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Die Akte Romeo ist nicht geschlossen

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Eine Reise in die Vergangenheit mit Wiedererkennungseffekt
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Romeo und Julia – wie oft diente die Geschichte um das berühmteste Liebespaar der Welt als Film-, Drama-, Ballett- oder Musicalvorlage. Die Leipziger Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ erweiterte jetzt die Reihe der Shakespeare-Adaptionen um ein weiteres Musical: die „Akte Romeo“.

Um die immer währende Aktualität des Themas unter Beweis zu stellen, legten die Autoren Edda Leesch und Frank Leo Schröder die Handlung in zwei zeitliche Ebenen, die im gesamten Stück miteinander korrespondieren: einerseits in die Zeit kurz vor dem Fall der Mauer und andererseits in die Gegenwart des wiedervereinten Deutschlands.

Verfolgt von einer rassistischen Clique finden der türkische Murat (Matthias Knoche) und die deutsche Angie (Corinna Ellwanger) Zuflucht in einem abgelegenen Kellerarchiv, vollgestopft mit einem Sammelsurium aus DDR-Reliquien. Die gehetzte Angie lehnt sich an ein Bücherregal, aus dem ein Aktenbündel auf den Boden fällt. Und da liegt sie, die Stasi-Akte „Romeo“. Beide beginnen darin zu lesen, die zweite Handlungsebene beginnt und versetzt den Zuschauer ins Jahr 1989.

Hier ist die saturierte westdeutsche Familie Schmidt, Vater Alfred (Udo Eickelmann), Mutter Christa (Manja Kloss) und Sohn Theo (Marco Fahrland), auf der Reise nach Ostberlin, wo Alfreds Cousin Horst Radtke (Oliver Timpe) samt Familie lebt. Theo sträubt sich gegen das Familientreffen, kennt er die Ostverwandtschaft doch gar nicht und muss auch noch auf einen Spanienurlaub verzichten.

Um so mehr freut sich Familie Radtke auf den Besuch aus dem Westen. Die Soljanka ist vorbereitet und die obligatorische Schwarzwälder Kirschtorte steht auf dem Tisch, an dem auch schon der ABV (eine Art Blockwart im sozialistischen Wohngebiet) Platz genommen hat. Enrico (Michael Schöpe), Sohn der Familie Radtke, freundet sich schnell mit Theo an und schleppt ihn auch gleich auf eine Party, auf der Theo der Liebe seines Lebens begegnet: Vera (Vivian Saleh).

Dass alle gegen eine Verbindung des Paares sind, ist vorprogrammiert. Die Freunde, die Eltern, Veras verknöcherter altkommunistischer Großvater (Oliver Wejwar) und die allgegenwärtigen im Hintergrund agierenden Genossen der Stasi (Daniel Splitt). Unter Beobachtung der Stasi, die inzwischen den Versuch unternommen hat, Theos Vater anzuwerben, finden heimliche Treffen der Liebenden statt, die letztendlich zur Schwangerschaft Veras führen. Ob der aussichtslosen Liebe will sich Vera einer Abtreibung unterziehen, die in der DDR fließbandähnlich praktiziert wird. Theo, und natürlich auch die Stasi, erfahren von Veras Vorhaben. Hals über Kopf fährt er im kleinen Grenzverkehr nach Ostberlin und verhindert die Abtreibung. Für die Stasi steht inzwischen fest, dass Theo Vera zur Republikflucht ermuntern will, was zur Verhaftung des jungen Abiturienten führt. Anstatt sich von der Stasi für Spitzeldienste werben zu lassen, entschließt sich Theo, um Veras Willen für immer in die DDR überzusiedeln. Allein sein Vorhaben kommt zu spät. Die Mauer ist gefallen, sämtliche Akteure, einschließlich Stasispitzel, sind auf dem Weg gen Westen. Nur der verdutzte Theo steht mit gepackten Koffern am Check Point in Richtung Osten.

Diametral dazu hat die Handlung in der Gegenwartsebene eine genau umgekehrte Entwicklung genommen. Murat und Angie werden von ihren rechtsextremen Verfolgern überwältigt, Murat wird krankenhausreif geschlagen und landet in der Intensivstation eines Hospitals. Ob die inzwischen fünfzehn Jahre alte Tochter Veras und Theos, die von Angie ausfindig gemacht wird, Murat aus dem Koma befreien kann, bleibt offen...

Die Inszenierung ist von Klischees nicht frei und will es auch gar nicht sein. Da steht die Nylonschürze der Mutter Radtke (Christin Herrmann) dem königsblauen Kostüm der Mutter Schmidt gegenüber, oder der anmaßende Kellner der HO-Gaststätte wird einer Schar devoter Servierer eines westlichen Restaurants gegenübergestellt. Die turbulenten Szenen wollen den miefigen grauen DDR-Alltag augenzwinkernd widerspiegeln, ebenso wie die Wohlstandsgesellschaft der BRD der 80er-Jahre. Den Ausstattern gelingt das vorzüglich. Katja Schröders Bühnenbild und die Kostüme von Barbara Schiffner verführen in eine Vergangenheit mit Wiedererkennungseffekt.

Vierzehn Darsteller – acht Musicalstudenten und sechs Jazz-/Pop-Gesangsstudenten des 2. bis 4. Studienjahrs – stellen in dem turbulenten Musical ihre Wandlungsfähigkeit unter Beweis, haben sie doch fast 50 Rollen zu besetzen. Das erfordert nicht nur rein logistisch Höchstleistungen, sondern stellt auch die Vielseitigkeit der Studenten unter Beweis, die sängerisch und (!) tänzerisch Spitzenniveau zeigen.

Quer durchs Musical ziehen sich neben Eigenkompositionen Ost- und West-Popsongs der 80er-Jahre, neu aufpoliert und arrangiert von dem Komponisten René Möckel, dem Sänger und Hochschulabsolventen Juan Miguel Garcia, der Jazz-Gesangs-Pädagogin Evelyn Fischer und dem Sänger und Arrangeur Matthias Knoche, selbst noch Student in Leipzig. Die Popsong-Remakes sind frisch und witzig arrangiert, sodass der Verdacht, verstaubte Zweitauflagen zu hören, sofort zerstreut wird. So wird etwa Grönemeyers „Flugzeuge im Bauch“ als Satzgesang a cappella interpretiert, was so typisch für Leipzig ist.

Den Eigenkompositionen ist der Sound des 21. Jahrhunderts zu eigen, der durch eine sechsköpfige Band umgesetzt wird. Der Stasispitzel-Rap ist unübertrefflich, nicht nur komponiert, sondern auch von Oliver Wejwar und Daniel Splitt interpretiert. Letzterer überzeugt auch mit Lindenbergs „Sonderzug aus Pankow“, ohne den dieses Musical undenkbar wäre.

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