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Die Schizophrenie des Künstlers in der Nähe der Macht

Untertitel
Die Schostakowitsch-Oper „Dmitri“ von Jungheinrich/Lombardi in Leipzig uraufgeführt
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Statt eines Vorspiels der Vorhang mit Bildern namenloser Stalin-Opfer – durchgestrichene Gesichter, dem Vergessen anheim gegeben. Die erste Szene, überschrieben „Die Musik der Angst“, ist Motto und Exposition des Ganzen. Wir sehen den Komponisten Dmitri, der sich nach einem Herzanfall im Krankenbett krümmt, von Angstträumen zerrissen. Wo sich in Schönbergs Monodrama „Glückliche Hand“ das Untier auf die Brust des Künstlers setzt, belastet ihn hier der Gedanke an Stalin. Trotz dieses Bezugs auf Schönberg, der ebenfalls Künstler und Mensch in zwei Figuren aufspaltete, auch trotz Anspielungen auf Lombardis eigene Faust-Oper (aus der Walpurgisnacht wurde der Alptraum, aus „Mein Ruh’ ist hin“ die Zeile „Ruh’ kann ich nicht finden“) dominiert die Auseinandersetzung mit dem nur mit seinem Vornamen genannten Dmitri Schostakowitsch. Dessen Tonsignet D-S-C-H, das die Szene in Holzbläsern und tiefen Streichern durchzieht, wird zum musikalischen Symbol von Angst und Einsamkeit. Selten waren sich Schönberg und Schostakowitsch so nahe wie in dieser Einleitungsszene.

Das Hoffen, so Brecht in einem Exil-Gedicht, ist „ein schwieriges Handwerk“. Für den Musikschriftsteller Hans-Klaus Jungheinrich und den Komponisten Luca Lombardi, die im Gefolge der Studentenbewegung einmal gemeinsam ein Buch „Musik im Übergang“ herausgaben, hat sich die Hoffnung auf den Sozialismus als Illusion erwiesen. Wo aber andere ihr Scheitern vergaßen oder verdrängten, suchten sie nach den Ursachen. Ihr jetzt in Leipzig uraufgeführtes Bühnenwerk „Dmitri oder Der Künstler und die Macht“ begannen sie 1990 auch als ein Stück Vergangenheitsbewältigung. Die bei Brecht noch tabuisierten stalinistischen Verbrechen, die Hanns Eisler 1961 in seinem Orchestergesang „XX. Parteitag“ kaum andeutete, können heute offen benannt werden. Die Schlussvision der Oper beschränkt sich dagegen ähnlich allgemein wie in Eislers Lied auf ein Leben ohne Angst. Statt eines Vorspiels der Vorhang mit Bildern namenloser Stalin-Opfer – durchgestrichene Gesichter, dem Vergessen anheim gegeben. Die erste Szene, überschrieben „Die Musik der Angst“, ist Motto und Exposition des Ganzen. Wir sehen den Komponisten Dmitri, der sich nach einem Herzanfall im Krankenbett krümmt, von Angstträumen zerrissen. Wo sich in Schönbergs Monodrama „Glückliche Hand“ das Untier auf die Brust des Künstlers setzt, belastet ihn hier der Gedanke an Stalin. Trotz dieses Bezugs auf Schönberg, der ebenfalls Künstler und Mensch in zwei Figuren aufspaltete, auch trotz Anspielungen auf Lombardis eigene Faust-Oper (aus der Walpurgisnacht wurde der Alptraum, aus „Mein Ruh’ ist hin“ die Zeile „Ruh’ kann ich nicht finden“) dominiert die Auseinandersetzung mit dem nur mit seinem Vornamen genannten Dmitri Schostakowitsch. Dessen Tonsignet D-S-C-H, das die Szene in Holzbläsern und tiefen Streichern durchzieht, wird zum musikalischen Symbol von Angst und Einsamkeit. Selten waren sich Schönberg und Schostakowitsch so nahe wie in dieser Einleitungsszene.Aber Dmitri ist gespalten, braucht er als politischer Künstler doch das Kollektiv und die Nähe zur Macht. Und so endet die Szene mit einer merkwürdigen Verbrüderung zwischen dem Diktator und dem „Sänger des Vaterlands“. Opfer und Täter verbünden sich, bis sie kaum noch zu unterscheiden sind. Obwohl es bei Schostakowitsch die Spaltung zwischen offiziöser Maske und privatem Gesicht wirklich gab, nennen die Autoren ihr Werk wie dessen Hauptfigur „eine Fiktion“. Wohl auch aus Respekt vor dem sowjetischen Komponisten machten sie Dmitri zu einer Art Adrian-Leverkühn-Figur, der mehrere reale Vorbilder, neben Schostakowitsch vielleicht auch Pfitzner und Strauss, zu Grunde liegen. Alle weiteren Personen der Handlungen sind selbst dann, wenn sie Stalin, Lenin, Glasunow oder Trotzki heißen, ebenfalls nur Fiktionen, den Imaginationen der Titelfigur entsprungen.

Dies erklärt die sprunghafte Widersprüchlichkeit der Handlung. Aus seiner Angst-Beziehung zum allmächtigen Diktator deutet Dmitri den Lauf der Welt in Parallelaktionen: Wie Stalin die Zarenkrone aus der Hand Lenins entgegennimmt, so erhält auch er in der folgenden Szene seinen Segen aus der Hand des Lehrers Glasunow. Und wo der Herrscher in einer mephistophelischen Groteske den Rivalen Trotzki beseitigt, liquidiert Dmitri ähnlich unnachgiebig den „westlichen Modernismus“ seines Schülers Arionoff. (Bezeichnenderweise stehen in jenem Hochschulsaal, wo Glasunow ihn einst pries, nun anstelle der sechs Künstlerbüsten sechs Büsten Stalins.) Die Nähe zur Macht zerstört die Identität des Komponisten, die in einem kollektiven Über-Ich – der Figur des Diktators – aufgeht.

Aus diesem Identitätsverlust erklärt sich auch die über weite Strecken plakative Sprache des ohnehin knappen Librettos. Dmitri redet, zumal wenn er in die Nähe Stalins gerät, mit pathetischen Floskeln, die nur selten – etwa bei der Belagerung Leningrads – authentisch wirken. Die Frage nach einer Wort- und Musiksprache jenseits von Anpassung und Konvention und damit die Frage nach der künstlerischen Wahrheit ist so vielleicht das eigentliche Thema des Werks. Auch für den in Italien und Deutschland ausgebildeten Luca Lombardi, der bei so unterschiedlichen Lehrern wie Bernd Alois Zimmermann, Vinko Globokar, Karlheinz Stockhausen, Herbert Eimert und Paul Dessau studierte und über Hanns Eisler promovierte, blieb die Suche nach einer eigenen, zugleich verständlichen Sprache ein Problem.

Authentisch ist zweifellos die Angst der Alptraum-Szene, die bei Lombardi durchsichtiger und weniger opernhaft wirkt als bei Schönberg. Mit Rücksicht auf Textverständlichkeit tritt er auch sonst allzu oft bescheiden in den Hintergrund. Spürbar gehört seine Sympathie der fürsorglichen Ehefrau Dmitris (sehr überzeugend Cornelia Entling), deren Lyrismen an Alban Berg erinnern, und den dissonanteren Linien des sich nach westlicher Dekadenz sehnenden, im Kampf um Leningrad gefallenen Komponisten Arionoff. Die Musik der Macht wird dagegen meist, wie auch bei Schostakowitsch, zur Karikatur: entweder als grelle Zirkusnummer (so bei Stalins Krönung) oder als pomphafter Marsch (so bei Dmitris pathetischem Russland-Bekenntnis). An der Grenze steht die Leningrad-Szene, in der die plakativen Worte des Volkes von ernsten Marschrhythmen begleitet werden. Erst rückwirkend stellt die Soloflöte, die bei Erwähnung der Opfer hinzutritt, auch diesen Marsch in Frage.

Ständig ist der Hörer so aufgefordert, in der Sprache und der Musik zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden – eine manchmal schwierige Aufgabe. Ein Grenzfall wie die Leningrad-Szene ist auch das Auftreten des stimmgewaltigen Parteisekretärs (Martin Petzold), der den jungen Dmitri als revolutionären Komponisten preist, oder der heroische Abschied des von Stalin bedrohten Marschalls Tuchatschewski. Nur ein einziges Mal erscheint kurz die ernsthafte Vision eines Sozialismus und einer sozialistischen Musik, wenn nämlich Trotzki vor seinem Tod mit einer auf Brecht und Eisler anspielenden Formulierung ausruft: „Ich wollte die Welt verändern, denn sie braucht es.“

Da diese Künstleroper, eine Antwort auf Pfitzners „Palestrina“ und Hindemiths „Mathis der Maler“, Politik auf Machtausübung reduziert, fehlt eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Sozialismus. Benannt werden dagegen die Perversionen blinder Macht, besonders erschreckend, wenn das jubelnde Volk unmittelbar nach dem Sieg über Hitlers Armeen von den eigenen Leuten bedroht wird. Eindrucksvoll auch die fiktive Begegnung mit Johann Sebastian Bach 1950 in Leipzig, die Dmitri seine eigene Einsamkeit erkennen lässt. Aber erst mit Stalins Tod endet sein Angsttraum. Der Sohn des Komponisten fragt am Schluss wie Luigi Nono nach anderen Klängen jenseits der Angst: „Wir hören noch nicht. Werden wir sie hören?“

Der Leipziger Chefregisseur Uwe Wand, der sich von diesem Auftragswerk ein kritisches Panorama des 20. Jahrhunderts erhofft hatte, sah sich mit einer Groteske konfrontiert. Obwohl die Aufspaltung der schizophrenen Hauptfigur in einen singenden und einen spielenden Darsteller auf seine Initiative zurückgeht, wagte er nur selten die Überzeichnung, die einer surrealen Albtraumhandlung angemessen wäre. Nur selten ließ er so die von den Autoren intendierte Nähe zu Brechts „Arturo Ui“ oder Chaplins „Diktator“ durchschimmern, was er in der Pressekonferenz mit der ihm als ehemaligem DDR-Bürger noch fehlenden Distanz zu diesem Gegenstand begründete. Am stärksten groteske Züge verlieh er dem chamäleonhaften, mehrfach ins Falsett umkippenden und vor seinem eigenen Abbild posierenden Stalin, weshalb Wolfgang Newerla von allen Darstellern den meisten Beifall erhielt. Hector Guedes, mit seiner Hornbrille eine Synthese aus Schostakowitsch und Woody Allen, war als der singende Dmitri dagegen überwiegend die angstgeplagte Leidensfigur. Die sängerisch wie darstellerisch überzeugende Christine Wolff verwandelte sich als Axinja von der Idealistin zur Verräterin. Auch durch das düstere Trümmerszenario Peter Sykoras wirkte das Werk tragischer, als es der vom Gewandhausorchester sowie dem Chor unter Leitung von Martin Fratz transparent dargebotenen Musik entsprach.

Als sich nach nur neunzig Minuten der Vorhang mit den Bildern der Stalinopfer wieder senkte, brandete langanhaltender Beifall auf. Neben den in allen Parts professionellen Leistungen galt er auch den beiden Autoren, die bereits ein weiteres Bühnenwerk, eine Operette, vorbereiten. Wenn diese letzte Uraufführung der an Novitäten reichen Leipziger Zimmermann-Ära angesichts des gewaltigen Themas vielleicht auch etwas kurz geriet, ist es doch eine zum Nachdenken anregende Auseinandersetzung mit der keineswegs leicht zu beantwortenden Frage nach der Unabhängigkeit und Wahrhaftigkeit des modernen Künstlers.

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