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Friedhelm Döhl. Foto: Joachým Ettel
Friedhelm Döhl. Foto: Joachým Ettel
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Der Initiator

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Ein Nachruf auf Friedhelm Döhl
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Der Mitgründer des Ensemble Modern und ehemalige Präsident der IGNM (1980–83), Friedhelm Döhl, starb Ende September mit 82 Jahren. Als Lübecker Kompositionsprofessor internationalisierte er die dortige Musikhochschule maßgeblich. Er war ein Kunst-Kenner, ein sehr guter Pianist und ein skurril-undogmatischer Lehrer.

Seine erste Düsseldorfer Dozentur fiel in die fluxushaften Jahre 1964 bis 1967 des Düsseldorfer „Professors“ Beuys. Enge Maler-Freunde wurden so auch Günther Uecker und Dieter Roth. Als er 1974 mit 38 Jahren für acht Jahre Rektor in Basel wurde, flutete er die Rhein-Stadt mit zahllosen Meisterkursen für das Neue in der Musik. Er gründete ein elektronisches Studio und ein Institut für außereuropäische Musik.

Praktisch alles, was er anpackte, wurde umgesetzt. Nie schreckten ihn Aktenlagen, Gesetzestexte oder Paragrafen. Schon gar nicht Kulturpolitiker. Wie bei Pippi Langstrumpf war in Basel sein Haustier ein kleiner Affe. Der Studienratssohn aus Göttingen erschien stets zu Fuß, langhaarig, mit Schnauzer, in Jeans und Jacke, mit freien Händen und der Aura eines Achtundsechzigers, welcher seinen Bloch und Nietzsche kannte. Seine Führungsart als Rektor, Gelehrter und Lehrender war schnörkellos. Kein Hintenrum. Das Existentielle faszinierte ihn. So entstand beispielsweise seine Hölderlin-Vertonung bereits in den frühen 60ern: „…wenn aber…“ für Dietrich Fischer-Dieskau und Aribert Reimann.

Döhl war geprägt von den ersten Mahler-Konzerten nach dem Krieg, von Mahlers „Abschied“. Bereits 1960, mit 24 Jahren, hatte er für die NZfM einen wichtigen Artikel verfasst: „Gustav Mahler. Eine notwendige Revision.“ Walter Levine, Primarius des LaSalle- Quartetts, der zahlreiche Streichquartettkurse in Lübeck hielt, sagte 1996: „Ohne Döhls Zugriff hätte ich das nie so langjährig gemacht.“ Döhl hatte einen langen Atem. Der Autounfalltod des Sänger-Freundes Karl-Heinz Pinhammer 1985 löste seine eigene, wortlose „Winterreise“ – sowohl für Streichquintett, als auch für Klavier – aus.

Mit umfassendster Kenntnis schwärmte er im Kompositionseinzelunterricht für Webern und Stockhausen. Er sah bei uns Studierenden jeden Irrweg und jeden eigenen Pfad. Seinen Unterrichtsraum überließ er uns. Zum Unterrichten war er bei uns zu Gast in seinem Zimmer. Darin: ein Flügel, eine fundierte Handbibliothek, Schallplatten, Notenpapier, ein Kopierer und monströse Revox-Tonbänder plus riesige Bandmaschine. Döhl achtete auf unsere Gruppendynamik und die Fairness untereinander. Wir lachten viel mit ihm und lernten von Grund auf künstlerische Solidarität. Eines Tages sagte er im Seminar: „Ohne-Kopf-durch-die- Wand geht nichts.“ Das bezog sich natürlich auf eine Partitur oder eine Skizze. Doch der Satz animierte uns alle auch im sonstigen, heranwachsenden Leben. Döhl war ein Durchsetzer und ein Langschläfer. Spät nachts war sein Vormittag. Döhls gleichaltriger Lebensmensch Julia Döhl (eine Nachgeborene Wilhelm Waiblingers, dem Betreuer Hölderlins im Tübinger Turm), begleitete ihn zutiefst loyal durch sein Leben. Sie stärkte ihm bei allem den Rücken (unter dem er oft litt).

Der gemeinsame Sohn Janos lebt in Berlin. Döhls älterer Schriftsteller-Bruder Reinhard starb vor Jahren. Sein jüngerer Bruder Hartmut ist Archäologe. Friedhelm wird seebestattet. Einmal meinte er: „Die Angst der Meere wächst vor uns Idioten!“

Es gibt eine umfangreiche Döhl-Edition auf CD beim Label Dreyer-Gaido. Meine Gedanken sind bei Julia und Janos.
 

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