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Die Studie „Kulturberufe in Deutschland“ wirft Fragen auf · Von Olaf Zimmermann

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Noch vor einigen Jahren hörte man vom Arbeitsmarkt Kultur vor allem positive Nachrichten. In den Kulturwirtschaftsberichten des Landes NRW war von den enormen Wachstumspotenzialen die Rede und stolz wurde verkündigt, dass im Arbeitsmarktsegment Kultur inzwischen so viele Beschäftigte zu finden sind wie in industriellen Branchen. Es schien einen stetigen Aufwind zu geben.

Auch Kulturstaatsministerin Christina Weiss sprach bei der Vorstellung der Studie „Kulturberufe in Deutschland – Statistisches Kurzporträt zu den erwerbstätigen Künstlern, Publizisten, Designern, Architekten und verwandten Berufen im Kulturberufemarkt in Deutschland 1995–2003“ im Oktober 2004 vom Kulturbetrieb als einer beachtlichen Wachstumsbranche. Sie betonte bei der Vorstellung der Studie, der Kulturbetrieb gebe auch andere wichtige Impulse: „Denn die Eigenschaften, die uns das Erwerbsleben der Zukunft abverlangen wird – Flexibilität, Mobilität, Offenheit im Denken und im Handeln – sind hervorstechende Merkmale einer Tätigkeit im kulturellen Sektor. Kultur ist also auch in dieser Hinsicht nicht eine bloße Kostgängerin des Staates, sondern vielmehr Avantgarde des Arbeitsmarktes.“

Es stellt sich allerdings die Frage, um was für ein Wachstum es sich handelt. Um ein Wachstum an Beschäftigten oder an Umsätzen? Und wenn es sich um ein Wachstum an Beschäftigung handelt, ist weiter zu fragen, was für Beschäftigung entsteht und ob diese den abhängig Beschäftigten oder Selbstständigen auch ein auskömmliches Einkommen ermöglicht.

Statistische Daten

Die erwähnte Studie „Kulturberufe in Deutschland“ wurde von Michael Söndermann, Arbeitskreis Kulturstatistik, im Auftrag der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien erstellt. Für die Studie wurden Daten des Mikrozensus, der Beschäftigtenstatistik und der Umsatzsteuerstatistik ausgewertet und zueinander in Beziehung gesetzt. Daten der Künstlersozialkasse wurden in die Untersuchung nicht einbezogen. Ebenfalls nicht einbezogen wurden die kulturwirtschaftlichen Berufe wie Verlags-, Buch- oder Musikalienhändler, Kunsthändler, Auktionatoren und Galeristen.

Die Daten des Mikrozensus beruhen auf einer Ein-Prozent-Stichprobe aller deutschen Haushalte, die hochgerechnet wird. Die Zuordnung zu Berufen erfolgt durch die Befragten selbst. Eine Person gilt laut Mikrozensus als berufstätig, wenn sie regelmäßig mindestens eine Stunde in der Woche in ihrem Hauptberuf tätig ist. Auf Grund der sehr weiten Definition von Berufstätigkeit werden bei den Daten des Mikrozensus sehr hohe Fallzahlen erreicht.

Demgegenüber beruht die Umsatzsteuerstatistik auf den Daten, die von Unternehmen den Steuerbehörden gemeldet werden. In der Umsatzsteuerstatistik werden die in den Kulturberufen Selbstständigen erfasst, die einen Jahresumsatz von mindestens 16.617 Euro erwirtschaftet haben. Da die in der Künstlersozialkasse versicherten Künstler und Publizisten im Durchschnitt nur ein Einkommen von 11.078 Euro (Stand: 1.1.2004) erzielen, ist davon auszugehen, dass ein Teil der in der Künstlersozialkasse versicherten selbstständigen Künstler und Publizisten einen Umsatz unter 16.617 Euro hat und damit in der Umsatzsteuerstatistik nicht erfasst wird. Das heißt, auf Grund der Abschneidegrenze bei der Umsatzsteuerstatistik werden deutlich geringere Fallzahlen als beim Mikrozensus erreicht.
In der Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit werden abhängig Beschäftigte, die einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung als Angestellte, Arbeiter oder Auszubildende nachgehen, erfasst. Die Daten werden von den Arbeitgebern gemeldet. In der Beschäftigtenstatistik werden nur jene Beschäftigten geführt, die mindestens 15 Wochenstunden arbeiten beziehungsweise einen Mindestlohn von 400 Euro und mehr erhalten. Geringfügig Beschäftigte werden also in der Beschäftigtenstatistik nicht geführt.
Bei einer quantitativen Beschreibung des Arbeitsmarktes Kultur müssen die verschiedenen Statistiken zueinander in Beziehung gesetzt werden, um ein Bild erhalten zu können. Diese aggregierten Daten werden von Söndermann in „Kulturberufe in Deutschland“ zur Verfügung gestellt.

Selbstständige in Kulturberufen

Laut Mikrozensus sind in Deutschland 780.000 Erwerbstätige in Kulturberufen tätig. Im Vergleich dazu sind in der deutschen Automobilindustrie 620.000 Erwerbstätige beschäftigt. Von den nach dem Mikrozensus 780.000 Erwerbstätigen in Kulturberufen sind 318.000 Personen selbstständig. Davon finden sich in der Umsatzsteuerstatistik aber nur 118.600 Personen. Das heißt, rund 37 Prozent der laut Mikrozensus in den Kulturberufen Selbstständigen haben einen Umsatz von über 16.617 Euro und werden damit in der Umsatzsteuerstatistik erfasst. Umgekehrt heißt dies aber, dass immerhin 63% der laut Mikrozensus als in Kulturberufen Selbstständige einen Umsatz haben, der unterhalb des Wertes liegt, der von der Umsatzsteuerstatistik erfasst wird. Bei den Selbstständigen aller Berufe ist das Verhältnis genau umgekehrt. Insgesamt 61 Prozent der im Mikrozensus als selbstständig Geführten werden auch in der Umsatzsteuerstatistik geführt. Bereits diese Daten liefern einen ersten Hinweis darauf, dass es sich bei den Selbstständigen in Kulturberufen um keine Selbstständigen im klassischen Sinne handelt.

Betrachtet man die von Söndermann zusammengestellten Zahlen (Kulturberufe in Deutschland, Tabelle 10) genauer, so zeigt sich folgendes Bild:

• von den Lehrern für musische Fächer sind 72 Prozent der im Mikrozensus erfassten Selbstständigen auch in der Umsatzsteuerstatistik erfasst,
• bei den Architekten und Raumplanern gilt dies für 68 Prozent,
• bei den Fotografen/dem Fotografischen Gewerbe für 65 Prozent,
• bei den Bühnen-, Film- und Rundfunkkünstlern für 43 Prozent,
• bei den Schriftstellern und Journalisten für 35 Prozent,
• bei den Übersetzern und Dolmetschern für 33 Prozent,
• bei den Bildenden Künstlern und Restauratoren für 29 Prozent,
• bei den Designern für 25 Prozent,
• bei den Musikern für 18 Prozent,
• bei den Artisten für 16 Prozent.

Die Aufteilung nach Kulturberufen zeigt, dass immerhin mehr als die Hälfte der selbstständigen Lehrer für musische Fächer, Architekten und Raumplaner sowie Fotografen einen Umsatz von über 16.617 Euro im Jahr erwirtschaften. Demgegenüber erreicht nur ein Viertel der selbstständigen Designer einen Umsatz von über 16.617 Euro im Jahr. Und bei den selbstständigen Musikern und Artisten ist es sogar weniger als ein Viertel.
Bei einem beträchtlichen Teil der Selbständigen in den Kulturberufen muss also davon ausgegangen werden, dass sie durch ihre selbständige Tätigkeit nur unzureichend ihren Lebensunterhalt decken können. Umso bedeutsamer ist zumindest für den engeren Teil der Selbständigen in den Kulturberufen die Künstlersozialversicherung, die eine soziale Absicherung im Bereich der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung bietet. Wobei festzuhalten ist, dass die Mehrzahl der in der Künstlersozialversicherung Versicherten auf Grund ihres niedrigen Einkommens eine nur sehr kleine Rente beziehen werden. Die Veränderungen in der gesetzlichen Rentenversicherung in den vergangenen Jahren werden das Problem noch verschärfen. Die gesetzliche Rentenversicherung wird in der Zukunft selbst bei einer durchschnittlichen Erwerbsbiografie nicht mehr den Lebensstandard der dann in Rente befindlichen Rentnergeneration sichern. Die Bundesregierung geht davon aus, dass eine zusätzliche private Alterssicherung aufgebaut wird.

Noch prekärer ist die Situation der Selbstständigen in Kulturberufen, die nicht Mitglied der Künstlersozialversicherung werden können und sich daher privat krankenversichern sowie eine eigenständige Alterssicherung aufbauen müssen. Es steht angesichts der Daten aus der Umsatzsteuerstatistik zu befürchten, dass dieses nur einem kleinen Teil der Selbstständigen in den Kulturberufen gelingt und darum in den nächsten Jahren viele ehemals Selbstständige, die nicht Mitglied der Künstlersozialversicherung werden konnten, von der Altersarmut betroffen sein werden oder ihren Beruf weit über das Rentenalter hinaus ausüben müssen. Laut Mikrozensus ist die Zahl der Selbstständigen in den Kulturberufen zwischen 1995 und 2003 um 50 Prozent gestiegen. Dieser Anstieg findet ein Pendant in der Zahl der Versicherten der KSK, denn im selben Zeitraum stieg deren Zahl von 81.698 auf 131.699, also um 50.001 Personen, das sind rund 38 Prozent.

Teil 2 des Artikels, nmz 4-05, S. 14

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