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Anton Urspruch am Klavier. Foto aus dem Familienbesitz
Anton Urspruch am Klavier. Foto aus dem Familienbesitz
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Ein Porträt zum 100. Todestag des Frankfurter Komponisten Anton Urspruch

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„Verbrennen Sie also ihre Manuskripte nicht, aber bewahren sie dieselben zur Verbesserung und Abklärung späterhin. [...] ich [...] empfehle, gewissenhaft und getrost vorwärts zu streben [...] mit voller Anerkennung Ihrer ausgezeichneten Talente [...].“ Mit diesem Rat half Franz Liszt seinem „lieben Schüler und Freund“ Anton Urspruch aus der Schaffenskrise. Liszt beurteilte die ihm gewidmete „Sonata quasi Fantasia“ op. 1 als „frisch“ und „kernig“, empfahl das „vortreffliche“ Trio op. 12 befreundeten Künstlern und ließ den 22-jährigen Urspruch als Solist in dessen Klavierkonzert auftreten.

Am 7. Januar 2007 jährte sich der Todestag Anton Urspruchs zum 100. Mal. Doch wer erinnert sich noch an den Liszt-Protegé, der zu Lebzeiten ein international geschätzter Komponist war, dem zeitgenössische Kritiker den Humor Mozarts bescheinigten und der als „Nachfolger“ Brahms’ gehandelt wurde?

Urspruch wurde am 17. Februar 1850 in Frankfurt am Main in eine künstlerisch begabte Familie hineingeboren. Er erhielt Unterricht von Martin Wallenstein in Klavier und von Ignaz Lachner sowie Joseph Joachim Raff in Komposition. Für einige Jahre schloss er sich dem Schüler- und Freundeskreis um Liszt in Weimar an. „Bei Liszt fand ich eine Aufnahme, welche ich mir auch bei den kühnsten Träumen nicht hätte ahnen lassen können. Meine Compositionen haben ihm ganz außerordentlich zugesagt und umarmte und küßte er mich ein übers andere Mal stürmisch – ebenso gefalle ich ihm als Pianist.“

In Frankfurt am Main wurde Urspruch an zwei neu gegründete, zeitweise konkurrierende Institutionen berufen. Zunächst lehrte er Klavier, dann auch Komposition an Dr. Hoch’s Konservatorium, dessen erster Direktor Raff war. Nach Raffs Tod erhielt Bernhard Scholz dieses Amt, der die Kompositionsklasse für sich beanspruchte. Urspruch kündigte, obwohl sich seine Kollegin Clara Schumann (Urspruch hat ihr seine Violoncellosonate gewidmet) für ihn ausgesprochen hatte: „[...] ich glaube, er ist eine gute Lehrkraft, und ihn ganz zu verlieren wäre schade.“ Bis zu seinem Tod unterrichtete Urspruch dann Kontrapunkt und Komposition am Raff-Konservatorium. Zu seinen Schülern zählten Landgraf Alexander Friedrich von Hessen, Alfred Hertz, später Chefdirigent des San Francisco Symphony Orchestra und der schottische Pianist Frederic Lamond.

Das mit 31 Opuszahlen vergleichsweise geringe Œuvre Urspruchs wurde zu Lebzeiten nahezu komplett gedruckt. Nach den auf Schumann verweisenden „Fünf Fantasiestücken“ komponierte Urspruch mehrere Sammlungen von Liedern (nach Heine, später auch nach Goethe, Jordan und anderen). Eine besondere Popularität erlangten seine „Deutschen Tänze“. Während der 17. Tanz in der späteren Version der beiden vierhändigen Fassungen geglättet und gezähmt erscheint, verblüfft er in der frühen Ausgabe mit jazzig-virtuosem Ragtime-Schwung. Das Klavierkonzert, in dem Urspruch häufig selbst als Solist auftrat, erntete das Lob des Kritikers Eduard Hanslick und führte Urspruch zu erster internationaler Anerkennung. Mit seiner einzigen Symphonie in Es-Dur erreichte er der Presse zufolge „einen Höhepunkt in der Kunst“ und wurde in der symphonischen Welt auf eine Stufe mit Brahms gestellt.

Nach zwei größeren Kammermusikwerken (Klaviertrio und -quintett) wandte sich Urspruch der Oper zu. Sinn für Dramatisches bewies er mit der Großen Oper „Der Sturm“ (bei dem Libretto handelt es sich um eine Nachdichtung Emil Pirazzis nach Shakespeare). Sie wurde 1888 in Frankfurt am Main unter der Leitung von Felix Otto Dessoff uraufgeführt. Von seiner humoristischen Seite zeigte sich Urspruch mit der Komischen Oper „Das Unmöglichste von Allem“. Die Uraufführung leitete Felix Mottl in Karlsruhe, Leo Blech brachte sie in Prag mit gro-ßem Erfolg auf die Bühne. Das Libretto besorgte der Komponist nach Lope de Vegas „El mayor imposible“. Die Gesangsoper über die Unmöglichkeit, ein liebendes Weib wider ihren Willen zu hüten, zählte als Musterbeispiel, ja als Markstein in der Entwicklung der deutschen komischen Oper, indem sie mit Wagner breche und vom Geiste Mozarts („Figaro“) durchdrungen sei.

Es bleibt Spekulationen unterworfen, wie erfolgreich Urspruchs letzte Oper „Die Heilige Cäcilie“ geworden wäre. Leider blieb sie unvollendet. Im Jahr 1906 verschlechterte sich Urspruchs Gesundheit. Nach einem langen Spaziergang in eisiger Kälte mit dem Berliner Chordirigenten Siegfried Ochs, der eine oratorische Aufführung der „Heiligen Cäcilie“ beabsichtigte, erlag der Komponist einem Zusammenbruch.

Urspruch war weder „Zukunftsmusiker“ noch „Konservativer“. Er komponierte keine Programmmusik. Zur Aufführung seiner „Frühlingsfeier“ – ein „gewaltiger Hymnus auf den schaffenden Geist des Weltalls“ nach Klopstock für Chor, Tenor und großes Orchester – schrieb er: „Töne bedürfen keiner Worte zu ihrem Verständnis“. Jedoch räumte er ein, der Tondichter müsse Hörer und Interpreten (mit Hilfe der Worte) in den Stimmungszustand versetzen, in dem er sich selbst befand, als er das Werk schuf. Urspruchs kontrapunktisch und harmonisch versierte, zu großen Dimensionen neigende Werke knüpfen an Formtraditionen des 19. Jahrhunderts an. Ihre Originalität liegt im Detail. Zwar findet sich der Einfluss Beethovens in der Kammermusik und der Mendelssohn Bartholdys im Chorwerk („Sechs Gesänge“ a cappella op. 15), eklektizistisch wirkt Urspruchs Musik jedoch nirgends. Der hohe technische Schwierigkeitsgrad seiner Klaviermusik („Cinq morceaux“ op. 19) weist auf die Virtuosität bei Liszt. Die Themenbildung der Symphonik steht in der Nachfolge Brahms’ und Schuberts, über den er einen Artikel veröf-fentlicht hat. Urspruch war ein „Moderner“, ohne modisch zu sein, „ein Stiller im Lande, ein Meister, ein Schönheit-Sucher auf unbetretenen oder selten begangenen Pfaden“ („Neue Musik-Zeitung“ 1907).

Neben Dessoff, Mottl und Blech haben weitere namhafte Dirigenten Urspruchs Werke aufgeführt. Julius Buths, Gustav Kogel, Franz Wüllner und August Grüters dirigierten die „Frühlingsfeier“. Dieselben Dirigenten setzten sich für Urspruch ebenso ein wie für Wagner, Brahms, Berlioz, César Franck, Mahler, Reger, Richard Strauss, Debussy, Elgar und Delius.

Renommierte Verlage veröffentlichten die Werke, so Kistner und Breitkopf & Härtel in Leipzig, Schott in Mainz, Spina in Wien und Steyl & Thomas in Frankfurt am Main. Hauptverleger wurde August Alwin Cranz in Hamburg. Urspruch heiratete Cranz’ Tochter Emmy 1881 und widmete ihr seine einzige Symphonie. Zusammen hatten sie vier Töchter. Von seiner jüngsten Tochter Theodora Kircher-Urspruch stammt eine unveröffentlichte Gedenkschrift zum 125. Geburtstag ihres Vaters. Die-se Schrift ist bis heute die wichtigste Quelle über das Leben Urspruchs. Theodora schenkte 1965 den Nachlass der Stadt- und Universitätsbibliothek in Frankfurt am Main. Dort sind Manus-kripte zu nahezu allen Notendrucken, die zahlreichen positiven Rezensionen seiner Werke und eine Fülle von Nachrufen vorhanden – eine Fundgrube für die Musikwissenschaft. Mittlerweile existieren auch zwei Diplomarbeiten und eine Dissertation ist in Arbeit.

Für die Wiederentdeckung des einst berühmten Komponisten setzt sich heute Theodoras Tochter, Frau Veronica Kircher ein. Die in Münster lebende Enkelin Urspruchs hat zusammen mit dem Frankfurter Musikwissenschafter Peter Cahn eine Reihe von Konzerten auf die Beine gestellt. Seit 1999 ist eine Einspielung von Liedern mit der Sopranistin Heike Hallaschka und dem Pianisten Michael Biehl bei Dabringhaus und Grimm erhältlich. Der WDR sendete zu Ostern 2006 einen Mitschnitt der Symphonie. Und der Musikverlag Robert Carl in Mandelbachtal gibt die Chorwerke neu heraus – es lohnt sich auf jeden Fall, sie aufzuführen.

Ab dem Jahre 1901 befasste sich Urspruch intensiv mit dem Gregorianischen Choral. Die Ergebnisse seiner in mehrere Sprachen übersetzten Schrift „Der Gregoriani­sche Choral und die Choralfrage“ sowie weiterer, unveröffentlichter Schriften diskutierte er 1905 auf dem Choralkongress in Straßburg und 1906 in einer Privataudienz mit Papst Pius X. in Rom. Geprägt von Liszts Auffassung vom Künstlerdasein und der Freundschaft mit Vincent d’Indy, dessen Werke ebenfalls die Auseinandersetzung mit dem Gregorianischen Choral verraten, führte Urspruchs Weg über Bach und Palestrina: „Man kann die moderne Musik nicht verstehen, wenn man Bach nicht versteht, denn alle sogenannten Errungenschaften moderner Technik und besonders Harmonik hat Bach schon vorweggenommen. Bach aber wird man nicht verstehen, wenn man Palestrina nicht kennt, und Palestrina versteht man nicht ohne den Gregorianischen Choral.“ So knüpfte Urspruch Kontakte zu den Benediktinerklöstern in Beuron und Maria Laach, deren Chorleiter er beriet. Er beabsichtigte, „einen Jahrtausende alten Kronjuwel“ abendländischer Musik in der melismenreichen Lesart nach der Ausgabe der Benediktiner von Solesmes (Frankreich) gegenüber der „vereinfachten“, „offiziellen“ Regensburger Ausgabe in der Liturgie wiederzubeleben. Von ästhetischen, pädagogischen und religiösen Aspekten geleitet übte er Kritik an der gegenwärtigen, mehrstimmig verzierten Musik, die der Instrumental- gegenüber der Vokalmusik den Vorrang gebe, am „derben“ Dur-Moll-System kranke und in der „Zwangsjacke des Taktes“ stecke. Eine kompositorische Anwendung erfolgte in dem Hymnus „Ave maris stella“ op. 24 und in dem „Kyrie“ aus der unvollendeten „Missa Lux et origo“ (Festgesang zur Enthüllung des Raff-Denkmals).

Mit der Besinnung auf die „feine Charakterisierungskunst“ der alten Tonarten und die Fessellosigkeit der Sprache trennte sich Urspruch vom Zeitgeschmack der Jahrhundertwende, denn „modern“ definierte er als das, „was in der Mode [...] seine Ursache hat, und Mode ist nur darum heute Mode, weil sie gestern keine war und morgen keine mehr sein wird.“ Für heute jedenfalls gibt es viel Spannendes bei Urspruch wiederzuentdecken.

Weitere Informationen unter
www.antonurspruch.de

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