das 30. Konzert. Die von Nies selbst herausgegebene Schrift setzt einen ersten Band fort und belegt hier die Konzerttermine im Zeitraum 1992-1995. Und zwar mit Programm, Vita und Werkauswahl der jeweils porträtierten Gattung, Region oder Person. Barbara Strozzi beispielsweise, Mia Schmidt oder Louise Farrenc, weibliche Arbeiten aus Lateinamerika oder zum Thema Bläserquintett. Die ungeheure Kenntnis und Sorgfalt bei Programmkonzeption und Interpretenauswahl, die Geringfügigkeit der finanziellen Mittel, den Überlebenskampf, aber auch den Publikumserfolg einzelner Konzerte und die wachsende politische Referenz an das Projekt beleuchtet die Broschüre nur wenig: was stattfand und immer noch stattfindet ist weitaus mehr, als was in guter Übersicht abgedruckt ist. Nur bedingt im Zusammenhang dazu stehen lesenswerte Sachbeiträge zu Fanny und Felix Mendelssohn, zu Frauenfiguren Richard Wagners, zu mythologischen Spuren weiblicher Ästhetik – die Autorinnen Beatrix Borchard, Silke Leopold und Nanny Drechsler gehören zu den führenden Köpfen akademischer (Frauen-)Musikforschung im Land. Im Mittelteil des Buches reagieren wie schon gesagt aktive Komponistinnen spontan auf jeweils etwa zwei Dutzend jeweils gleicher Fragen zu Ökonomie, Schaffen, Selbstbild und Werdegang. Es sind Namen aus dem engeren Kreis der deutschen Festivalszene wie etwa Ivana Loudova, Sofia Gubaidulina, Adriana Hölszky und Susanne Erding. Der Gewinn dieser Kurzinterviews ergibt sich weniger aus dem Detail, sondern aus der Bandbreite der Meinungen und Positionen. In ihrem Subtext wird jeweils klar, in welchem Maße etwa die Kategorie des Geschlechts das Schaffen dieser Frauen motiviert. Vergleichbar, und doch anders präsentiert sich die Festival-Unternehmung in Heidelberg. Von Beginn an galt das dortige Interesse der Neuen Musik, und zwar unter dreierlei Aspekt: Ästhetisches nicht von Sozialem zu trennen, den Blick auf Osteuropa zu richten – zuallererst jedoch, die allgemeine Unterrepräsentanz von Komponistinnen zumindest ortpraktisch zu korrigieren. In Namen und Programm des Internationalen Festivals für Neue Musik dominierte in Heidelberg zuerst Letzteres: die ersten Jahrgänge 1985/96 galten wie auch in Kassel der Entdeckung von Komponistinnen quer durch die Jahrhunderte. Ab 1987 wuchs die zeitgenössische Orientierung – das veranstaltende Kulturinstitut Komponistinnen vermied es früh, sich weiter allein auf Frauen zu „reduzieren“ und porträtierte lebende Tonsetzerinnen fortan im Spannungsfeld ihrer männlichen Kollegenschaft. Erschütternde Musik beispielsweise von Galina Ustwolskaja wurde in Heidelberg entdeckt, vom eigens gegründeten Festival-Ensemble ur- und erstaufgeführt. Aufregendes gleichfalls kam zu Gehör von Myriam Marbé, Adriana Hölszky, Ruth Zechlin, Ruth Schonthal, Ivana Loudova oder Younghi Pagh-Paan – den Preisträgerinnen der Jahre, die Synonyme waren für heute bereits wieder überlagerte Konflikte und Fragen. In der Rückschau jedoch sprechen die Themen- und Länderschwerpunkte der Festivals und alternierenden Konferenzen für eine kulturpolitische Sensibilität, die ihresgleichen sucht: im Juni 1988 gastierten erstmals Komponistinnen aus der UdSSR, im September 1989 (man bedenke!) hieß der Schwerpunkt DDR. Folgejahre thematisierten die Kulturkreise Japan, Tschechien/Slowakei, Rußland und das Baltikum. Die vorliegende Publikation Gegenwelten dokumentiert in erster Linie das 1996er Jubiläumsfestival zum Thema Romantik gestern und heute. Die abgedruckten Diskussionen und Referate (u.a. von Nancy Reich, Dieter Schnebel, Hans Heinrich-Eggebrecht) zeigen die allerdings eher konservative fachwissenschaftliche Untermauerung, die seitens namhafter Referenten, zum Teil aber auch aus der Verflechtung mit der Heidelberger Universität gewachsen ist. Der statistische Teil birgt die Geschichte: Gelebtes Engagement vieler nur Genannter ist hier in Daten und manchem Fotoschnappschuß niedergelegt und berichtet in Zahlen von der Entwicklung der drei Heidelberger Standbeine Institut, Festival und Festival-Ensemble vom voraussetzungslosen Anfang bis zur heute international bekannten Institution.

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