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Die Frau in der Pralinenschachtel: Apak (Anja Meyer) wird dem Dichter Nizami zugestellt. Foto: Klaus Fröhlich
Die Frau in der Pralinenschachtel: Apak (Anja Meyer) wird dem Dichter Nizami zugestellt. Foto: Klaus Fröhlich
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Die Freiheitskämpferinnen eines alten Dichters

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„Neda – Der Ruf“: Zur Uraufführung einer Oper des iranischen Komponisten Nader Mashayekhi in Osnabrück
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Am 20. Juni 2009 wird die Iranerin Neda Agha-Soltan bei einer Protestaktion gegen die Präsidentschaftswahlen in Teheran von einem Wachpolizisten erschossen. Der iranische Komponist und Dirigent Nader Mashayekhi sieht die Bilder im Fernsehen. Er arbeitet gerade an einer Oper, die als Titel den Namen des persischen Dichters Nizami tragen soll. In Nizamis mittelalterlichen Versepen spielen Frauen eine ungewöhnlich gewichtige Rolle. Der Blick zurück vollzieht eine Wendung und landet in der Gegenwart, im Iran und immer noch vielen anderen Regionen, in denen Frauen um ihre Rechte kämpfen müssen. Der Komponist sieht seinen Opernentwurf mit einer neuen Situation konfrontiert: Die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit der Gegenwart drängt sich in das Werk ein. Es erhält einen neuen Titel: „Neda – Der Ruf“. Der Tod der iranischen Frau verleiht der Oper eine ungeahnte Aktualität, die die Gefahr des bei der Thematik allzu oft drohenden plakativen Lamentierens beiseite schiebt.

Nader Mashayekhi ließ sich von der Musikwissenschaftlerin und Regisseurin Nadja Kayali und der Dramaturgin und Autorin Angelika Messner ein vielgestaltiges Libretto schreiben, das sehr geschickt die verschiedenen Zeit- und Handlungsebenen in drei Akten und einem Epilog miteinander verknüpft. In „Nizamis Traum“ verweigern sich drei Frauen, unter ihnen Turandot (das Vorbild zu Gozzis, Schillers und Puccinis gleichnamigen Werkstiteln), dem männlichen Anspruch, ein „himmlisches Geschenk“ für die Frau zu sein. Weil dem Herrscher Nizamis Epos gefallen hat, schickt er ihm zur Belohnung die stolze Sklavin Apak. Nizami respektiert Apaks Anspruch auf Freiheit und will sie gehen lassen. Sie aber kann jetzt einen freien Entschluss treffen: Sie bleibt bei Nizami. Im zweiten Akt ist es Apak, die die Frauen zum Gebet ruft – ein unerhörter Frevel aus der Sicht der Männer. Apak weigert sich, den Schleier zu tragen, außerdem führe sie des nachts lange Gespräche mit Nizami, statt ihm „im Bett zu dienen“. – Nizami erzählt die Geschichte von der Sklavin Fitna, die sich weigert, die Schießkünste ihres Königs zu bewundern. Alles Übung, meint sie, zum Beweis trägt sie ein Stierkalb auf einen Berg und das sieben Jahre lang. Als der König die gewachsenen Kräfte der Frau bewundernd erkennt, begreift er die Übungs-Metapher. Im dritten Akt liegt die von aufgebrachten Männern vergiftete Apak im Sterben. Turandot fordert Rache, eine andere Gefährtin träumt von einem Frauenstaat. Apak bittet den verzweifelten Nizami, als seine Braut bestattet zu werden. Die Frauen drängen den Dichter, ihre Geschichten aufzuschreiben und weiterzutragen. Nizami be-ginnt mit seinem Versroman über die Liebe von „Chosrou und Schirin“. In der Wüste will er sein Leben damit verbringen, sich im „Lieben“ zu üben. Denn was immer fehlt im Dasein, das ist die Liebe. Im Epilog erscheinen dann viele Frauen im heutigen Gewand, die nach der Zukunft fragen. Wohin geht der Weg? Komponist und Autorinnen richten den Blick auf die iranische Gegenwart, auf die vielen Gefährtinnen der erschossenen Neda. Das würde vielleicht doch recht plakativ wirken, wenn nicht die brutale Wirklichkeit dahinter aufschiene.

Nader Mashayekhis Komposition umgibt die mehrschichtige Handlung mit einem reich bestückten, vielfarbig glitzernden orchestralen Klang. Expressive Steigerungen und Ausbrüche werden ebenso effektvoll eingesetzt wie Augenblicke des Leisen, Verhaltenen, nach Innen Lauschenden. Leicht konventionell bleibt die Stimmführung. Da scheint oft ein eher altmodischer Operntonfall auf, der durch den intensiven Einsatz der Sänger allerdings gleichsam konterkarrierend durch vokale Expression überlagert wird. Marco Vassalli als Nizami, Anja Meyer als Apak, Lina Liu (Turandot), Eva Schneidereit (Nushabe) und Natalia Atamanchuk (Fitna) demonstrieren einmal mehr, auf welch hohem Niveau auch an mittleren Musikbühnen wie Osnabrück die Hausensembles stehen. Das gilt auch für das Orchester der Osnabrücker Oper und den von Peter Sommerer einstudierten Chor.

Daniel Inbal reizte mit dem Orchester die instrumentalen Farben, aparte exotische Klangkontraste und eine lebendig komponierte musikalische Gestik eindrucksvoll aus.

Die Inszenierung Carin Marquardts (Bühnenbild und Kostüme: Martin Fischer) drängte sich nirgends vor das Werk und dessen Absichten. Die Figuren erscheinen lebendig geführt, die größeren Ensembles mit Chor oft leicht dekorativ arrangiert mit viel Bühnendampf. Man ist ja schon froh, wenn das Regisseurstheater wenigstens die Uraufführung eines Werkes nicht vernebelt.

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