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Titelseite der nmz 2022/02
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Ein Glücksfall für die Kulturförderung

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Die Bundeskulturstiftung feiert 20-jähriges Bestehen · Von Ludwig Greven
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Manchmal braucht es Jahrzehnte und einen historischen Umbruch, bis gute, eigentlich naheliegende Ideen verwirklicht werden. Bereits 1972 hatte Günter Grass eine Deutsche Nationalstiftung gefordert, um die Kunst und Künstlerinnen und Künstler gemeinsam durch Bund, Länder und Privatleute zu fördern. Im Jahr darauf griff Willy Brandt den Vorschlag in seiner Regierungserklärung auf. Doch der Widerstand der Bundesländer, die Kulturförderung als ihre alleinige Aufgabe beanspruchten, verhinderte, dass er Realität wurde.

Das sollte sich erst nach der deutschen Vereinigung und dem Regierungswechsel 1998 ändern. Gerhard Schröder berief Michael Naumann zum ersten Kulturstaatsminister, um dem Bund endlich den ihm zustehenden Platz in der Kulturpolitik zu verschaffen. Naumann regte die Schaffung einer Bundeskulturstiftung an. Sein Nachfolger Julian Nida-Rümelin hob sie im März 2002 schließlich aus der Taufe. Eine späte, aber bis heute muntere Geburt. 

Zweck der Stiftung ist entsprechend ihrer Entstehungsgeschichte, Kulturprojekte von nationaler und internationaler Bedeutung zu fördern. Dennoch gab es schon bald neue Konflikte mit den Ländern. Im Zuge der Föderalismusreform verlangten sie eine Fusion mit ihrer eigenen Kulturstiftung. Zum Glück setzte sich der Bund durch. Es blieb bei der eigenen Bundesstiftung, die große Strahlkraft im In- und Ausland entwickelt hat und mit einem Etat von 35 Millionen Euro pro Jahr aus dem Haushalt der Kulturstaatsministerin als eine der größten öffentlichen Kulturstiftungen in Europa bis jetzt mehr als 3.000 Projekte der Gegenwartskunst anregte und finanzierte. Damit hat sie entscheidend dazu beigetragen, der häufig an den jeweiligen Landes- und lokalen Interessen ausgerichteten Kultur-Kirchturmpolitik neue Dimensionen zu geben. Gesorgt hat dafür vor allem die künstlerische Direktorin Hortensia Völckers, die die Stiftung seit Beginn leitet und ein Glücksfall für sie ist. In unermüdlichen Gesprächen mit politischen Akteuren, Kulturschaffenden und den Ländern hat sie ihr Wirken geprägt. Sie erkannte schnell, dass es nicht reichte, Vorhaben von jungen Gegenwartskünstlern und -künstlerinnen mit Bundesmitteln zu unterstützen. Deshalb entwickelte die Stiftung eigene beispielgebende Projekte zur kulturellen Bildung, die heute einen wesentlichen Teil ihrer Arbeit ausmachen. Sie sollen gesellschaftliche Entwicklungen aufgreifen und kulturell vorantreiben. Dazu gehören aktuell zum Beispiel 360°, ein Fonds, der die Diversität der Kulturen der neuen migrantischen Stadtgesellschaft stärkt; Trafo, um den kulturellen Wandel im ländlichen Raum und in kleineren Städten anzuregen; aber auch Projekte für mehr Nachhaltigkeit der Kultur oder Modellprojekte wie Kultur­agenten in kreativen Schulen.

Im musischen Bereich ist vor allem das Netzwerk Neue Musik zu nennen, das von 2008 bis 2011 mit acht Millionen Euro Komposition, Aufführung und Vermittlung Neuer Musik förderte und ihre Stellung in der deutschen Musiklandschaft stärken sollte. Finanziert wurden daraus 15 regionale Projekte wie KlangNetz Dresden, MehrKlang Freiburg und ohrenstrand in Berlin. Modellhaft war auch das Projekt Jedem Kind ein Instrument, gemeinsam mit dem Land Nordrhein-Westfalen. 

Ein großes Manko der Stiftung ist freilich, dass sie Projekte immer nur befristet finanzieren darf, anders als einige große Institutionen und Festivals wie die documenta, das Theatertreffen, die Biennale und die Donau­eschinger Musiktage, die regelmäßig Gelder erhalten. Wenn es gut geht, entstehen durch die Projektförderung eigene Strukturen wie beim Fonds Tanzland zur Unterstützung zeitgenössischer Tanzproduktionen, die für einen Fortbestand sorgen. In anderen Fällen drohen die Initiativen nach dem Auslaufen der Bundesförderung zu verpuffen, falls sich keine anderen Finanziers finden. Hier wäre zu überlegen, ob die Stiftung nicht zumindest in einigen Bereichen auch zur Strukturförderung übergeht. Das würde allerdings eine Aufstockung des Etats verlangen und ihrem eigentlichen Zweck widersprechen. Und es könnte sich mit den Aufgaben der Kulturstaatsministerin und der Länder beißen.

Ein weiteres Manko ist, dass die Stiftung gemäß ihrer Satzung zwar künstlerisch frei ist und keiner politischen Weisung unterliegt. Im Stiftungsrat dominieren jedoch Vertreter der Ministerien, des Bundestags und der Länder, angeführt von der jeweiligen Kulturstaatsministerin als Vorsitzende. Bereits bei ihrer Gründung hatte der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates Olaf Zimmermann – Mitinitiator und inzwischen Vorsitzender des Stiftungsbeirates – darauf hingewiesen, dass, abgesehen von einzelnen Künstlerinnen und Künstlern, in den Gremien der Stiftung Vertreter der einzelnen Kulturverbände und Sparten fehlten, so auch des Deutschen Kulturrates und der Zivilgesellschaft. Unterstützt wurde er damals von Günter Grass und anderen Persönlichkeiten. Die Unabhängigkeit der Stiftung hängt daher stark von der künstlerischen Direktion ab.

Zur Nagelprobe wird es im Herbst kommen. Denn Hortensia Völckers hört im Spätsommer nach 20 Jahren auf. Wird Claudia Roth als eine ihrer ersten wichtigen Weichenstellungen eine ebenso starke, unabhängige, kreative, quirlige Persönlichkeit als ihre Nachfolgerin an die Spitze der Bundeskulturstiftung berufen? Es wäre sehr zu wünschen.

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