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Beat Furrer. Foto: Charlotte Oswald
Beat Furrer. Foto: Charlotte Oswald
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Die Düsseldorfer Biennale der neuen Musik befindet sich mit dem Komponisten Beat Furrer auf der Höhe der Zeit

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Die Festivallandkarte der zeitgenössischen Musik wird weiter geschrieben. Im Umkreis von Mekka und Medina, Donaueschingen und Witten, sind neue Unterzentren entstanden – auch in Nordrhein-Westfalen. Eine Region, deren frühere milieuprägende Identitätsstifter Kohle und Stahl heute beinahe schon nostalgische Gefühle wecken, hat lernen müssen, neue Wege zu gehen, die Offenheit als Verbündete zu suchen – auch in der Kultur. Megaevents wie Ruhrtriennale und Kölner Musiktriennale zehren davon ebenso wie die zahlreichen freien Projekte, die der Krise der Lebenswelt mit programmatischer Entschiedenheit gegenübertreten.

Darin überzeugt auch eine Initiative wie die Düsseldorfer Biennale der neuen Musik „Ohren auf Europa“. Keine Frage: Der Sinnkrise ist nicht mit Allerweltsprogrammen zu begegnen, nicht mit soft und light und trügerischem Crossover. Zugleich hat das Eintreten für reflektierte Subjektivität die eigene Existenzkrise nicht überwinden können. Seltsam, aber wahr: Ein bereits 1983 gegründetes Solistenensemble, das zum sechsten Mal ein Festival von europäischem Zuschnitt ausrichtet, steckt vor Ort noch immer im Kampf um Anerkennung.

Für Beat Furrer ist das obligatorische Pressegespräch, das von einem Festivalkurator erwartet wird, alles andere als ein Wunschtermin. Der geborene Schweizer, nun schon eine halbe Ewigkeit mit Wien verbunden, wo er das dortige Musikleben mit der Gründung des „Klangforum“ so eminent bereichert hat, zählt zu den eher schweigsamen Künstlernaturen. Entschieden wohler fühlt er sich unter Musikern. In Proben beispielsweise.

Als er bei der Einstudierung seines Orchesterwerkes „nuun“ auf das in Maximalbesetzung von 27 Instrumentalisten angetretene „notabu.ensemble neue musik“ trifft, zeigt sich, wie er den Zusammenhang von Sprache und Musik versteht: Die Musik selbst zum Sprechen bringen! Sobald Ensembleleiter Mark-Andreas Schlingensiepen abklopft und sich fragend dem Komponisten zuwendet, steht dieser schon, die Partitur in der Hand, bereit, um seine Liste abzuarbeiten. Nicht, dass er sich nun in einen eloquenten Moderator seiner eigenen Kunst verwandelte. Die Worte, die Furrer findet, sind die eines Dirigenten, der das Ganze hebt, indem er unzureichend verstandene Details behebt. Als ob er fürchtete, etwas zu vergessen, fallen seine Anmerkungen rasch, freilich stets in der ihm eigenen Zurückhaltung, die im ausführenden Musiker den Bündnispartner anspricht: „Im Schlagzeug feine geriffelte Schlägel verwenden. – Nicht der Druck des Lineals auf der Reibfläche, die Geschwindigkeit bringt den Effekt. – Aufwärts führende Linien in der Flöte descrendo abfangen. – Auch den abgedämpften höchsten Ton auf dem Flügel feiner artikulieren“.

Pianistin Yukiko Fujieda, die die Klangtrauben des Furrer’schen Klavier-Füllhorns ansonsten katzengleich in die Düsseldorfer Tonhalle schickt, hat ebenso verstanden wie notabu-Dirigent Schlingensiepen. In der „feinen tonsprachlichen Nuancierung“ wird dieser später denn auch das Besondere, das vom Kurator dieser sechsten Biennale-Ausgabe „Ohren auf Europa“ ausgeht, erkennen. Tatsächlich – wenn ein Hinweis bei Furrer wiederkehrt, ist es der Komparativ „feiner“.

Gemeint sind dabei insbesondere die Geräuschklänge, die in seinem Festivalprogramm nicht nur immer wieder auftauchen, deren Ausführung hinter den schönen Klängen nach Furrers Vorstellung vor allem nicht zurückstehen soll. Sicherlich ist die Emanzipation des Geräuschs musikhistorisch gesehen keine Neuentdeckung – in der Art und Weise jedoch wie sie hier ins Zentrum rückt, lässt sie eine künstlerische Vision sichtbar werden.

„Ohren auf Europa“ steht und fällt mit der ästhetischen Reflektiertheit seiner Kuratoren. Das Programm des in Partnerschaft mit der Düsseldorfer Tonhalle ausgerichteten Musikfestes wird in diesem Frühjahr zum sechsten Mal von einer Persönlichkeit des europäischen Musiklebens geschrieben und verantwortet. Eine ebenso weise wie mutige Entscheidung, die Ensemblegründer und -leiter Mark-Andreas Schlingensiepen mit diesem Vorgehen getroffen hat. Einerseits hat sich ja durchaus herumgesprochen, dass jeder Anspruch auf Objektivität in Scheinobjektivität mündet, dass mithin auch Konzert- und Festivalprogramme eine persönliche Handschrift tragen müssen. Zum anderen ist es natürlich ein Risiko, sich als Ensemble immer wieder den Wünschen und Vorlieben eines neuen Kurators zu stellen. Und doch hat sich „notabu“ den ambitionierten Programmen von Günther Becker, Manfred Trojahn, Siegfried Palm, Heinz Holliger, Friedrich Cerha und jetzt Beat Furrer bisher in bewundernswerter Weise gewachsen gezeigt. Noch gut erinnerlich ist die nicht gelinde Positivüberraschung bei Friedrich Cerha, als dieser vor zwei Jahren dem Düsseldorfer Ensemble mit der Interpretation seines großen Orchesterwerkes „Jahrlang ins Ungewisse hinab“ ebenfalls zum ersten Mal begegnete. Jetzt also ein Kurator, dessen Maßstäbe sich ja an nichts Geringerem als an den Qualitäten eines „Klangforum Wien“ und anderer internationaler Spitzenorchester gebildet und geschärft haben. Insofern ist „notabu“ auf seiner sechsten Biennale-Umlaufbahn „Ohren auf Europa“ in Gestalt von Beat Furrer ins Gravitationsfeld eines energiereichen Wandelsterns geraten. Die Intensität und interpretatorische Höhe dreier Konzerte bestätigte, dass das Ensemble gut daran getan hat, sich anziehen zu lassen:

Der Anfang ein Paukenschlag. Scheinbar hatte Furrer die Klang-schönheit (Pascal Dusapin: „Hop’“, Morton Feldman: „For Frank O’Hara“) gegen das Perkussiv-Vibrierende (Matthias Spahlinger: „aussageverweigerung/gegendarstellung“, Beat Furrer: „nuun“) gesetzt. Beim zweiten Hinhören zeigte sich: die Alternative ist Scheinalternative. Zwar wird Feldmans meditativer Energiestrom durch einen wolkenbruchartigen Trommeleinsatz gestört, ohne ihn zum Erliegen zu bringen. Und das Ruppige eines Spahlinger verhält sich – Furrers Lieblingsvergleich – wie die monochromen Gemälde in der Bildenden Kunst, die erst im Nähertreten ihre Feinzeichnung enthüllen.

Fortsetzung der Thematik beim zweiten Festivalabend mit einer Musik, die zwischen Klang und Geräusch oszilliert, sich tastend vorwärts bewegt, in sich hineinhört, abwartet: Salvatore Sciarrinos „Quaderno di strada“, „Notizbuch der Straße“, 2003 entstanden, eine Woche zuvor in Witten mit „Klangforum Wien“ und dem Bariton Otto Katzameier zur deutschen Erstaufführung gebracht. Im Interpretationsvergleich wahrte „notabu“ Augenhöhe, harmonierte glänzend mit einem atemberaubenden Solisten. Vom Flüsterton über die sonoren Mitten bis zum Falsett meisterte Katzameier Sciarrinos instrumental angelegte Gesangspartie, ausgeschriebene Verzierungen samt pulsierender Pianissimo-Dynamik.

Nach dieser puristischen Versenkung und nach vorangegangenem furiosen Eröffnungsabend fiel dem Schlusskonzert offenbar eine kompensatorische Aufgabe zu. Spürbar zunächst das Bedürfnis nach historischer Vergewisserung. Eingangs Ravels „Trois poèmes de Stéphane Mallarmé“, zum Schluss Strawinskys „Trois poésies de la lyrique japonaise“ und „Deux poèmes de Konstantin Balmont“, wozu Clementine Jesdinsky ihre schlanke Sopranstimme lieh. Sicherlich: Furrers Plädoyer für die französische Klangwelt ist eines für die Leichtigkeit dieser Vokalkomposi-tionen, auch für das Brechen von Kulturschranken, die, worauf er zu Recht hinwies, bis heute untergründig nachwirken.

Und doch hatte es etwas Akademisches, wie ein offener Musikkosmos, den die gut funktionierende Arbeitsgemeinschaft Furrer/notabu entfaltete, plötzlich altmeisterlich gerahmt wurde. Neben historischen gingen in sein Schlussprogramm zudem Rücksichten persönlicher Art ein: „Nach-Ruf...entgleitend...“ war auch Reverenz an den Komponisten- und Professoren-Kollegen Georg Friedrich Haas. Dessen betörende, mikrotonal verschobene Klangwelt erwies sich allerdings als sperrig. Zu singulär stand das ver-rückte Werk an diesem Abend da.

Ungemein glücklich hingegen „Credentials or Think, think, Lucky“, Furrers Verbeugung vor dem verehrtem Lehrer Roman Haubenstock-Ramati. Dessen Frischzellenkur für die Tradition des Orchesterliedes mit durchgeschütteltem Lucky-Monolog aus Becketts „Warten auf Godot“ wird seit der Donaueschinger Uraufführung 1961 leider nur selten gespielt. Und doch besitzt das Werk, was am vergrübelten Ächzen von Rebecca Saunders’ „Quartett“ ebenso vermisst wurde wie im Drüberweg von Mauricio Sotelos Flötenkonzert „Appassionato e un silencio ardente“ mit Solistin Petra Keßler: Witz und Tiefgang.

Mit Lust stürzte sich Stimmakrobatin und Sopranistin Ingrid Schmithüsen in die zischende, girrende Sprech- und strahlende Klangwelt dieser Festival-Wiederentdeckung. Solcherart „Credentials“, ironisch gebrochen, glühend aufgeladen, sind „Referenzen“, die uns nah sind.

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