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Nachdenklich, engagiert: Tabea Zimmermann Foto: Marco Borggreve
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„Das Klassik-Geschäft ist ein schmutziges geworden“

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Die Bratschistin Tabea Zimmermann im Gespräch
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Musikinteressierten Menschen muss man Tabea Zimmermann nicht vorstellen. Der Name steht quasi synonym für „ihr“ Instrument: die Bratsche. Die weltweit gefeierte Solistin ist gleichzeitig auch Dozentin an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin. Im Interview mit der nmz spricht die Künstlerin unter anderem darüber, welche technischen und physikalischen Besonderheiten die Bratsche bietet, wie sie die derzeitige Ausbildungssituation und den „Kulturstandort“ Deutschland einschätzt und was sie von der Hochglanz-Klassik hält.

neue musikzeitung: Frau Zimmermann, zunächst einmal: Wie und unter welchen Umständen sind Sie zu Ihrem Instrument gekommen?

Tabea Zimmermann: Ich habe so früh mit dem Bratschenspiel begonnen, dass ich gar nicht weiß, wer ich ohne mein Instrument wäre (lacht). Ich fing mit drei Jahren an zu spielen und fühlte mich in dieser Nische sehr schnell wohl – dies war der familiären Situation geschuldet, weil die anderen Streichinstrumente Geige und Cello an meine älteren Geschwister vergeben waren. Deswegen wollte ich auch so früh schon spielen.

nmz: Aber eine Initialzündung gab es doch sicherlich…

Zimmermann: Der Anstoß zur Bratsche kam vom Geigenlehrer meiner Schwester, der dann zehn Jahre lang mein Lehrer war, ein echter Ausnahme-Pädagoge. Und er hat es geschafft, mir die Bratsche von Anfang an so sehr als mein eigenes Instrument nahezubringen, dass es eine ganz schnelle Identifikation gab.

nmz: Gab es neben der Viola für Sie noch andere attraktive Instrumente?

Zimmermann: Parallel dazu habe ich mit fünf Jahren begonnen, Klavier zu spielen. Auch auf diesem Instrument habe ich mich sofort sehr wohl gefühlt und ich muss sagen, dass mir das Klavier als reiches Ausdrucksmittel sehr wichtig ist. Wenn ich etwas kennenlernen will, greife ich nicht zur Viola, sondern setze ich mich ans Klavier. Ich brauche es sozusagen als reichhaltigeres Klang- und Stimmenangebot, weil mir die einzelne Stimme auf der Bratsche manchmal zu wenig ist. Heute würde ich sagen: ich bin mehr Musikerin als Bratschistin – hoffe ich (lacht). Das Instrument Viola ist mir nicht so wichtig wie die Musik, die ich spielen kann.

nmz: Wer waren die großen Viola-Virtuosen und in welcher Tradition sehen Sie sich selbst?

Zimmermann: Ohne einen Lionel Tertis, der sich das Bratschenspiel selber beigebracht hat, ohne einen William Primrose, der auch ein Autodidakt war, oder ohne einen Yuri Bashmet und natürlich ohne Paul Hindemith wäre das Instrument nicht zu denken. Ich sehe mich in der Tradition Hindemiths, der immer bestrebt war, das Repertoire zu erweitern, der unglaublich viele Uraufführungen gestemmt hat. Ich habe überhaupt kein Interesse daran, immer nur die gleichen Stücke zu spielen. Insofern ist die Bratsche eine tolle Herausforderung. Wenn ich Geige gelernt hätte, hätte ich mich vielleicht mit dem großen Repertoire zufrieden gegeben.

nmz: Was raten Sie Ihren Schülern, die nicht wissen, ob sie lieber die Geige oder Bratsche lernen wollen?

Zimmermann: Wer Bratsche lernen und spielen will, muss die technischen und physikalischen Gegebenheiten viel besser beherrschen als auf der Geige, um mit der Trägheit fertig zu werden, die es einfach gibt und die im Material liegt: längere, dickere Saiten. Wenn man kurze schnelle laute Töne produzieren will, hat man ein echtes Problem. Sofern man schöne melodische Stücke aus der Romantik spielt, ist die Bratsche sehr dankbar. Aber wenn man Virtuosität sucht – und die gibt es vor allem in der neuen Musik zuhauf –, dann muss man auf der Bratsche besser Bescheid wissen als auf der Geige, weil zum Beispiel der Bogen auf der Bratsche von allein nicht hüpft, er hüpft allenfalls piano bis mezzoforte. Wenn ich allerdings laut spielen will, muss ich eine höhere Geschwindigkeit in die Saite bringen und das können echt nur wenige. Man muss die physikalischen Gesetze sozusagen übertrumpfen bei der Bratsche, um sie richtig zum Klingen zu bringen. Wenn man das erreicht, macht es wahnsinnig viel Spaß, das Instrument zu spielen.

Ewiges Stiefkind Bratsche?

nmz: Bleibt die Bratsche neben der Geige und dem Cello also doch das ewige Stiefkind?

Zimmermann: Man muss sich damit abfinden, dass es Spezialwissen bei der Bratsche gibt, das für die breite Masse nicht interessant ist. Hinzu kommt: Ich kann mit meinem Instrument in der Regel nicht in den großen Kammermusik-Reihen spielen, Sonatenabende gibt es für Violine beziehungsweise Cello und Klavier – aber so gut wie nicht für Bratsche und Klavier.

nmz: Benötigt die Viola sozusagen die Fürsprache der Geige, um ihr Repertoire auszuweiten?

Zimmermann: Die Bratsche braucht vor allem viele neugierige Geiger, die sagen: Ich will doch mal schauen, ob ich das Stück x nicht auch auf der Viola spielen kann. Viele Interpreten lieben es, sich sozusagen auf die melancholische Bratschenstimme zurückziehen zu können. Die macht auch wahnsinnig Spaß, aber das ist nicht die eigentliche Herausforderung, denn diese Stimmung kommt einem als Bratscher ohnehin entgegen. Die dunklen, warmen Töne kann die Bratsche besser als die Geige, aber wenn man sich mit der Viola in die ganz neuen Werke einarbeitet, hat man mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die man als Geiger so nicht hat.

nmz: Haben Sie ein Beispiel?

Zimmermann: Vor drei Jahren habe ich das technisch extrem herausfordernde Violakonzert von Michael Jarrell uraufgeführt, das er für mich komponierte. Das Konzert hat den Charakter einer Virtuosität, die wegen der subtilen Orchesterbehandlung sehr durchsichtig ist. Mit einem fetteren Orchester wäre die Bratsche weg, übertönt, nicht zu hören. Das Problem ist also nicht, was die Bratsche tut, sondern was die anderen Instrumente machen.

nmz: Werden technische Herausforderungen in neuer Musik nicht doch häufig auch zum Selbstzweck?

Zimmermann: Manchmal frage ich mich auch: Muss das denn wirklich sein? Ich habe Herrn Jarrell gefragt: Warum muss es denn immer so schwierig sein? Geht das eigentlich noch als Bratschenkonzert durch, wo die Bratsche hier doch gar nicht ihre typischen Klänge entfalten kann? Er hat mir eine Antwort gegeben, die einerseits als Kompliment gemeint war, die ich aber andererseits auch mit einem Fragezeichen stehen lassen muss. Er sagte: „Wenn ich jetzt schon mal die Möglichkeit habe, Ferrari zu fahren, dann will ich das auch nutzen.“ Ich fand das zwar nett, mit einem Sportwagen verglichen zu werden (lacht), frage mich aber, wer mir das Konzert einmal nachspielen wird…

nmz: … bei der Bratschensonate, die György Ligeti in den 90ern für Sie geschrieben hatte und die dann zunächst als unspielbar galt, haben Sie das doch sicher auch zuerst geglaubt, oder?

Zimmermann: Stimmt, da dachte ich auch, dass mir dieses Werk niemand nachspielt – und heute können das viele sogar junge Bratscher. Dieses Wachsen und Erweitern ist dringend notwendig, um ein Instrument und seine Spielarten weiter zu entwickeln. Das Problem unserer Musikausbildung ist, dass wir uns in dem romantischen Mainstream so wohlfühlen und den Leuten dann immer wieder dieselben Stücke vorspielen, die sie mögen. Letztlich ist es ein Wechselspiel: Die Künstler entwickeln sich, die Spielart und -technik wird weitergetrieben. Die Komponisten, siehe Jarrell, fühlen sich animiert, das auszunutzen. Manchmal wird dabei sicherlich auch eine feine Grenze überschritten, aber in 50 Jahren werden ein paar Werke übrigbleiben, für die es sich dann gelohnt hat.

Kaputtgesparte Musikschulen

nmz: Lassen Sie uns über einen ganz anderen Aspekt sprechen, Stichwort Musikausbildung. Wie sehen Sie die derzeitige Situation?

Zimmermann: Wir haben an der Hanns-Eisler-Hochschule, an der ich unterrichte, ungefähr 30 Bewerber auf einen freien Platz. Die kommen aus der ganzen Welt, sind ganz unterschiedlich ausgebildet. Die Ausbildung in Deutschland ist momentan nicht zum Vorzeigen. Die Musikschule wurde kaputtgespart. In den meisten Bundesländern werden Musikschullehrer gar nicht mehr fest angestellt. Bei der breiten Musikausbildung hat Deutschland nachgelassen.

nmz: Und wie steht es um die technischen Fähigkeiten junger Bratscher?

Zimmermann: Das Spielniveau bei meinem Instrument ist wahnsinnig hoch. Ich sehe allerdings die Gefahr, dass die jungen Menschen sich zu früh spezialisieren. Wer Musiker werden will, sollte unbedingt Kammermusik spielen und für die eigene Selbsteinschätzung sowie für Aspekte wie Gehörbildung und Spieltechnik mit viele Ensembles spielen, dabei auch mehrere Besetzungen ausprobieren. Kammermusikerfahrung ist einfach eine Grundvoraussetzung.

nmz: Der, nennen wir sie: Hochglanz-Klassik verweigern Sie sich. Was stört Sie besonders am Klassik-Betrieb?

Zimmermann: Das Geschäft ist ein schmutziges geworden, ich sehe das bei einigen großen Festivals, wobei ich da jetzt keine Namen nennen will. Ich habe daraus die Konsequenz gezogen, dass ich immer ganz genau wissen will, warum ich einem Projekt zustimme. Ein Projekt kann vom Programm, dem Ort oder von den Mitspielern her interessant sein, ich wäge das jeweils sehr genau ab. Was ich beobachte: Man kann die Karriere ein Stück weit kaufen, die Auszeichnungen, Preise und sogar auch die Presse und Medien. Immer öfter wird die Klassik instrumentalisiert, um politisch etwas zu erreichen, zum Beispiel bei russischen Oligarchen. Ich achte genau darauf, dass ich mich nicht vereinnahmen lasse, aber das ist nicht immer leicht, da man allerorten eingespannt wird für irgendetwas. Wir Musiker müssen insgesamt politischer werden und können uns nicht nur in unserer Nische einrichten.

nmz: Für Ihre letzte CD „Es war einmal…“ mit Werken von Robert Schumann und Jörg Widmann haben Sie einen „Echo-Klassik“ gewonnen. Jetzt heißt dieser – von der Hochglanz-Klassik initiierte und gesteuerte – Preis „Opus-Klassik“. Wie stehen Sie nach dem ganzen Hickhack um „Echo“ und „Opus“ zu der ganzen Sache?

Zimmermann: Zum „Echo“ habe ich mich nicht öffentlich positioniert, mir ist das Ganze einfach völlig egal (lacht). Ich bin in der komfortablen Situation, die Projekte machen zu können, die ich will, ich kämpfe nicht für eine gewisse Anzahl von Konzerten oder Auszeichnungen, ich habe ja auch eine schöne Professur in Berlin. Mein Label Myrios hat mir erzählt, wie das mit dem „Echo“ abläuft: Wir hätten für 200 Euro eine Karte kaufen müssen. Dann wurde gefragt, ob auch eine Trophäe erwünscht sei, falls ja, hätte die dann nochmals 200 Euro gekostet. Ich habe im Lauf meiner Karriere zwei „Echos“ bekommen, hatte mich damals darüber gefreut und gebe sie auch nicht zurück (lacht). Darum beworben habe ich mich nie, es macht einen Unterschied, ob man sich für eine Auszeichnung verkämpft hat oder ob man sie so bekommt.

nmz: Wie teilen Sie Ihre Arbeit auf? Was steht gerade auf Ihrer Agenda?

Zimmermann: Ich gebe rund 50 Konzerte pro Jahr. An der Hanns-Eisler-Schule betreue ich momentan 14 Studenten, was mir riesigen Spaß macht. Ich unterrichte schon seit 30 Jahren, habe damit sehr früh begonnen, ich ziehe aus den Kontakten sehr viel für mich selber raus, das ist eine wunderbare gegenseitige Lernsituation. Öffentliche Meisterkurse gebe ich nur einen oder zwei im Jahr. Vor anderthalb Jahren habe ich angefangen, an der Kronberg-Academy ein paar Studenten zu betreuen, die Academy ist eine kleine, sehr feine handverlesene Gruppe mit Lehrern, die nicht fest angestellt sind, sondern nach Aufwand bezahlt werden. Für Leute, die nicht im Rahmen einer Hochschule ausgebildet werden möchten und trotzdem viel lernen wollen, ist Kronberg ideal.

Kulturballast wird entsorgt

nmz: Sie kommen viel in der Welt herum. Nutzen Sie Ihre Auslands-Aufenthalte für zusätzliche Musikaktivitäten?

Zimmermann: Wenn ich auf Tournee bin, mache ich oft für die Bratscher vor Ort noch Kurse an der Hochschule und lerne dabei auf der ganzen Welt Leute kennen. Frankreich, Spanien, Finnland, Türkei – da wird unheimlich gut gelehrt, es gibt viele toll ausgebildete Musiker. Deutschland ist nicht mehr das Kulturland, für das es sich hält. Ich finde es wirklich bedenklich, dass sich hierzulande nur noch erschreckend wenig junge Menschen mit dem Thema Kultur beschäftigen. Man hat sich in Deutschland in den letzten 20 Jahren auf so eine Art effektives Leben eingestellt und alles, was dem nicht entspricht, als Ballast entsorgt.

nmz: Haben Sie ein Beispiel für diesen nicht nur musikalischen Kulturverfall?

Zimmermann: Im Januar mache ich ja immer die Festwoche im Beethovenhaus Bonn. Der Kammermusiksaal des Hauses hat 199 Sitze. Leider muss ich feststellen, dass selbst in einer Großstadt wie Bonn diese 199 Plätze nicht vollzukriegen sind, obwohl meine Mitstreiter und ich das Privileg haben, wunderschöne Programme auf die Beine stellen zu können. Ein anderes Beispiel: Ich war kürzlich in Seoul, dort gibt es sage und schreibe zehn Universitäten nur für klassische Musik. Vielleicht wird die Klassik in Asien überwintern. Und wir in Deutschland wundern uns über die Menge der sehr gut ausgebildeten koreanischen Studenten…

nmz: … sind die asiatischen Studenten wirklich so toll?

Zimmermann: Ich relativiere das: Die Studenten spielen bei der Aufnahmeprüfung zumeist sehr gut, sind aber nicht alle wirklich breit ausgebildet, manche lernen das Musikspielen so, wie wir eine Fremdsprache phonetisch lernen. Dann klingen die Werke zwar ganz anständig, aber nicht wirklich verstanden. Immerhin aber gibt es in Korea ein echtes Interesse an der Klassik, auch bei den jungen Menschen. Wir Europäer müssen uns ernsthaft damit auseinandersetzen, wir können das nicht arrogant weglächeln, das ist ein zu ernstes Thema. Denn was haben wir dem entgegenzusetzen? Was bieten wir? Wie gut kennen wir unsere eigene Kultur? – von der außereuropäischen Kultur mal ganz zu schweigen.

Interview: Burkhard Schäfer

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