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Der Konzertsaal in unserem Kopf

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Zur Konferenz „Raum.Klang– Klang.Raum“ in Osnabrück
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Wo und wie hören wir Musik; was müssen wir hören, ohne es zu wollen? Diese Fragen nahm die YEAH! Konferenz „Raum.Klang – Klang.Raum“ am 13. September in Osnabrück in den Fokus.


Sabine Breitsameter, Professorin für Sound und Medienkultur an der Hochschule Darmstadt, eröffnete den Theorietag im Rahmen des YEAH! Festivals mit dem Vortrag „Die Ordnung der Klänge – über die Homogenisierung des Hörens im Zeitalter der Globalisierung“. Auffallend sei es, dass sich insbesondere die urbanen Klanglandschaften der Welt in den letzten dreißig Jahren massiv nivelliert hätten. Wer könne einen Unterschied zwischen einer mitteleuropäischen, einer lateinamerikanischen oder einer asiatischen Großstadt hören? Breitsameter schloss ihren Vortrag mit dem Fazit, die Wertschätzung des Hörens nicht nur an die Musik zu delegieren. Hören sei kein künstlerischer Sonderfall. Sie forderte daher eine ästhetische Bildung des Hörens. Hör-Bildung betrieben die folgenden Referenten seit Jahren in ihrer ästhetischen Praxis: der Komponist Peter Androsch als Gründer und Leiter von Hörstadt Linz und der Autor und Filmemacher Uli Aumüller im medialen Bereich. „Schall ist ein Lebensmittel. Er sichert Kommunikation, Orientierung und Gleichgewicht.“ Erst durch Schall werde der Mensch zur Person, zu per-son, also zum „Durch-Klinger“, leitete Androsch aus den lateinischen Sprachwurzeln ab. Was sich für Breitsameter im Bereich der ästhetischen Bildung abspielt, das übertrug Androsch in die Felder des Sozialen und Politischen. Der Gründer der Hörstadt Linz schilderte in groben Zügen, was er unter moderner Lärmwirtschaft versteht und inwiefern die Hörstadt Linz daraus die Konsequenzen gezogen hat, indem man dort die Linzer Charta, das akustische Manifest (100 Jahre nach dem Futuristischen Manifest) und die Negativauszeichnung „Beschallungsfrei“ für Hörstress-Verursacher und Zwangsbeschaller auf den Weg gebracht hat.

Filmemacher und Autor Aumüller untersuchte in seinem Vortrag, „wie wir den Konzertsaal in den Wald mitnehmen“. Das, was wir im Konzertsaal an Hörverhalten gelernt hätten, würden wir auch auf „natürliche“ Hörsituationen – etwa ein Vogelkonzert im Wald, auf Blätterrauschen et cetera – anwenden. Er arbeitete vor allem heraus, dass Hörgewohnheiten, egal ob ästhetisch ini­tiiert oder aus dem Lebensalltag, vor allem gelernt sind. Die Architektur italienischer Opernhäuser des 18. und 19. Jahrhunderts sei nicht zum Verfolgen der Opernhandlung gedacht gewesen. Die Logen boten nur ausschnittartige Ausblicke auf die Bühne, Oper sei vor allem ein Ort des politischen, sozialen, aber auch erotischen Stadtgesprächs gewesen – begleitet von Musik und Theater. E.T.A. Hoffmann hat dies in personam seines Musikenthusiasten und Kapellmeister Johannes Kreisler stets beklagt. Das Aufkommen der absoluten Musik forderte auch vom Zuhörer die absolute Aufmerksamkeit. Hierin liegt der Grund für das heutigen Zeitgenossen vielfach überkommen anmutende moderne Konzertritual: 90 Minuten Musik ohne Reden, Umhergehen, ohne Essen und Trinken. Was für eine Qual! Der Folgereferent Eckart Liss war künstlerischer Leiter des Vereins Kunst und Begegnung Hermannshof. Er wollte mit seinem Beitrag den Mut für andere Musik an sozialen Orten wecken. Er gilt als Niedersachsens erfolgreicher Missionar in Sachen Soziokultur meets Hochkultur. Ein äußerst anspruchsvolles Educationprojekt erläuterte Annika Schmitz, Musikvermittlerin für Elbphilharmonie und Laeiszhalle in Hamburg. „re-rite – Du bist das Orchester“ ist eine multimediale und interaktive Ausstellung zu Igor Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ zum hundertjährigen Jubiläum der Uraufführung.

Für viele der anwesenden Musiker, Musikmanager und Vermittler eröffnete der Architekt Max Kullmann mit seiner Arbeit neue Perspektiven. Warum man sich in einem Raum gerne aufhielte oder nicht, sei maßgeblich auch durch die akustische Situation bestimmt. Raumakustiker, die nach Fertigstellung der Bauten zu Rate gezogen würden, könnten bestenfalls Reparateure sein. Der Architekt müsse von Anfang an den Raumklang der Nutzung entsprechend „mitbauen“. Kullmann zeigte auch spannende low budget-Lösungen auf, die allein durch die intelligente Nutzung vorhandener Räume durchgeführt werden könnten, und die gleichzeitig auf die soziale Komponenten des Hörens rückverwiesen. Abschließend erkundeten die Teilnehmer gemeinsam mit Eva Gödan den Tagungsraum – der trotz Schuhschachtelformat eine mäßige Sprechakustik aufwies – als Instrument und Klangkörper. Eine Fachkonferenz also für Kopf und Hand – und auch fürs Herz – das legten jedenfalls die zum Teil recht leidenschaftlich vorgetragenen Statements und Fragen der Teilnehmer während der Referentenschlussrunde nahe.

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