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Der Pay-TV-Kanal „Classica“ bei DF1 sendet täglich 24 Stunden lang
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Eine kleine, aber feine Perle für Freunde klassischer Musik liegt eingeschlossen von Spielfilmkanälen wie „Romantic Movies“, „Herz&Co“ oder „Star Kino“ und dem neuen Erotikkanal „Blue Channel“, von dem man sich eine schwindelerregende Steigerung der Abonnentenzahlen erhofft, im Pay-TV-Sender DF1 des Medienmoguls Leo Kirch. „Classica“ ist bereits seit Ende Oktober 1996 auf Sendung und „wendet sich an jene Liebhaber klassischer Musik, deren Erwartungen von den traditionellen Sendern nicht erfüllt werden“, so lautet die Zielsetzung im Werbeprospekt.

Die Macher von „Classica“ residieren zwischen Kühen und High-Tech-Gebäuden in Ismaning nahe dem Münchener Fernsehzentrum Unterföhring, von wo aus DF1 auch sendet und produziert. Und sie sind samt und sonders Profis auf den Gebieten Fernsehen und klassische Musik. Geschäftsführer Michael Fuehr ist zum Beispiel eigentlich berufener Produzent von Musiksendungen mit eigener Firma in München. Gabriele Eichinger, zuständig für die Ressorts Oper, Ballett und Jazz und ganz von Anfang an bei „Classica“ dabei, hatte unter anderem bereits ein eigenes wöchentliches Magazin bei einem Münchener Fernsehsender. Arthur Intelmann, der Mann, der sich für die Neue Musik des 20. Jahrhunderts und für Dokumentationen stark macht, war zehn Jahre lang bei verschiedenen Theatern und Orchestern – als Dramaturg, Chefdramaturg und Leiter Öffentlichkeitsarbeit – tätig. Bevor er bei „Classica“ ab Mai 1996 Pionierarbeit leistete, war er Editorial Manager bei Sony Classical in Hamburg. Der zuständige Redakteur für Kammermusik, Christoph Engel, ist Musikwissenschaftler und hat fünf Jahre für das ZDF gearbeitet. Thomas Salb schließlich, verantwortlich für das Porträt am Mittwoch abend und das Konzert am Sonntag, war vorher in der Musikredaktion bei Arte sowohl redaktionell als auch in der Sendeabwicklung beschäftigt. An „Classica“ hätten ihn „die schnelleren Entscheidungswege, also das unmittelbare Zusammenarbeiten direkt von der Programmentscheidung bis zur Sendung und zur Betrailerung“ gereizt. Dabei ist er seit Februar 1997. Die Idee für einen Sender, der ausschließlich klassische Musikliebhaber bedient, hatte Chef Leo Kirch persönlich. Dort konnte er endlich die bereits hergestellten Sendungen seiner Produktionsfirma Unitel unterbringen. Classica sendet 24 Stunden pro Tag und setzt sich aus sieben Programmfarben zusammen. Jeden Tag der Woche wird von 20.15 Uhr drei Stunden lang ein zum erstenmal gezeigter Beitrag aus einer der oben genannten Sparten gesendet, zeitversetzt und systematisch wird jeder dieser Beiträge dann jeden Tag zu einer anderen Zeit wiederholt. Die Zuschauer können also entweder einmal pro Woche 24 Stunden lang ein komplett neues Programm sehen oder es sich Tag für Tag zur gleichen Zeit einverleiben. Dabei ist allen am wichtigsten, daß das Programm nicht „häppchenweise“ verabreicht wird, „bißchen hier ein Häppchen, bißchen da ein Häppchen, ’ne Arie von Pavarotti und so,“ das ist nicht, was sich Michael Fuehr vorstellt. So kann man Anfang April bei „Classica“ zum Beispiel die Fernsehpremiere des Bayreuther „Parsifal“ von 1998 erleben, Ende März wurde eine Aufzeichnung der Matthäuspassion aus Leipzig ausgestrahlt, der „Don Carlos“ aus dem Pariser Châtelet von 1996 wird Mitte April gezeigt. Eigenproduktionen sind noch eine Seltenheit bei „Classica“, abgesehen von den Kosten bräuchten Musikerporträts eine immense Vorbereitungszeit: Eine Anne-Sophie Mutter sei eben „zwei, drei Jahre vorher ausgebucht“. Auch Live-Übertragungen kann sich der junge Sender bis jetzt aus finanziellen Gründen noch nicht leisten. Spricht man die Abonnentenzahlen an, stößt man an eine Mauer des Nichtwissens, die Redakteure hätten keine Zahlen parat – so heißt es. Abonnenten aber, die nur ausschließlich „Classica“ für 20 Mark im Monat – plus D-Box-Miete von 19,95 Mark – nutzten, könne man noch an ein paar Händen abzählen. Die meisten abonnierten doch das ganze DF1-Basispaket mit über 30 Kanälen für 20 Mark pro Monat plus 10 Mark für „Classica“ extra – kein ganz billiges Vergnügen also für 49,95 Mark im Monat. Dafür könne der Klassikliebhaber sein kulturelles Wissen dann aber auch in Kanälen wie dem Dokumentationskanal „Discovery“ erweitern. An einer genügend großen Zielgruppe mangle es nicht, da sind sich die Redaktionsmitglieder einig: „Die große Chance bei diesem Spartenkanal ist, daß man eben eine Zielgruppe erreicht, die es tatsächlich auch gibt, die Interesse hat an Ballett, Oper und Dokumentationen, weil das eben in anderen Sendern nicht mehr bedient wird,“ so Thomas Salb. Und Artur Intelmann stellt fest: „Früher gab’s doch jeden Sonntag eine Oper oder ein großes Sinfoniekonzert im ZDF oder auch mal am Abend eine Oper, das ist ja alles vorbei.“ Die öffentlichen Sender, „wollen Musik eigentlich nicht mehr im Programm haben, weil’s nichts mehr bringt“, so bringt Michael Fuehr seine Meinung auf den Punkt. Daß der Markt zu klein für ein Land wie Deutschland ist, haben die Macher von „Classica“ trotzdem einsehen müssen, sie kooperieren bereits mit dem französischen Pay-TV-Sender „Mezzo“, es gibt auch bereits „Classica Italia“ und „Classica Japan“ – mit anderen Schwerpunkten, Italiener hörten nun einmal am liebsten italienische Oper... Wer also nun doch noch nicht ganz überzeugt ist und nicht sofort in ein Fernsehgeschäft gehen und eine D-Box leihen oder seit neuestem für zirka 500 Mark erstehen will, kann sich ab Ostern auf einer ausführlichen neuen Web-Site im Internet informieren. „classica.de“ wird die jeweils laufende und die folgende Woche detailliert vorstellen, natürlich auch als bewegtes Bild mit Musik. Der Hick-Hack zwischen Bertelsmann, die „Premiere“ neuerdings fast ganz abstoßen wollen, und Kirch mit DF1 ist noch nicht ganz ausgestanden. Die Abonnentenzahlen sind – wohl dank dem sexy „Blue Channel“ – im letzten halben Jahr von 200.000 um ein Drittel auf zirka 300.000 gestiegen. „Classica“ wird in dem Kampf um Geld und Zahlen der Mediengiganten wohl nie eine besonders große Rolle spielen – wohl ein Zeichen der Zeit.

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