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Claus-Henning Bachmanns Tagebuch (September 98)

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Verhunztes Frauenbild
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Die Bayreuther Ereignislosigkeit wurde durchbrochen. Schlimm-Schreckliches geschah am Rande des Hügels, das Banale mischt sich mit Gepränge. Mit großen, ernsten Worten wird zur Stunde das internationale wissenschaftliche Symposion „Richard Wagner und die Juden" eröffnet, initiiert von der Tel Aviv University, getragen von der Howard Gilman Israel Culture Foundation und der Richard-Wagner-Stiftung. Was die deutschen Beteiligten angeht: eine Flucht nach vorn. Das Thema ist unangreifbar. Ob die historischen Voraussetzungen, die Aufarbeitung des Antisemitismus im 19. Jahrhundert, bereits erfüllt sind, wage ich nicht zu beurteilen. Die Frage, wie antisemitisch ein Künstler sein darf, ist heute weniger beantwortet denn je. Der Wagnerianer und Dichter Thomas Mann fand „das nazistische Element" 1940 auch in Wagners Musik und gestand zugleich Erschütterung ein, wenn nur „irgendein abgerissener Klang" daraus sein Ohr traf. Der Übergang von Größe zum Banalen wird dadurch markiert, daß man mit der Wahrheit lügen kann, sogar mit der des sogenannten Holocaust; die Berliner Mahnmal-Diskussion ist ein theatralisches Beispiel. Politische Korrektheit ist Renate Schostacks Buch „Hinter Wahnfrieds Mauern: Gertrud Wagner – ein Leben" (Hoffmann und Campe Verlag) zu bestätigen. Nutzen bringen die Einsichten zum ebenfalls erst lückenhaft auf-gearbeiteten Thema Nachkriegsdeutsch-land nicht. Sie werden verdeckt von dem über weite Strecken durchschlagenden vulgärfeministischen „Enthüllungs"-Journalismus: Der Mann als „Zerstörer" der Frau. Der Mann war der ältere Wagner-Enkel Wieland, gestorben am 17. Oktober 1966, betroffen war „die Mitbewirkerin seiner Gedanken" (Schostack), seine vor wenigen Wochen gestorbene Ehefrau Gertrud. Von ihrer künstlerischen Mitarbeit an „Neu-Bayreuth" sollte wohl vor allem die Rede sein. Die Rede verliert sich nahezu zwanghaft im Geschwätz, in einem wunderlichen Gemisch von Kitsch und Wahrheit, durchbrochen von hellsichtigen Momenten, die das Niveau der Autorin ahnen lassen. Schlimm ist der voyeuristische Schmarren: „Nachts lagen sie einander in den Armen, es war wie ein Wunder, daß beide dies wollten, Wieland so sehr wie Gertrud." Dieses Buch wollten sie bestimmt nicht. Das Wort ist frei, auch das Dummwort. Die Gerichte schützen Persönlichkeits- und Urheberrechte. Zwei vor fast viereinhalb Jahrzehnten an „schwerem Leid" beteiligte Damen erreichten noch rechtzeitig die Streichung von Textstellen (leider sind die Namen aus dem Kontext rückzuschließen). Die vier Kinder des Ehepaares gingen unter Federführung von Nike Wagner gegen den Verlag vor; ihre ältere Schwester Iris hielt sich aus Gründen zurück, die nichts mit dem Sachstand zu tun haben, auch Gertrud Wagner unterschrieb die Anwaltsvollmacht. Dann folgte noch die Freundin Wielands in seinen letzten Lebensjahren, die Sängerin Anja Silja. Emotional verständlich das alles, aber kontraproduktiv. Jetzt wird das Buch noch eine Weile in der öffentlichen Diskussion bleiben. Die Verkaufs-Strategie des Verlages ließ sich zunächst nicht stoppen, sein Pressesprecher reagierte mit Unterstellungen. Der Mainstream des Buchmarktes fördert Dummwörter. So wagnerisch sind wir wieder. Der Bote Der hundertjährige Hanns Eisler wurde gefeiert, auch von denen, die ihn nicht mögen. Diese Heuchelei im Namen eines Mannes, der Heuchelei gehaßt hat, mußte wohl ertragen werden. Das Fazit: Es lohnt sich, ihm auch weiter zuzuhören, dem politischen Gang der Dinge zum Trotz. Er hat sich um Einfachheit bemüht, ohne die Erfahrungen der Kompliziertheit aufzugeben. Er hat die musikalische Postmoderne und die Post-Postmoderne ad absurdum geführt, noch ehe es diesen begrifflichen Unfug gab. Der für mich zentrale Ausspruch des hochgebildeten Hanns Eisler, aus den Gesprächen mit seinem Vertrauten Hans Bunge, am Ende eines der vielen Versuche, über die Dummheit in der Musik zu reden: „Ich bin nur der Bote, der atemröchelnd ankommt und noch etwas abzuliefern hat. ... Irgendwas machen, das nützlich ist, das man abliefern kann." Dann sang er mit seiner heiseren Stimme ein Lied nicht nach Brecht oder Becher, sondern nach einem Hölderlin-Fragment, komponiert 1944. Das Lied heißt „Erinnerung", und sie ist nützlich. Die junge Maren Köster, die eine hilfreiche Hanns-Eisler-Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste mit einem zeit- und sachgerechten Begleitbuch (Wolke Verlag Hofheim, 1998) konzipiert hat, versucht zu erklären, warum Eisler, ein Komponist vor allem der kleinen Form, an seinem opus summum, dem „Faustus"-Projekt, hätte scheitern müssen, auch ohne die Dummheit seiner Kontrahenten in der Parteiführung. Der Kern des „Johann Faustus" ist Intellektuellen-Kritik, dingfest gemacht am „Teufelspakt der deutschen Nation" (Ernst Fischer). Im Zeitalter von „Infowar" („Ars Electronica" Linz ‘98) gibt es andere Pakte. Der Bote läuft und läuft. Lebenspraxis Der Musikwissenschaftler Carl Dahlhaus vertrat die Auffassung, daß der in den sechziger und siebziger Jahren intendierte „Übergang von Kunst in Lebenspraxis" notwendig „eine Lockerung des Kunstanspruchs" zur Folge habe. Das muß aber nicht sein. Es kommt darauf an, welche Meßlatte an Lebenspraxis gelegt wird. Das „1. Internationale Hanns Eisler Kolloquium" in Berlin mußte bündige Antworten schuldig bleiben. Eislers konkreten Utopien ein „Scheitern" anzuheften ist billig und wiederholt nur, was alle wissen. Vielleicht hilft auch hier Erinnerung. Im März 1932 trompetete in der Zeitschrift für Musik, der „Monatsschrift für eine geistige Erneuerung der deutschen Musik" (als Neue Zeitschrift für Musik 1834 von Robert Schumann gegründet), ein Dr. Fritz Stege – Eisler meinend – Schmähworte über die „Bolschewistische Musikseuche", die „Injektion des deutschen Volkskörpers mit seelischen Giftstoffen". Das Gegengift vernichtete in kurzer Zeit Kunst und Leben. Bekannte politische Kontrapositionen von heute wurden auf dem Kolloquium, veranstaltet von der Internationalen Hanns Eisler Gesellschaft und dem Staatlichen Institut für Musikforschung Berlin, wiederholt oder variiert. Der angeblich „tragischen Figur" Hanns Eisler ist damit sowenig geholfen wie uns, seinen Zuhörern. Zwar ist Kunst nicht denkbar ohne das Leben, das die Künstler bildet, aber die Wechselfälle der Lebenspraxis haben zur Kunst nichts zu sagen: Sie ist dann schon ein Stückchen weiter. Mißverständnis Olivier Messiaens „Mode de valeurs et d’intensités" wurde von Thomas Daniel Schlee nicht ein „Staatsstück des Serialismus" genannt (vgl. nmz 7-8/98), sondern ein „Startstück". Das kuriose Mißverständnis trat seltsamerweise auch in der nachfolgenden Diskussion nicht zutage. Ich berichtige gern und will die musikalische Triftigkeit dieser improvisierten Rede nicht näher untersuchen. Von der hervorragend gelungenen Messiaen-Ausstellung Schlees ist ein Schatten genommen.

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