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Ein himmlisch Werk

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Uraufführungen 2016/10
Publikationsdatum
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Bei Musikfestivals, Konzertreihen und Tagungen haben seit einigen Jahren Themen Hochkonjunktur, die im weitesten und engeren Sinne religiös zu nennen sind: Bevorzugt widmet man sich dem Verhältnis von Musik und Glaube, Musik und Religion, Musik und Spiritualität, Transzendenz, Tod, Leben, Gott, Engel, Heilige, Wander- und Pilgerschaft. Veranstaltungen solcher Art erfreuen sich vielerorts besonders regen Publikumsinteresses.

Das mag an einer allgemein zu beobachtenden neuen Spiritualität liegen, wie sie Feuilletons und Kultursendungen schon länger konstatieren. Tatsächlich haben die meisten Menschen ein religiöses Bedürfnis, stark oder diffus, klar oder richtungslos. Nach dem Tod Gottes, den seit über zweihundert Jahren Aufklärung, Philosophie und Psychoanalyse verkünden, erwachsen inmitten der metaphysischen Obdachlosigkeit der immer lückenloser durchrationalisierten modernen Arbeits- und Lebenswelt des digitalen Kommunikations- und Informationszeitalters neue spirituelle Gegenkräfte, emotionale Ausweichstellen, geistliche Schlupflöcher, sakrale Seelenwinkel, transzendente Nischen.

Die konfessionell gebundenen Kirchen profitieren von dieser Gefühls- und Geisteslage allerdings kaum. Denn an die Stelle der alten Herrgottswinkel und profanen Gartenzwerge treten vielerorts Buddhas. Aus Stein, Ton oder Bronze sitzen sie selig lächelnd in Gärten, Lokalen, Wohnungen, Balkonkästen, Bädern, Fitnessstudios, Wellnessbereichen: Der Erleuchtete als täglich in Erinnerung gerufenes Vor- und Wunschbild eines in sich ruhenden Seins, in Einklang und Frieden mit sich und der Welt. Selbsterfahrung, Einkehr, Ruhe, Stille, Konzentration, Zu-Sich-Selber-Kommen …, das verspricht auch Musik, nicht nur solche, die sich an sakralen Themen ausrichtet. Letztlich bereitet jede Kunst dem Rezipienten eine möglichst in- und extensive ästhetische Erfahrung, deren Eindringlichkeit sich auf Wahrnehmung, Bewusstsein, Selbst- und Weltsicht im besten Fall öffnend und erweiternd auswirkt, und also die sonst herrschenden menschlichen, allzu menschlichen Bedingtheiten transzendiert.

Die Bischöfliche Kirchenmusikschule Essen setzt am 5. Oktober im Essener Dom ein „Zeichen“ anlässlich ihres fünfzigjährigen Bestehens durch die Uraufführung des gleichnamigen Orgelwerks von Dominik Susteck, dessen sechs Sätze nacheinander von sechs nebenamtlichen Organisten des Bistums gespielt werden. Am 25. Oktober erklingt im Französischen Dom Berlin erstmalig „Zungenschlag“ von Martin Christoph Redel, eine „Musik zum 8. Gebot“ für Bariton, Klarinette, Violoncello und Orgel: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“ Am 27. Oktober wird in Bochum das Anneliese Brost Musikforum Ruhr mit der Premiere von Stefan Heuckes „Baruch ata Adonai (Gesegnet seist du, Herr)“ eingeweiht, einer „Kantate auf einen hebräischen Segenstext“ für Bariton, drei Knabenstimmen, Chor und Orchester. Gipfeln wird das Werk laut Ankündigung des Komponisten in „einer strahlenden Amen-Apotheose“. Am gleichen Tag spielt in der Kölner Trinitatiskirche Organist Johannes Quack erstmalig die Orgelsinfonie No. 16 von Enjott Schneider, deren Untertitel „Martin Luther“ dem Reformator huldigt. Das große Jubiläum der protestantischen Reformation 1517–2017 wirft damit bereits einen Klangschatten voraus. Viele weitere Uraufführungen, Konzerte und Musikfestivals werden folgen, denn: „Wer sich die Musik erkiest, hat ein himmlisch Werk gewonnen; denn ihr erster Ursprung ist von dem Himmel selbst genommen, weil die lieben Engelein selber Musikanten sein.“
 

Weitere Uraufführungen:

  • 13.10.: Michael Jarrell, Oboenkonzert, Alte Oper Frankfurt
  • 14. bis 16.10.: Donaueschinger Musiktage mit 22 Uraufführungen, u.a. von Joanna Bailie, James Dillon, Klaus Schedl, Rebecca Saunders, Bernhard Gander, Michael Wertmüller, Peter Eötvös, Peter Ablinger, Wieland Hoban, Martin Smolka, Marco Stroppa, Georg Friedrich Haas und Franck Bedrossian
  • 18.10.: Michael Finnissy, Mu Fa für zwei Ensembles, sowie 16 neue Solowerke für die Instrumentalisten des Ensembles Musikfabrik, WDR Funkhaus Köln; Ole Hübner, music for j.t. #1a: concerto grosso, BKA-Theater m Mehringdamm Berlin-Kreuzberg
  • 22.10.: Stefan Litwin, Nacht mit Gästen, Musiktheater nach dem Theaterstück von Peter Weiss, Hochschule für Musik Saar
  • 23.10.: Peter Lieuwen, Sarumba für zwei Violinen und Orchester, Zeughaus Neuss
  • 28. und 30.10.: Philippe Manoury, Enno Poppe, neue Orchesterwerke für das WDR Sinfonieorchester Köln, Kölner und Essener Philharmonie

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