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Eine Musik mit Zukunftspotenzial

Untertitel
Toshio Hosokawa denkt über westliche und östliche Musikpraxis nach
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Toshio Hosokawa: Stille und Klang, Schatten und Licht. Gespräche mit Walter-Wolfgang Sparrer, Wolke Verlag, Hofheim 2012, 223 S., Abb., € 24,80, ISBN 978-3-936000-47-4

Der 1955 in Hiroshima geborene Toshio Hosokawa repräsentiert einen für Japan neuen Komponistentyp. Anders als noch die Generation vor ihm verbindet er die Aneignung westlicher musikalischer Denkweisen mit einer Rückbesinnung auf die eigenen kulturellen Traditionen. Leicht ist das nicht, wie er in den Gesprächen mit Walter-Wolfgang Sparrer, die nun in Buchform erschienen sind, erläutert. Noch immer sind viele japanische Künstler stark auf europäische und amerikanische Denkmuster fixiert, und da steht er mit seiner Einstellung oft allein. Das Gefühl, zwischen zwei Stühlen zu sitzen, ist ihm vertraut. „Ich bin in der schwierigen Lage, dass meine Musik in Europa häufiger als in Japan aufgeführt wird, und ich bin sehr glücklich in Europa. Aber manchmal denke ich: Was mache ich hier?“

Dass er etwas anderes wollte als einfach europäische Musik zu schreiben, wurde ihm erst klar, als er 1976 in Deutschland zu studieren begann, zunächst bei Isang Yun in Berlin und ab 1983 bei Klaus Huber in Freiburg. Vor allem Huber lenkte seinen Blick auf die japanische Kultur. Seither hat er sich schrittweise in die Tradition des No-Theaters und des Gagaku, in buddhistisches Denken und die Spielweisen der alten japanischen Instrumente eingearbeitet. Nicht aus folkloristischen Gründen oder Nostalgie, sondern stets mit dem Ziel, diese Überlieferungen aus der heutigen Zeit heraus neu zu deuten. Westliches und östliches Denken gehen dabei eine Synthese ein.

Diese künstlerische Praxis, die durch das Schlagwort Interkulturalität nur ungenügend erfasst wird, steht im Mittelpunkt der Gespräche und wird durch Kommentare zu eigenen Werken, Beobachtungen allgemeiner Art und philosophische Überlegungen eingehend abgehandelt. Über Hosokawas eigenes Schaffen hinaus erfährt man nicht nur Grundlegendes über das Komponieren, das Musikleben und den Alltag im heutigen Japan, sondern lernt durch das Auge eines sensiblen und aufmerksamen Beobachters auch die europäische Musikkultur anders wahrnehmen – ihren Reichtum, aber auch ihre spirituellen Defizite und rationalistischen Verkümmerungen. Demgegenüber bilden im japanischen Denken, wie Hosokawa an vielen konkreten Beispielen aus eigener und fremder Praxis zeigt, Kunst und Leben stets eine Einheit: Der Ton ist ein Symbol für Werden und Vergehen, die Stille der Grund, aus dem alles Leben hervorwächst. Das intuitive Erfassen des künstlerischen Gedankens hat Vorrang vor der rationalen Zergliederung, und die Bindung des Menschen an die Natur ist noch nicht zerbrochen.

Mit sanfter Eindringlichkeit lenkt Hosokawa die Aufmerksamkeit immer wieder auf das, was hinter der Oberfläche von Technik und Material steht: den Geist, der sich im Kunstwerk äußert und ihm Form und Lebensenergie verleiht. Es ist eine Sanftheit mit Sprengkraft, steckt dahinter doch ein zukunftsträchtiges Gegenparadigma zum Einerlei einer globalisierten Moderne, das sich mit der Tendenz zu einer neuen Wurzellosigkeit und Ent­individualisierung auch in der zeitgenössischen Musik breitgemacht hat.

Dem Gesprächspartner und Herausgeber Sparrer gelingt es, die Fragen nach Hosokawas biografischer Entwicklung zwanglos mit kompositorischen und allgemein ästhetischen Themen zu verknüpfen. Vertiefte Reflexion und detailgenaue Beschreibung der Phänomene kommen im unangestrengten Gesprächstonfall daher, die wenig geläufigen japanischen Namen und Begriffe werden auf diskrete Weise erläutert. Partiturausschnitte, zahlreiche Fotos – diese wegen der Papierqualität leider etwas kontrastarm – und eine detaillierte Chronik mit Werk- und Lebensdaten runden den hohen Informationsgehalt des Bandes ab. Wer mehr wissen möchte über Hosokawas vielseitiges Schaffen und zudem an authentischen Auskünften über das heutige Japan und seine Kultur interessiert ist, findet hier eine fesselnde Lektüre.

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