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Die Grenzen des Celloklangs überschreiten

Untertitel
Siegfried Palm über Schlüsselwerke seiner Karriere und Meilensteine der Neuen Musik
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Der 1927 in Wuppertal geborene Siegfried Palm gehört zu den bedeutendsten Interpreten Neuer Musik. Seine instrumentale Meisterschaft, seine Kompromisslosigkeit bei der Umsetzung der Anforderungen selbst komplexester Partituren machten das Violoncello zum bedeutendsten Avantgarde-Instrument seit den 60er-Jahren. Als Vorabdruck aus Michael Schmidts Anfang April bei ConBrio erscheinendem Gesprächsporträt „Capriccio für Siegfried Palm“ präsentiert die neue musikzeitung einige Ausschnitte aus dem Kapitel „Musikalische Grenzübergänge“, in dem Palm seine Erfahrungen mit epochemachenden Werken und ihren Komponisten schildert. Zunächst steht Bernd Alois Zimmermann im Mittelpunkt.

Palm: In Köln gab es einen Hornisten, Fritz Straub, der ein fanatischer Verfechter der Musik für Blasorchester war; der organisierte öfters Konzerte. Unter anderem auch eines im Börsensaal der Handelskammer. Und so rief Straub mich in Hamburg an, er hätte von diesem Konzert von Zillig für Cello und Blasorchester gehört – das sei genau das, was er bräuchte; ob ich Lust hätte, es in Köln zu spielen. Ein Termin wurde schnell gefunden, und ich sagte gerne zu.

Das war mein allererstes Auftreten mit Neuer Musik in Köln überhaupt (1956). In der Pause kam ein schon etwas weißhaariger Herr herein und ich fragte mich: Woher kenn‘ ich den nur? Bevor er etwas zu mir sagte, wusste ich schon, dass ich von ihm mal etwas gespielt hatte, und kam darauf, dass es Zimmermann war. Er gratulierte mir, wir kamen ins Gespräch und er fragte, ob ich Interesse hätte, mir eine Partitur anzusehen; er habe da ein Stück. Es war der „Canto di Speranza“, der schon durch die Hände von allen damals berühmten Cellisten gegangen war – absolut unspielbar. Auch Mainardi war dieser Meinung. Das vermied Zimmermann natürlich, mir zu sagen. Vielmehr schickte er mir die Partitur, und ich bekam schon einen Schreck, als ich sah, in welche abstrusen Höhen das führte. Ich hatte nun aber schon mit Freuden zugesagt, ohne die Vorgeschichte des Stückes zu kennen.

Zimmermann

Schmidt: Als Ihnen Zimmermann das Stück anbot, wussten Sie also nicht, dass die Entstehungsgeschichte ein wenig verwickelt war und Adolf Steiner es schon 1953 als Cellokonzert unter Rosbaud uraufgeführt hatte?

Palm: Nein, das wusste ich nicht. Damals nicht.

Schmidt: Später sagte Zimmermann dann interessanterweise, dass er es im Grunde genommen schon damals in der späteren Form geplant hatte, aber dass es ihm erst möglich wurde, diese eigentliche Urfassung zu realisieren, als er Sie kennen lernte.

Palm: Ja, das stimmt. Das kann man so sagen. Ich habe das ja auch nicht gewusst.
Schmidt: Sie haben das Stück also als neues Stück angesehen…
Palm: Ziemlich lange sogar! Am 17. April 1958 war die Aufnahme im Südwestfunk angesetzt, es dirigierte Ernest Bour – aus dieser Produktion resultierte übrigens diese große Freundschaft zwischen Bour und mir. Wir verstanden uns blind…

Schmidt: Ihre nächste Zimmermann-Uraufführung war dann die Solosonate?

Palm: Noch im selben Jahr, 1958, kam die Anfrage von Zimmermann, ob ich Lust hätte, mit dem Süddeutschen Rundfunk ein Stück von ihm uraufzuführen. „Ich würde gerne eine Solosonate für Sie schreiben“, sagte er. Ich war begeistert, und so entstand das Schlüsselstück meiner Karriere. Es waren zunächst drei Sätze, und die habe ich sehr gründlich und schön erarbeitet. Im Februar oder März 1960 (die Uraufführung war für April angesetzt) rief Zimmermann bei mir an und teilte mir mit, er habe noch „ein paar winzig kleine Zusätze“, ein paar „Erweiterungen“, die wir zusammen besprechen könnten. Ich konnte aber nicht weg, weil im Orchester zu viel zu tun war. Er kam dann zu mir, wir waren im Studio, und er packte die beiden Zusätze aus: Es waren der vierte und der fünfte Satz, die absolut schwierigsten Teile! Der fünfte Satz ging bis zum fünffach gestrichenen c hoch. Heute lache ich drüber. Damals aber war das absolut beängstigend. Da hatten wir übrigens den ersten richtigen Krach. Ich sagte zu ihm: „Wie stellen Sie sich das vor? Wie soll ich das in der verbleibenden Zeit noch schaffen?“ Er erwiderte: „Ja, ich weiß, dass das verrückt ist, was ich verlange, und ich muss mich entschuldigen.“ Dann fragte er: „Werden Sie es schaffen?“ – „Natürlich werde ich es schaffen“, sagte ich, „und wenn ich Tag und Nacht übe.“ Aber ich war wirklich ein bisschen böse. Ich würgte mich von Takt zu Takt. Der vierte Satz war einfach nicht zu machen. Er ließ mich mit diesen Zusätzen hoffnungslos alleine…

Schmidt: Wie wirkte das Stück auf Sie?

Palm: Nach dem letzten Satz gibt es keinen Beifall, weil das Publikum so fasziniert ist von der Kraft dieser Musik, dieser ganz einsamen, total hoffnungslosen Musik. Da habe ich zum ersten Mal Zimmermanns Freitod zehn Jahre später verstanden. So eine Verzweiflung habe ich noch nie erlebt. Es hat denselben Charakter wie die „Soldaten“. Das Cello war ja für ihn das Schlüsselinstrument schlechthin. Die ganze Soldatenpartitur resultiert aus der Solosonate. So wie das Requiem aus „Intercomunicazione“ entstanden ist. [...]

Penderecki

Schmidt: Eine enge persönliche und künstlerische Beziehung verbindet Sie mit Krzysztof Penderecki. Wie lernten Sie sich kennen?

Palm: Ich habe Krzysztof erst kennen gelernt, nachdem ich schon sehr viel von ihm gespielt hatte. Die erste Komposition, die er für Cello schrieb, war die Sonate für Cello und Orchester. Er nannte sie ganz bewusst so. Wie es dazu kam? Strobel, der legendäre Musikchef des Südwestfunks, hatte schon für Aufführungen von Pendereckis „Fluorescences“ und „Polymorphia“ gesorgt, sodass seine Musik, seine ungewöhnliche Musik nicht nur mir, sondern uns allen in Deutschland und in Mitteleuropa bekannt war. Meine Bewunderung für ihn war grenzenlos. Ich hatte ihm das auch einmal schriftlich mitgeteilt. Es kam aber nie zu einer persönlichen Begegnung. Die sollte erst möglich werden, als Strobel den Wunsch hatte, dass Penderecki etwas für mich schrieb, was dann in Donaueschingen uraufgeführt werden sollte. Dazu kam es allerdings längere Zeit nicht, weil Krzysztof meistens für Geige schrieb und ihm das Cello immer ein bisschen fremd war. Ich glaube, die erlösende Situation ergab sich bei einem Weltmusikfest der IGNM: das Konzert 1963 in Amsterdam. Da spielte ich die Solosonate von Zimmermann, und anwesend waren Krzysztof und Strobel als damaliger Präsident der IGNM. Danach sagte Krzysztof: „Jetzt weiß ich ganz genau, wie ich für Cello schreiben muss.“ Er hatte überhaupt nichts mit Zimmermann gemein, aber der hatte ihm die Tür geöffnet oder den Schlüssel gegeben, wie man etwas für Cello schreiben kann. Dann kam ganz schnell die erwähnte Sonate.

Schmidt: …die ein Konzert war…

Palm: Ja, Strobel rief an und sagte: „Ich habe jetzt die Partitur.“ Und dann sauste ich erst einmal nach Baden-Baden, um die Partitur einzusehen. Und nun musste ich mir alles selbst erarbeiten, denn Erklärungen gab es nicht. Penderecki war krank. Am Telefon murmelte er nur etwas, was wir nicht verstanden. Wir mussten den Klang erahnen, uns darüber klar werden, was er wohl meinte mit diesen merkwürdigen Zeichen. Dass die Musik archaisch dröhnte, war klar, aufgrund der Notierungen. Wie sich überhaupt häufig in der Neuen Musik allein der Klang und auch die Qualität eines Werkes durch das Studieren der Notierung herausstellen. Was ich früher nie glauben wollte, ist ein Faktum: dass man nämlich schon erkennt, um was es geht, wenn man die Notation versteht. Und diese Notierung der langen Balken, der Penderecki’schen Balken, der Cluster, die ja phänomenal sind – es war von vorneherein klar, dass hier etwas ganz Besonderes auf uns und den Hörer zukam. Aber erklärt hat er mir grundsätzlich nichts. Das muss ich leider sagen. Ich war ziemlich auf mich gestellt.

Schmidt: Es kommt also auf den Interpreten an, was aus solch neuartiger Musik wird?

Palm: Ohne Zweifel. Aber das ist doch immer so. Das ist bei einem Haydn- oder Dvorák-Konzert genau dasselbe. Auch da muss der Interpret seine Position einnehmen und sich dem Werk stellen. Das ist nichts Neues. Nur hier war die Situation insofern neu, als dass die Sonate überhaupt noch nie jemand gehört, gesehen oder gelesen hatte. Es war sicherlich auch Glück, dass ich den richtigen Weg fand und in Ernest Bour einen wunderbaren Partner hatte. [...] Ich habe viel von ihm gelernt, unheimlich viel. Und Strobel hatte einfach einen Narren an mir gefressen, was ich sehr sympathisch fand. Er hat viel für meine Karriere getan. Er wollte, dass Penderecki für mich ein Stück für Cello und Orchester schreibt. Dieser Wunsch ist dann mit der Sonate in Erfüllung gegangen.

Schmidt: …die dann in Donaueschingen uraufgeführt wurde.

Palm: Leider war Krzysztof wieder nicht dabei. Er hatte eine schwere Lungenentzündung, blieb also in Krakau. Die Uraufführung ist eine kurze Erzählung wert. Wie immer wurde im Südwestfunk mit äußerster Sorgfalt und Akribie probiert. Das Stück dauert nur elf Minuten. Wir haben wie wild probiert und es war für das Orchester zunächst nicht ganz einfach, diese Vierteltöne so zu spielen, dass sie gewollt und nicht wie falsche Musik klingen. Das war auch für mich nicht ganz leicht. Ich weiß noch, dass Heinz Josef Herbort in der „Zeit“ ungefähr Folgendes schrieb: „Es dauerte einige Zeit, bis man sich an die Klänge gewöhnt hatte.“ Er dachte wahrscheinlich: Mein Gott, der Palm spielt ja scheußlich unsauber. Bis einem plötzlich klar wird: Das ist nicht unsauber, das sind die Töne dazwischen, die wir nur noch nie so gehört haben. Dann diese unendlich vielen, aufregenden Geräusche: Klopf- und Schlaggeräusche, die mit beiden Händen am Cello ausgeführt werden müssen, was natürlich einem Geiger schwer fällt, denn wenn ein Geiger mit beiden Händen auf den Hals schlagen soll, dann fällt die Geige hinunter. Aber es kam schließlich zu der Aufnahme, und Strobel war dabei. Nach diesen elf Minuten sagte er: „Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder wird es ein Riesenskandal oder ein Riesenerfolg.“

Schmidt: Dachten Sie das auch?

Palm: Ich war viel zu aufgeregt, um überhaupt eine Meinung zu haben, was daraus würde. Es wurde tatsächlich ein Riesenerfolg, die Leute in Donaueschingen tobten derartig, dass wir das Stück sofort wiederholten, weil es so aufregend gut gelungen war. Es ging dann sehr schnell seinen Weg. Die nächsten Aufführungen waren in Polen mit Markowski, aber Krzysztof war nie dabei. Allerdings wusste er von den Schwierigkeiten, die ich mit den Orchestern hatte. Sie erstens zu überzeugen und ihnen zweitens die Spielweise zu erklären, ohne oberlehrerhaft zu sein. [...]

Schmidt: Fanden weitere Aufführungen im Ausland statt?

Palm: Ich erinnere mich an eine Aufführung bei der BBC; da gab es monatlich eine Sendung: „My favourite concert“. Dort spielten eingeladene Solisten zwei Konzerte. Ich hatte Penderecki und Dvorák gewählt – ein schöner Gegensatz. Edward Downes, inzwischen Sir Edward Downes, dirigierte. Wir hatten ein phänomenales Orchester, das London Symphony Orchestra. Es hatte aber noch nie Penderecki gespielt. Es gab nicht so sonderlich viele Proben; ich erinnere mich nur an drei. Ich hatte es vorher erklärt, und jetzt spielten wir es auf Verdacht einmal durch. Der Erfolg war –, so etwas hatte ich noch nie erlebt – dass das Orchester zum Teil die Instrumente weglegte und lachte. Sie haben schallend gelacht, sich auf die Schenkel geschlagen vor Lachen, sodass ich dachte: Jetzt kannst du einpacken und nach Hause fahren. Dann haben sie aber ganz wunderbar gearbeitet, weil es Profis sind. Das vergesse ich auch nie: sich zuerst einmal richtig auslassen über diese ungewöhnlichen Dinge, sich amüsieren und lachen. Danach fanden sie es großartig… [...]

Schmidt: Andere Komponisten, die für Sie exemplarisch für etwas stehen, zum Beispiel für Entwicklungsschritte, die Sie gemacht haben, aber auch für Grenzüberschreitungen oder gar Revolutionen – was bleibt da für Sie erwähnenswert?

Palm: Es bleibt sehr viel. Interessant ist es, wenn man aufgefordert wird etwas aufzuführen, das seinerzeit sehr wichtig war, heute aber nicht mehr eine so entscheidende Rolle spielt. Dazu gehört zum Beispiel Hindemith, der meiner Ansicht nach absolut verkannt wird. Ich habe kürzlich in Cottbus Hindemiths Konzert von 1940 gespielt – das „große Konzert“, wie wir immer sagen. Ich habe festgestellt, dass das ein enorm gutes Stück ist. Der erste Satz ist ein bisschen brutal; er ist auch der schwächste. Aber der zweite Satz ist so gut komponiert! Und der dritte hat eben das, worüber wir schon sprachen: diesen leichten Touch von Humor, wie es bei Hindemith sehr häufig ist. Das ist schon außerordentlich.

Kagel

Dann natürlich Mauricio Kagels „Match“ von 1964 – ein epochales Stück, welches einfach so hervorragend für Cello komponiert ist, dass einem die Worte fehlen … so großartig ist es.

Schmidt: Für zwei Celli…

Palm: Ja. Kagel wollte ursprünglich ein Stück für mich schreiben, daraus wurde dann „Match“ für zwei Celli und Schlagzeug. Ursprünglich hatte er es für mich und den Cellisten des Parrenin-Quartetts, Pierre Penassou, geschrieben, der mit mir rein äußerlich eine gewisse Ähnlichkeit hat: klein, untersetzt, vergnügt, sehr aktiv und sehr lebendig. Er wollte diese beiden sehr ähnlichen Cellisten haben. Die Schwierigkeit des Stückes hat aber bewirkt, dass ein getrenntes Probieren in Paris und Köln gar nicht möglich war.

So nahm er also einen Kollegen, der äußerlich der absolute Gegensatz zu mir war – Klaus Storck: groß, schlank, sehr ernst im Charakter. Auch das hatte seinen Reiz, diese beiden so verschiedenen Cellisten einen Streit ausfechten zu lassen, ständig gesteuert vom „Schiedsrichter“, dem Schlagzeuger Christoph Caskel. Und das Aufregende ist nun, dass beide Celli (das Stück dauert immerhin dreizehn Minuten) keinen einzigen Ton spielen, der nicht irgendwie verfremdet, denaturiert wird. Nicht mit einfachen Mitteln, am Steg oder Ähnliches, sondern zum Beispiel erzeugt durch Berührung des Nagels mit der Saite oder unter der Saite. Oder mit einem Halbflageolett, wo gar kein Flageolett möglich ist. Das macht dieses Stück so exzeptionell wichtig für Cello. Es bleibt ein hinreißendes Stück.

Schmidt: Eine echte Grenzüberschreitung des Celloklangs.

Palm: Absolut. Das sind Stücke, die alle in ein paar Jahren entstanden sind: Pendereckis Sonate, „Match“, das Cellokonzert von Ligeti (Uraufführung 1967 in Berlin) und natürlich 1966 „Nomos alpha“ von Xenakis, eine der größten Herausforderungen, die ich je erlebt habe.
Xenakis, Ligeti

Auch da war mir nicht sehr viel Hilfe vom Komponisten beschieden. Er sagte nur zu mir: „Weißt du, es dauert dreizehn Minuten und kann nur auf dem Cello gespielt werden. Es darf aber dreizehn Minuten lang nicht eine Sekunde nach Cello klingen.“ Da war mir klar, was ich zu tun hatte. Was dieser Mann wusste über rein instrumentale Dinge, das kann man gar nicht beschreiben. Zum Beispiel dass, wenn man ein a im pizzicato in der vierten Lage spielt, mit dem ersten Finger auf der D-Saite, aber die Saite nicht an der normalen Stelle zwischen Fingerdruck und Steg anzupft, sondern umgekehrt zwischen Sattel und Finger, dass dann ein Drittelton tiefer plus Oktave herauskommt, also ein gis, etwas höher mit Oktave darüber. Das kommt in dem Stück ständig vor. Ich fragte ihn: „Woher weißt du das, wieso weißt du solche Dinge?“ Er antwortete: „Du darfst nicht vergessen, ich bin Physiker und Mathematiker und dann erst Musiker. Natürlich weiß ich das.“ Dieses Stück ist epochal, das finde ich nach wie vor. [...]

Schmidt: Ein Meilenstein war sicher das Ligeti-Konzert.

Palm: Oh ja, das habe ich weit über achtzig Mal gespielt [...] Wie Ligeti mir das Cellokonzert erklärte, war köstlich. Ich habe eigentlich nichts verstanden. Zum Anfang sagte er: „achtfaches piano.“ – „Also unhörbar“, meinte ich. Und Ligeti: „Nein! Acht piano, ja, aber doch nicht unhörbar!“ Er hatte ein unvorstellbar gutes Gehör. [...] Da fällt mir eine wunderbare Geschichte ein. Ich spielte das Konzert in Mailand, im ausverkauften großen Saal des Konservatoriums, mit Zoltan Pesko am Pult. Das Orchester war sehr gut aufgelegt, wir hatten gut probiert. Nun ist das Wesentliche beim Ligeti-Konzert, dass du zu Anfang deine Nerven im Zaum hast. Sonst kommen nur Kratzer oder gar nichts oder der Bogen zittert. Ich war so weit. Ich fühlte mich sehr wohl und setzte den Bogen an. Und ich beginne mit dem e, es war mucksmäuschenstill. Wundervoll. Ich spiele also und erwische gerade die Andeutung eines e, es entwickelt sich ein bisschen und plötzlich vom Rang hinten ein lauter Schrei: „Più forte, amico!“ – Ich brach zusammen, das Orchester lachte Tränen und das Publikum dann auch. Wir haben alle erst mal gelacht, bis wir uns beruhigt hatten. Und dann wollte ich den Bogen wieder ansetzen, doch jedes Mal fing wieder jemand zu lachen an. Es dauerte ganz lange, bis es so weit war. „Più forte, amico!“ – Unvergesslich.

Vorabdruck aus:

Capriccio für Siegfried Palm
Ein Gesprächsporträt von Michael Schmidt. Unter Mitwirkung von Theo Geißler, Juan Martin Koch, Brigitte Palm und Ludwig Harig
Paperback, ca. 192 Seiten, € 14,80
ConBrio Verlagsgesellschaft, Regensburg, CB 1171, ISBN 3-932581-71-7
Erscheint zur Musikmesse Anfang April

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