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Berichte aus dem Deutschen Bundestag

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Nachrichten und Schlagzeilen aus Berlin
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Demokratie als Bauherr. Nachdem der Deutsche Bundestag zu Beginn der neunziger Jahre die Entscheidung über die künftige Gestaltung des Reichstags als Sitz des Parlaments zu treffen hatte und in einer emotionalen Debatte das Für und Wider einer Rekonstruktion oder Modernisierung diskutiert wurde, befasste sich am 4. Juli 2002 das Parlament mit einer minder schwierigen Frage: der Gestaltung der historischen Mitte Berlins. In der Öffentlichkeit wurde das Thema zumeist unter der schlichten Begrifflichkeit Stadtschloss: ja oder nein abgehandelt. Ebenso verkürzend ist auch der Vorwurf an die Befürworter des Schlosses, rückwärts gewandt zu sein, oder aber der Vorwurf an diejenigen, die eine moderne Architektur bevorzugen, die in der Mitte Berlins steingewordene Geschichte nicht ernst zu nehmen.

Demokratie als Bauherr. Nachdem der Deutsche Bundestag zu Beginn der neunziger Jahre die Entscheidung über die künftige Gestaltung des Reichstags als Sitz des Parlaments zu treffen hatte und in einer emotionalen Debatte das Für und Wider einer Rekonstruktion oder Modernisierung diskutiert wurde, befasste sich am 4. Juli 2002 das Parlament mit einer minder schwierigen Frage: der Gestaltung der historischen Mitte Berlins. In der Öffentlichkeit wurde das Thema zumeist unter der schlichten Begrifflichkeit Stadtschloss: ja oder nein abgehandelt. Ebenso verkürzend ist auch der Vorwurf an die Befürworter des Schlosses, rückwärts gewandt zu sein, oder aber der Vorwurf an diejenigen, die eine moderne Architektur bevorzugen, die in der Mitte Berlins steingewordene Geschichte nicht ernst zu nehmen. Der Deutsche Bundestag folgte in der Plenardebatte um die Historische Mitte Berlins und bei der anschließenden Abstimmung einer seiner besten Traditionen, dass die Abgeordneten tatsächlich nur ihrem Gewissen verpflichtet sind und daher erfolgte die Abstimmung ohne Fraktionszwang.

Als erster Redner lobt Eckhardt Barthel (SPD), dass der Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestags nach den langjährigen Diskussion in seiner Beschlussvorlage eine beschlussfähige Vorlage erstellt hat. Weiter hat die Internationale Expertenkommission Historische Mitte seines Erachtens ein schlüssiges Nutzungskonzept vorgelegt, auf deren Grundlage über die Gestaltung entschieden werden kann. Barthel macht deutlich, dass das zu errichtende Gebäude aus privaten und aus öffentlichen Mitteln errichtet werden muss. Da Berlin sich aus den bekannten Gründen finanziell kaum beteiligen wird, ist ein Vorzug einer Teilrekonstruktion des Schlosses, dass es leichter sein wird, private Geldgeber zu finden. Dennoch plädiert Barthel dafür bei aller finanziellen Not, die Tür jetzt noch nicht zu zuschlagen und auf der Grundlage des vorgelegten Nutzungskonzeptes einen Architekturwettbewerb auszuschreiben, um sowohl Ideen für eine moderne Architektur oder für eine Teilrekonstruktion Raum zu geben.

Ebenso klar wie sich Barthel für einen Wettbewerb ausgesprochen hat, plädiert Dietmar Kansy (CDU/CSU) für eine Teilrekonstruktion des Stadtschlosses. Er erinnert daran, dass Berlin eine lebendige Architektur hat. An der Gestaltung des Schlossplatzes festzumachen, ob Berlin moderner Architektur zugewandt ist oder nicht, führt seiner Meinung nach nicht weiter. Wichtiger ist, so Kansy, dass bereits die DDR im Bereich der westlichen Spreeinsel in der Architektur den Weg der Rekonstruktion vorhandener Bauten und nicht des radikalen Neubaus gegangen ist. Der Gendarmenmarkt, die Neue Wache, das Alte Museum und andere Gebäude verweisen auf das Schloss, dass als gestalterisches Herz jedoch verloren ist. Die vorgeschlagene Teilrekonstruktion kann seines Erachtens die Wunde in der Mitte Berlins schließen.

Dr. Antje Vollmer (Bündnis 90/Die Grünen) setzt sich in ihrem Redebeitrag mit der Frage auseinander, ob der Erhalt architektonischer Tradition nach rückwärts gewandt sein muss. Sie erinnert daran, dass ganz in der Nähe der historischen Mitte am Alexanderplatz die moderne Architektur zu ihrem Recht kommen wird. Zugleich verdeutlicht sie, dass Berlin im Unterschied zu anderen europäischen Metropolen ein zentrales Moment einer geschlossenen architektonischen Tradition fehlt. Zentral ist ihres Erachtens das Schloss, denn mit Blick auf dieses Gebäude wurden alle anderen benachbarten Bauwerke geschaffen. Diese Bauwerke stehen für Kultur, für Bildung und Forschung. Das Stadtschloss ist inmitten dieser Bauwerke ein Ort der politischen Macht. Zusammen wird daraus ein Ensemble, eine politische Landschaft.

Zur Zukunft bekennen und die Tradition aufnehmen, soll nach Meinung von Günter Rexrodt (FDP) das zu errichtende Gebäude. Und dieser Idee wird, so Rexrodt, am ehesten der Vorschlag einer Teilrekonstruktion gerecht. In diese Teilrekonstruktion könnten so schlägt er vor, auch herausragende Teile des Palastes der Republik integriert werden. Er erinnert weiter an das bereits von Barthel vorgetragene Argument der Finanzierung des neuen Gebäudes. Wie sein Vorredner hält er nur eine privat-öffentliche Finanzierung für möglich. Und ebenso wie Barthel ist er der Auffassung, dass eine Teilrekonstruktion am ehesten geeignet ist, private Mittel in nennenswerter Größenordnung zu akquirieren.

Der Berliner Senator für Kultur, Wissenschaft und Forschung Dr. Thomas Flierl (PDS) macht mit Nachdruck die Parlamentarier darauf aufmerksam, dass sie sich mit der Entscheidung für eine Gestaltung, bereits bevor sie sich zum Bauherrn erklärt haben, das Vorhaben zu eigen machen. Er plädiert daher dafür, die Reihenfolge von Nutzungsbestimmung, städtebaulicher Einordnung, Finanzierbarkeit und zum Schluss erst der Architektur des Neubaus einzuhalten. Da bislang erst Vorschläge für die künftige Nutzung vorliegen, sollte nach der Abarbeitung der anderen „Hausaufgaben” über die Gestaltung entschieden werden. In einem dann stattfindenden Wettbewerb hätte auch eine Teilrekonstruktion ihre Chance.

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) führt insgesamt fünf Gründe für die Teilrekonstruktion an. Auch er bezieht sich auf die notwendige Akquirierung privater Mittel, die am ehesten durch eine Teilrekonstruktion zu gewährleisten ist. Gewichtiger sind nach seinen Ausführungen aber historische, städtebauliche, nutzungsbezogene und architektonische Gründe. Er vertritt die Auffassung, dass der demokratische Souverän als Bauherr sich nach den langandauernden Diskussionen festlegen kann und eine Entscheidung treffen sollte. Die Entscheidung für die Teilrekonstruktion ist dabei keine Entscheidung gegen moderne Architektur, sondern eine für einen bewussten Umgang mit der Geschichte.

Auf den Symbolgehalt der historischen Mitte Berlins geht Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU) ein. Er verweist auf die historischen Linien, die mit dem Platz verbunden sind und misst dem Schloss den Rang eines nationalen Denkmals zu. Zugleich macht Lammert aber auch klar, dass das heutige demokratische Deutschland einen anderen Kristallisationspunkt, nämlich den Reichstag und die umliegenden Gebäude, hat. Gerade weil dies so ist, kann das Parlament die Souveränität besitzen, ein Votum für eine Teilrekonstruktion des Schlosses abzugeben und damit einen „Beitrag zur Wiederherstellung des Gesichts und des Selbstbewusstsein unserer gemeinsamen Hauptstadt” leisten.

Ideologische Abrüstung in der Bildungspolitik?

In seiner Abschiedsrede im Deutschen Bundestag am 4. Juli 2002 plädierte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Wolf-Michael Catenhusen (SPD) für ideologische Abrüstung in der Bildungspolitik. Seines Erachtens bieten sowohl die Ergebnisse der TIMMS- als auch der PISA-Studie die Chance die Grabenkämpfe zu überwinden und eine konsistente Bildungspolitik zu entwickeln.

Dabei reicht es seiner Meinung nach nicht, allein die Schule in den Blick zu nehmen. Was gebraucht wird, ist eine Positionsbestimmung zur Schulbildung, der beruflichen Bildung, dem lebenslangen Lernen und auch der Hochschulbildung. Hilfreich kann in diesem Zusammenhang eine nationale Bildungsberichterstattung sein, die der eigenen Standortbestimmung dient, kontinuierliche und systematische Informationen zum Bildungswesen liefert und gegenüber dem Ausland ein gesamtes und differenziertes Bild des Bildungswesens vermittelt.

Ganz und gar nicht auf Abrüstung sondern eher auf mannhafte Verteidigung war die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Ministerin Dagmar Schipanski, gestimmt. Nachdem sie zunächst darauf verweist, dass die unionsregierten Länder im PISA-Ländervergleich besser abgeschnitten haben, als die SPD-regierten und gravierende Unterschiede zwischen den Ländern bestehen, kommt sie zu dem Schluss, dass nun aber die Kultusministerkonferenz die erforderlichen Schritte eingeleitet hat und bereits längst die Erarbeitung nationaler Bildungsstandards beschlossen hat.

Nicht den Blick nach innen sondern nach draußen sollten die Bildungspolitiker nach Auffassung von Dr. Reinhard Loske (Bündnis 90/Die Grünen) richten. Loske nimmt damit das auf, worauf der Leiter des deutschen PISA-Konsortiums, Prof. Dr. Baumert, bei der Vorstellung der Ländervergleiche abgehoben hat. Maßstab für deutsche Bildungspolitik darf nicht der Vergleich der Länder untereinander sondern das Messen mit den erfolgreichsten Ländern in der Internationalen PISA-Studie sein. Loske plädiert wie schon Catenhusen für einen unabhängigen Sachverständigenrat, der regelmäßig eine nationale Bildungsberichterstattung vorlegt.

Als peinlich bezeichnet die Vorsitzende des Ausschusses für Bildung und Forschung des Deutschen Bundestags, Ulrike Flach (FDP), den derzeitigen Streit der Kultusminister, wer unter den blinden der einäugige Kultusminister ist. Das Augenmerk sollte ihres Erachtens viel mehr darauf gerichtet werden, wie Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche herzustellen ist, denn derzeit weichen die Ergebnisse zwischen den Ländern gravierend voneinander ab. Hierzu wird es erforderlich sein, in allen Ländern deutliche finanzielle Akzente in der Bildungspolitik zu setzen und sich auf nationale Bildungsstandards zu einigen.

Dr. Gerhard Friedrich (CDU/CSU) bringt in seinem Redebeitrag den Kern der Ablehnung auf den Punkt, in dem er sagt: “Bei anderen Debatten waren wir uns doch bereits darüber einig, dass wir nicht wollen, dass die Ministerpräsidenten zu reinen Verwaltungspräsidenten der Länder und die Landtage zu reinen Petitionsausschüssen werden.”

Und genau hierin liegt eine der Ursachen für die derzeitige hitzige Debatte um die Kulturhoheit der Länder. Sowohl die Bildungs- als auch Kulturpolitik sind die letzten Rückzugsgefechte der Länder, in denen sie ihre Eigenständigkeit verteidigen. Die Kultusministerkonferenz wirkt dabei manchmal wie die letzte Trutzburg, in der die Wunden geleckt, der Streit zunächst untereinander und dann in aller Schärfe vereint nach außen geführt wird. Ob so ideologische Abrüstung gelingen kann, sei dahingestellt.

Kulturpolitiker gegen den Rest der Welt

Zu später Stunde wurde am 4. Juli 2002 im Deutschen Bundestag die Debatte um die Bildungs- und Kulturhoheit der Länder fortgesetzt. Zur Diskussion standen die Anträge „Nationale Verantwortung des Bundes für Kunst und Kultur stärken” (Drucksache 14/9098) der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, „Systematisierung der Kulturförderung von Bund und Ländern” (Drucksache 14/8736) der CDU sowie „Kulturföderalismus in Deutschland erhalten (Drucksachen 14/4911 (neu), 14/7702) der FDP. Die Drucksachen können in puk 2/2002 nachgelesen werden.

Den Auftakt zu dieser Debatte machte Staatsminister beim Bundeskanzler Dr. Julian Nida-Rümelin. Gleich zu Beginn macht er deutlich, dass die kulturpolitische Gestaltungsaufgabe in Deutschland in erster Linie bei den Ländern und den Kommunen angesiedelt sein sollte.

Die zentrale kulturpolitische Aufgabe des Bundes ist, so Nida-Rümelin, die Gestaltung des Ordnungsrahmens. Bei Beachtung des Vorrangs der Länder und Kommunen setzt sich Nida-Rümelin in seinem Beitrag für das Zusammenwirken von Bund, Ländern und Kommunen in der Kulturpolitik ein und warnt vor einem Konkurrenzkulturföderalismus. Daraus folgt auch, dass der Bund den Anspruch auf seine Kompetenz für Einrichtungen und Projekte von nationaler Bedeutung nicht aufgeben sollte.

Sehr viel pointierter geht Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU) das Thema an. Unmissverständlich macht Lammert klar, dass seines Erachtens die Entflechtungsdebatte nicht hinter verschlossenen Türen in Kommissionen geführt werden darf, sondern in die Parlamente, d.h. den Deutschen Bundestag und die Landtage gehört. Die Mitverantwortung des Bundes für herausragende Kultureinrichtungen ist seines Erachtens unverzichtbar und darf sich, so Lammert, nicht auf die Hauptstadt Berlin und die Bundesstadt Bonn erstrecken. Im Gegenteil, gerade die Länder sollten ein massives Interesse an einer Beteiligung des Bundes, um eine einseitige Konzentration zu verhindern. Dieses gilt insbesondere für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

Auf die Stiftung Preußischer Kulturbesitz geht auch Bundestagsvizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (Bündnis 90/Die Grünen) in ihrem Redebeitrag ein. Sie teilt das Unverständnis ihres Vorredners über den geplanten Rückzug der Länder aus der Verantwortung für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, wo doch „Ruhm und Ehre der Stiftung Preußischer Kulturbesitz” darin bestehen, das Kulturerbe eben nicht nur in der Hauptstadt zu pflegen. Vollmer rückt die derzeitige Diskussion um die Entflechtung in den größeren Kontext einer Reform des Föderalismus, der ihres Erachtens angesichts des größer werdenden Europas bevorsteht.

Hans-Joachim Otto (FDP) bittet um Verständnis für die Empfindlichkeiten der Länder, wenn es um die Kulturhoheit geht. Sie ist das Letzte, was ihnen noch geblieben ist, nachdem ihre Kompetenzen in den vergangenen Jahren vom Bund beschnitten wurden.

An die gemeinsame Verantwortung der Länder für Kultureinrichtungen und die Kulturförderung appellierte Dr. Heinrich Fink (PDS). Er sieht nicht allein den Bund gefordert, sich hierfür einzusetzen, sondern misst dem Zusammenspiel der Länder eine wichtige Bedeutung zu. Seines Erachtens birgt die einseitige Zuweisung von Kompetenzen an den Bund die Gefahr in sich, dass die Kulturhoheit der Länder „in einen bedenklichen Provinzialismus mündet”.


In diesem Sinne darf der Kulturföderalismus nicht als unantastbar gelten, sondern muss den Erfordernissen des Sozial- und Kulturstaats Bundesrepublik Deutschland angepasst werden. Folgerichtig spricht sich Fink für eine Ausdehnung der Gemeinschaftsaufgabe nach Art. 91bGG auf den Kulturbereich aus.

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