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Die Bamberger Symphoniker unter Jonathan Nott boten in Berlin nur Positives. Foto: Musikfest Berlin
Die Bamberger Symphoniker unter Jonathan Nott boten in Berlin nur Positives. Foto: Musikfest Berlin
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Ein Hauptstadt-Ereignis auf dem richtigen Weg

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Musikfest Berlin 2006 entwickelt sich wieder zu einem urbanen Ereignis
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Beim Eröffnungskonzert rieb man sich die Augen. Immerhin ist das Philadelphia Orchestra kein Nobody, sondern ein Star in der internationalen Orchesterlandschaft. Dennoch gab es an diesem Abend wie bei den Klangkörpern aus Birmingham, Cleveland und Bamberg viele leere Plätze – ganz anders als im Monat zuvor, als bei Young Euro Classic selbst unbekannte Jugendorchester für ein vollbesetztes Konzerthaus sorgten. Sind Jugendorchester in Berlin beliebter als internationale Star-Orchester? Den Grund für dieses Missverhältnis muss man wohl eher darin sehen, dass sich Young.Euro.Classic seit Jahren kontinuierlich ein Stammpublikum aufgebaut hat, das erst im Vorjahr geschaffene Musikfest Berlin dagegen noch nicht.

Dabei sind die Berliner Festspiele auf dem richtigen Wege, seit sie wieder mit den Berliner Philharmonikern kooperieren und von diversen Ausweichquartieren in die repräsentative Philharmonie zurückkehrten. Deren Intendantin Pamela Rosenberg erinnerte vor der Presse denn auch an die siebziger und achtziger Jahre, als sie die Berliner Festwochen als wahrhaft urbanes Festival erlebt hatte. Zu solcher Urbanität gehörte beim diesjährigen Musikfest das Programmprofil mit den Schwerpunkten ungarischer Musik um György Kurtág sowie englischer Musik verschiedener Epochen. Darüber hinaus stiftete die Todesthematik einen Zusammenhang. Schon Mahlers „Lied von der Erde“ beim Eröffnungskonzert stimmte auf dieses Thema ein, was sich in Elgars Gerontius-Oratorium, in Passionsstücken von Orlando di Lasso und Wolfgang Rihm, in den Beschwörungen des Schattenreichs bei Jonathan Harvey und Igor Strawinsky, in der Totenstimmung von Henzes „Sebastian im Traum“, in „Tod und Verklärung“ von Richard Strauss, in Kurtágs „Grabstein für Stefan“ und „Stele“ sowie Mahlers „Auferstehungssymphonie“ fortsetzte. André Hebbelinck, dem sich das ebenso düstere wie intelligente Programm verdankte, garnierte damit seinen eigenen Weggang von den Berliner Festspielen, wo inzwischen Winrich Hopp seine Nachfolge antrat.

Während dem City of Birmingham Orchestra und seinem fabelhaften Chor unter Sakari Oramo eine klangprächtige Elgar-Interpretation gelang – über immer neue Klangtore in den Himmel aufsteigend –, überzeugte das Philadelphia Orchestra nicht durchweg. Nach den ungleichwertigen Solisten, die Christoph Eschenbach beim „Lied von der Erde“ zur Verfügung standen, hinterließ die Sopranistin Marisol Montalvo bei den thematisch verwandten „Hérodiade-Fragmenten“ von Matthias Pintscher einen stärkeren Eindruck. Sogar beim Auftritt des Concertgebouworkest Amsterdam mit Mariss Jansons, dem bestbesuchten Gastkonzert, erlebte man qualitative Schwankungen. Nur Positives kann man dagegen über die Bamberger Symphoniker unter Jonathan Nott berichten. Die Kriegswarnungen in Brittens Violinkonzert von 1939, von Daniel Hope mit sachlicher Präzision gespielt, fanden ihr Echo in den faszinierend dunklen Orchesterfarben von Birtwistles „The Shadow of Night“ und der eher nüchtern aufgefassten Tondichtung „Tod und Verklärung“.

Zu den eindrucksvollen Höhepunkten zählten Schuberts Große C-Dur-Sinfonie, ebenso kammermusikalisch wie gesanglich dargeboten vom Mahler Chamber Orchestra unter Daniel Harding, und Mozarts „Prager“ Sinfonie, mit wienerisch leichtem Bogenstrich gespielt vom Cleveland Orchestra unter Franz Welser-Möst. An dem gewichtigen Kurtág-Schwerpunkt zum 80. Geburtstag des Komponisten beteiligten sich die Streichquartette Ébène, Kuss und Minguet, die Berliner Philharmoniker, das SWR Vokalensemble Stuttgart und vor allem die Ungarische Nationalphilharmonie. Diese bot unter Zoltán Kocsis zwei vom Komponisten selbst entworfene Programme, die seine Wurzeln bei Bartók und Webern aufzeigten und auf faszinierende Weise unterschiedliche Raumkonzepte in den Werken „Grabstein für Stefan“, „... quasi una fantasia“ und „Doppelkonzert“ vorführten. György Kurtág will seine Kompositionen nicht als Neue Musik, sondern als traditionsgebunden verstanden wissen. Ähnlich bezeichnete auch Wolfgang Rihm seine jetzt uraufgeführte „Vigilia“ für Sänger, Orgel und Ensemble als „ein Drittes zwischen Alter und Neuer Musik“. Die Gegenüberstellung mit Orlando di Lassos Vokalkomposition „Lagrime di San Pietro“ zeigte, wie stark er sich durch Renaissance-Madrigale inspirieren ließ, ohne damit an Originalität einzubüßen. Seine über große Strecken überraschend konsonante und homophone Musik erhielt immer wieder neue Spannung durch dissonante Reibungen und harte Akzente, durch ausdrucksvolle Pausen und instrumentale Zwischenspiele. Dass das neue Rihm-Stück trotz einiger Längen insgesamt stärker wirkte als die berühmte Lasso-Komposition, lag auch an der perfekten Wiedergabe durch die Vokalisten von Singer Pur. Leider war die große Philharmonie bei diesem Ereignis kaum zur Hälfte gefüllt.

Durchweg gut besucht waren dagegen die Konzerte der Berliner Orchester, die auch qualitativ hinter denen der internationalen Gäste nicht zurückstanden. Die Philharmoniker trugen mit zwei sehr unterschiedlichen Programmen zu den Themenschwerpunkten bei. Einleuchtend verbanden sie die deutsche Erstaufführung von Jonathan Harveys „Madonna of Winter and Spring“ (1986), einer Meditation über Werden und Vergehen, mit Igor Strawinskys Tanzmelodram „Persephone“. Bei Harvey faszinierte die Live-Elektronik, die den Orchesterklang um neue Dimensionen bereicherte, bei Strawinsky das reizvolle Gegeneinander von Rezitation (Isabelle Huppert), Chor und Orchester. Das zweite Philharmoniker-Programm steigerte sich von György Kurtágs „Stele“ (mit neuen Schlusstakten) zur gigantischen Auferstehungsvision von Mahlers 2. Symphonie, die Simon Rattle leider ins Lärmende abgleiten ließ. Für den Höhepunkt, den Choreinsatz, blieben damit kaum noch Steigerungswirkungen. Jederzeit kontrolliert spielte dagegen das Rundfunk-Sinfonieorchester unter Marek Janowski. Die „Métaboles“ von Henri Dutilleux waren mit nicht geringerer Sorgfalt ausgefeilt als die bekannten Werke von Mendelssohn und Schumann. Bei der Staatskapelle kam die vorgesehene europäische Erstaufführung der „Notations VIII“ von Pierre Boulez sowie der Auftritt von Martha Argerich nicht zustande. Der unermüdliche Daniel Barenboim sprang mit einem Mozartkonzert ein und erhielt auch für das immer noch üppige Mahl aus „Don Juan“ und die ebenso theatralisch wiedergegebene Vierte von Brahms starken Beifall. Einen hochrangigen Abschluss des Musikfests bildete der Auftritt des Deutschen Sinfonie-Orchesters unter Herbert Blomstedt. Bei Mozarts A-Dur-Violinkonzert vermochte er den Solisten Nikolaj Znaider nicht aus seiner Reserve zu locken. Alle dynamischen und gestalterischen Register zog er dann aber bei Bruckners 5. Symphonie, die man in der Gegenstellung von Klang- und Themengruppen wohl selten plastischer und aufregender erlebt hat.

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